Autonomiekonzepte und Rechtsformen öffentlicher berufsbildender Schulen : Theoretische Ansätze und explorative Studie zur Wahrnehmung ausgewählter Steuerungskonfigurationen durch Akteure der Schulverwaltung, Schulleitungen und Lehrkräfte am Beispiel des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung und der Regionalen Berufsbildungszentren in Schleswig-Holstein

Ausmaß und Persistenz der vielfältigen Problemlagen des Bildungswesens als Spiegel der Gesellschaft bei gleichzeitig von Seiten der Politik gestellten Forderungen nach deutlichen Ergebnis- und Leistungssteigerungen haben zu einer latenten Suche nach passenden Reformstrategien im Bildungswesen geführt. Nachdem die Verheißungen der aus dem New Public Management stammenden einzelnen Ausprägungen des Neuen Steuerungsmodells keine Gewissheit für das Bildungswesen erlangt haben, lässt sich gegenwärtig eine gewisse Ratlosigkeit der Bildungspolitik konstatieren. Die Erkenntnis, dass Reformen im Bildungswesen sich nicht als ein schlichtes Umsetzen eines wohl durchdachten Plans, sondern als ein Ringen in komplexen Systemen um eine bessere Lösung erweisen und dass der Staat hier ein, wenn auch einflussreicher, Akteur unter vielen ist, ist ein Verdienst der „Educational Governance“ als Ansatz der Bildungsforschung. Mithilfe dieses Ansatzes konnte in dieser Arbeit die bislang kaum beachtete Wahrnehmung der Akteure und ihre Bedeutung bei der Umsetzung von Reformen exemplarisch untersucht werden. Demnach erlaubt die Analyse der subjektiven Deutung in Form von Gedanken und Empfindungen der Akteure im Bildungswesen Rückschlüsse auf mögliche zu erwartende Nicht- oder nicht ausreichende Befolgung intendierter Maßnahmen einerseits wie auch auf möglichen Konsens oder gar erhöhte Akzeptanz. Im klassischen Mehrebenensystem von Kultusbehörde und Schulverwaltung, Schulorganisation der Einzelschule und dem Unterricht der Lehrkräfte in den Bildungsgängen kommt der Wahrnehmung der Akteure für die Kopplung der verschiedenen Ebenen und damit auch für die Optimierung des Gesamtsystems eine besondere Bedeutung zu.

Gesetzlich bzw. administrativ eingeräumte Erweiterungen der Autonomie und damit der Eigenverantwortung von Bildungseinrichtungen stellen eine jüngere Reformstrategie der sogenannten Neuen Steuerung dar, wenngleich die älteren Schriften der Autonomiedebatte auf Selbstbestimmung und Selbstverwaltung der Subjekte fokussierten. In zwei Modellen der Rechtsformreform berufsbildender Schulen in der Hansestadt Hamburg und im Land Schleswig-Holstein wurde untersucht, wie die Akteure Schulverwaltung, Schulleitung und Lehrkräfte im Mehrebenensystem die politischen Steuerungskonfigurationen der Reformmodelle wahrnehmen. In den untersuchten Reformmodellen sind jeweilige Abweichungen der Einschätzungen zwischen den Akteuren der aneinandergrenzenden Ebenen deutlich zu erkennen. Während die Angehörigen der Bildungsadministration eine weitgehende Übereinstimmung ihrer Einschätzung mit den gesetzlich bzw. durch Verordnung festgelegten Reformbestimmungen aufzeigen, weichen die Einschätzungen auf Ebene der Schulleitungen in den für ihre Amtsausübung relevanten Bestimmungen teilweise entschieden ab. Besonders starke Abweichungen sind auf Ebene der betroffenen Lehrer/innen bzw. Personalvertreter/innen zu erkennen. Diese „Implementierungsbrüche“ erschweren die Akzeptanz und Umsetzung der jeweiligen Reform. Die Wahrnehmung der Akteure weisen in dem verpflichtend-verbindlichen Modell des Hamburger Instituts für Berufliche Bildung erheblich mehr – auf fehlende Reformakzeptanz hinweisende – Implementierungsbrüche als in dem durch freiwilligen Zugang charakterisierten Modell der Regionalen Berufsbildungszentren in Schleswig-Holstein auf; hier lassen sich „Implementierungsüberschreitungen“ erkennen, die letztlich die Reform bestätigen.

