Transformatives Lernen mit Mentoring : eine qualitative Längsschnittuntersuchung von Lernprozessen studentischer Mentor*innen

Mit dem Wandel der Lernkulturen sowie der veränderten Rahmenbedingungen aus den Bologna-Reformen haben sich höhere Anforderungen an Studierende ergeben, die den Studieneinstieg oft erschweren. Häufig besteht eine Diskrepanz zwischen den Anforderungen und den Fähigkeiten der Studierenden, insbesondere den Studierfähigkeiten und den Selbstmanagementkompetenzen. Die meisten Studierenden entscheiden sich daher in den ersten Semestern dazu, das Studium abzubrechen oder das Studienfach zu wechseln. (vgl. Heublein et al. 2010; vgl. Fuge 2016; vgl. Wallis/Bosse 2020) Da sich die Forderung nach mehr Selbstbestimmung auch zunehmend auf Seiten der Arbeitgeber wiederfindet, stellen sich im Rahmen der geförderten Projekte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung an der Hochschule Ostwestfalen-Lippe[1] die Fragen, wie sich die geforderten Kompetenzen fördern lassen und welche Instrumente die Kompetenzentwicklung unterstützen können?

Ein Instrument, welches eingesetzt wird, um den Herausforderungen der Studieneingangsphase zu begegnen ist das Projekt Mentoring. Das Projekt Mentoring ist ein Teilprojekt des Projektes Praxis-OWL der Hochschule Ostwestfalen-Lippe zur Verbesserung von Studierfähigkeit, welches mit Blick auf die Studieneingangsphase die Entwicklung individueller Lernwege und die Förderung von Schlüsselkompetenzen unterstützen soll.

Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage, inwieweit Mentoring als Instrument der Personalentwicklung Einfluss auf die Kompetenzen von Studierenden nehmen kann, insbesondere auf die Entwicklung berufsbiographisch relevanter Kompetenzen, wie Empowerment oder Employability?

Als Grundlage dient das Mentoring-Programm der Hochschule Ostwestfalen-Lippe, welches die studentischen Mentor*innen im Rahmen eines Wahlpflichtfaches zu Lernbegleiter*innen ausbildet.

Die Fragestellung der Arbeit lautet daher: „Welchen Einfluss hat Mentoring auf den persönlichen Lernprozess von studentischen Mentor*innen?

  1. Hat Mentoring Einfluss auf die Persönlichkeitsbildung der Mentor*innen?
  2. Inwieweit finden transformative Lernprozesse im Mentoring statt
  3. Lassen sich mit Mentoring relevante Kompetenzen für das Studium und/oder den Beruf fördern?
    • Auf welchen Kompetenzbereich nimmt Mentoring verstärkt Einfluss
    • Führt Mentoring zu einer Steigerung der Reflexionsfähigkeit?

Untersucht wurden diese Fragen im Rahmen einer empirischen Längsschnittstudie mithilfe qualitativer Forschungsmethoden.

Ziel war es, den Einfluss von Mentoring auf den Lernprozess von Studierenden zu ermitteln sowie eine erste Einschätzung zu erhalten, ob sich transformative Lernprozesse abbilden lassen. Diesbezüglich sollten Hinweise zur Kompetenzentwicklung innerhalb unterschiedlicher Fach- und Lernkulturen ausgearbeitet werden. Des Weiteren galt es, die Bedeutung von Mentoring als Lernarrangement im Kontext der Hochschule zu bestimmen. Aussagen zur Wirksamkeit von Mentoring und Hinweise für nachhaltige Optimierungsmaßnahmen sollten herausgearbeitet werden.

Theoretischer Zugang

Die Arbeit beschäftigt sich mit Fragen der hochschuldidaktischen Bildungsforschung und lässt sich in den Bezugswissenschaften der Hochschuldidaktik (Pädagogik bzw. Erziehungs-/Bildungswissenschaften, Psychologie und Soziologie) verorten. Thematisch greift sie auf die Ergebnisse der Lehr- und Lernforschung zurück, insbesondere auf die Kompetenzforschung und die Forschungen zum Lebenslangen Lernen, zur lernenden Organisation und Lernkultur. Letztlich verbinden sich pädagogische Fragestellungen mit soziologischen Fragestellungen. 

