Grauzonen der Sorge : Informalisierung von Pflegearbeit im Kontext des Pflegenotstands

Im Kontext steigender Versorgungsbedarfe, eines grassierenden Fachkräftemangels und einer Krise sozialer Reproduktion kommt es seit den 1990er Jahren zu einem sozial- und pflegepolitischen Ausbau niedrigschwelliger und informeller Pflegearbeit in den Grauzonen des Pflegemarktes in Deutschland. Angetrieben durch einen spezifischen Kostendruck, entsteht mithilfe politischer Förderstrategien ein Regime gemeinwohldienlicher Schattenarbeit, das für das Berufsfeld der Pflege typische Informalisierungsprozesse in neuer Gestalt und unter gewandelten Reproduktionsbedingungen fortführt und vorantreibt. Exemplarisch dafür ist einerseits der politisch regulierte Einsatz sogenannter „zusätzlicher Betreuungskräfte“ sowie andererseits die staatliche Förderung freiwilligen Engagements in der Pflege. Im Rahmen dieses Ausbaus geringqualifizierter Beschäftigungssegmente, niedrigschwelliger Betreuungsangebote und quasi-professionalisierter Tätigkeitsbereiche sind Informalisierungsprozesse und Fälle rechtswidriger Arbeitskraftnutzung, qualifikatorische Grenzüberschreitungen und Unterschichtungsprozesse zu beobachten. Diese Entwicklungen werden vom Berufsprofil der Pflege als einer hochgradig feminisierten und „unvollständigen Profession“ begünstigt. Der Beitrag zielt mit der Vorstellung ausgewählter Befunde einer qualitativen Interviewstudie zum Einsatz zusätzlicher Betreuungskräfte und freiwillig Engagierter im Kontext des gegenwärtigen Pflegenotstands darauf ab, die Bedeutung sozialpolitischer Maßnahmen für Informalisierungsprozesse im Sorgearbeitskontext „entwickelter Gesellschaften“ empirisch fundiert zu exemplifizieren.
Since the 1990s and against the background of the ongoing German crisis of elder care, a socio- and care-politically driven support of informal elder care work done by lay people can be observed. In order to use the informal labor potentials of civil society, the state sets up workfare programs for long-term unemployed and low-skilled workers and strengthens legal support for the elderly with the help of monetized volunteer work. Driven by a specific cost pressure on the welfare market of elder care and by the help of an active state support, a regime of shadow work within public elder care services emerges that perpetuates and promotes typical informalization processes in the field of elder care but in a new form and under changed conditions of social reproduction. As a result, this expansion of low skilled employment and the labor utilization of ‘additional caregivers’ and volunteers transgresses the threshold to legal infringements and advances processes of de-professionalization and informalization within the field of elder care. This process is also encouraged by the special features of elder care like feminization and incomplete professionalization. The goal of this article is to show, by the help of empirical findings for the use of informal elder care work, that informalization is no single feature of so called ‘economically developing nations‘ but can also be understood as a strategy of labour utilization within the context of ‘developed nations‘ such as in the case of Germany‘s conservative care regime.
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