Die Studie dient der theorie- und empiriegeleiteten Untersuchung der Wahrnehmung der Akteure der Schulverwaltung, Schulleitungen und Lehrkräfte der Implementation neuer Steuerungskonzepte. Sie erlaubt Schlussfolgerungen für die Praxis von Reformen beispielsweise auf den Gebieten der Organisationsentwicklung sowie der Kommunikation und Interaktion. Für eine ganzheitlich und nachhaltig angelegte Schulentwicklung bietet sich eine systemische Perspektive unter stärkerer Berücksichtigung der Akteure und deren Wahrnehmung in Reformprozessen an. Der Reformbedarf auch und gerade auf dem Gebiet der berufsbildenden Schulen fände hier Anschlussmöglichkeiten.

Wegen der im Rahmen dieser Arbeit begrenzten empirischen Basis erlaubt die vorgelegte Studie keine evaluative Bewertung der unterschiedlichen Reformansätze in Hamburg und Schleswig-Holstein. Vielmehr weist die Begrenzung des Untersuchungsgegenstandes auf einen weiterführenden Forschungsbedarf u.a. der Wirksamkeit von Reformstrategien hin.

The extent and persistence of the diverse problems of the education system as a mirror of society, combined with demands from politicians for significant increases in results and performance, have led to a latent search for suitable reform strategies in the education system. Now that the promises of the manifestations of the New Control Model (Neues Steuerungsmodell) – which originates in New Public Management – have not gained any certainty for the education system, a certain helplessness in education policy can be observed. The recognition that reforms in the education system are not simply the implementation of a well thought-out plan, but rather a struggle in complex systems to find a better solution, and that the state is one, albeit influential, actor among many, is a merit of "Educational Governance" as an approach to educational research. With the help of this approach, this paper has been able to examine the hitherto little-noticed perception of the actors and their importance in the implementation of reforms exemplarily. The effectiveness of educational management concepts thus also depends on the perception of the actors in the education system. In the classical multi-level system of ministry of education and school administration, school organisation of individual schools and the teaching of teachers in the educational programmes, the perception of the actors is of particular importance for the linking of the different levels and thus also for the optimisation of the overall system.

Legally or administratively conceded extensions of autonomy and thus of the autonomy of educational institutions represent a more recent reform strategy of the so-called New Governance, even though the older writings of the autonomy debate focused on self-determination and self-administration of the subjects. Two models of the legal form reform of vocational schools in the Hanseatic City of Hamburg and the state of Schleswig-Holstein were used to examine how the actors school administration, school management and teaching staff in the multi-level system perceive the political control configurations of the reform models. In the reform models examined, respective differences in the assessments between the actors at the adjacent levels are clearly discernible: While the members of the educational administration show a broad agreement with the reform provisions laid down by law or regulation in their assessments, the assessments at the level of the school management sometimes deviate decidedly in the provisions relevant to the exercise of their office. Particularly strong deviations can be seen at the level of the teachers or employee representatives concerned. These "implementation breach" impede the acceptance and implementation of the respective reform. In the mandatory model of the Hamburg Institute for Vocational Education and Training, the perception of the actors shows considerably more implementation breaches – indicating a lack of acceptance of the reform – than in the model of the Regional Vocational Training Centres in Schleswig-Holstein which is characterised by voluntary access. In the latter case, "implementation exceedings" can be identified which ultimately confirm the reform.

The study serves to theoretically and empirically examine the perception of the actors in school administration, school management and teachers of the implementation of new management concepts. It allows conclusions to be drawn for the practice of reforms, for example in the areas of organisational development and communication and interaction. For a holistic and sustainable approach to school development, a systemic perspective with a stronger consideration of the actors and their perception in reform processes is appropriate. The need for reform, particularly in the area of vocational schools, could be addressed here.

Due to the limited empirical basis within the framework of this study, the presented study does not permit an evaluative assessment of the different reform approaches in Hamburg and Schleswig-Holstein. The limitation of the subject of the study rather indicates a need for further research, for example concerning the effectiveness of reform strategies.

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