Methodischer Zugang

Bezüglich des methodischen Zugangs lässt sich festhalten, dass die empirische Untersuchung von Lernprozessen auf die qualitative Sozialforschung zurückgeht. Leitfadengestützte Interviews mit den Mentorinnen und Mentoren vor und nach der Teilnahme am Mentoring-Programm sollten im Rahmen qualitativer Forschungsmethoden individuelle Lernprozesse im Kontext subjektiver Bedeutungsmuster sichtbar machen. Ausgewertet wurden die Interviews inhaltsanalytisch nach Mayring. Während des Programms wurde im Sinne der kommunikativen Validierung eine Dialog-Konsens-Methode nach Scheele/Groeben angewendet. Außerdem wurden prozessbegleitend Lernportfolioeinträge der Mentor*innen aus dem Wahlpflichtfach zur besseren Interpretation der Ergebnisse herangezogen.

Um eine Aussage über die Kompetenzentwicklung abbilden zu können, wurden die Teilnehmenden ebenfalls vor und nach der Teilnahme am Mentoring-Programm gebeten, ihre Kompetenzen in einem Kompetenzraster, welches in Anlehnung an den Kompetenzatlas von John Erpenbeck und Volker Heyse entwickelt wurde, selbst einzuschätzen. Daneben wurden Einschätzungen zur Persönlichkeit über ein Persönlichkeitsbarometer abgefragt.

Um die Aussagen der Mentor*innen über eine weitere Perspektive zu untermauern, wurde noch ein Experteninterview mit der Dekanin eines Fachbereiches geführt. Das Experteninterview, welches zusätzlich zu den Abfragen und Interviews geführt wurde, wurde nach Meuser und Nagel ausgewertet.

Die Ergebnisse der Arbeit

Aus den Ergebnissen lässt sich schließen, dass mit Mentoring die Persönlichkeitsentwicklung von Studierenden unterstützt werden kann. Im Einzelnen lassen sich Entwicklungen in allen Kompetenzbereichen herausarbeiten, wobei der Kern des Lernens sich in der Transformation von Sicht- und Handlungsweisen zeigt, welche die Konstruktion eines professionellen Selbstverständnisses unterstützt.

Insgesamt deuten die Ergebnisse darauf hin, dass sich die Teilnehmenden nach dem Mentoring-Programm motivierter, aktiver, engagierter, zufriedener, sicherer, selbstbewusster, handlungskompetenter, reflektierter und offener erleben. Auch zeigt sich bei vielen Mentor*innen eine gelassenere und professionellere Haltung. Während die Interviews darauf hinweisen, dass Mentoring vor allem auf die Persönlichkeitsentwicklung Einfluss nimmt, zeigen die Kompetenzabfragen, dass die meisten Teilnehmenden eine positive Entwicklung innerhalb der Aktivitäts- und Handlungskompetenzen erleben. Die Mehrheit (5/8) der Mentor*innen gibt an, eine positive Entwicklung im Bereich der Führungskompetenzen und im persönlichen Auftreten erfahren zu haben. Daneben zeigen sich auch positive Entwicklungen im Feld der sozial-kommunikativen Kompetenzen. Die Hälfte der Teilnehmenden sieht eine positive Entwicklung im Bereich der Kommunikationsfähigkeit, Dialogfähigkeit, Beratungsfähigkeit und Teamfähigkeit.

Mit Blick auf die Relevanz der Forschung für die Wissenschaft und Praxis lässt sich folglich formulieren, dass die Bedeutung mentorieller Begleitung in der Förderung psychosozialer und motivationaler Ressourcen liegt, die gesellschaftliches Engagement aktivieren, innovatives Denken anregen, eine Horizonterweiterung ermöglichen sowie eine innere Haltung und ein professionelles Selbstverständnis entfalten.


[1] Seit 2019 Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe (TH OWL)

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