Wie impulsiv ist ein Sensation Seeker? : Eine theoretische Analyse und eine empirische Studie zur diskriminanten Validität von Impulsivität und Sensation Seeking im Kontext von Stressreaktionen

In der bisherigen Forschungsgeschichte wurde wiederholt die Verwandtschaft der Konstrukte Sensation Seeking und Impulsivität betont, wobei aufgrund widersprüchlicher theoretischer Vorannahmen und inkonsistenter Befunde sowie des Fehlens einer überzeugend differenzierten Untersuchung bisher kein Konsens hinsichtlich der Charakterisierung ihrer Beziehung zueinander erreicht wurde (z.B. Eysenck & Eysenck, 1978; Cloninger, 1987; Zuckerman, 1994; Barratt, Orozco-Cabal & Moeller, 2004; Steinberg et al., 2008). Mit der Zielstellung diese Lücke zu schließen, untersucht die vorliegende Arbeit die Beziehung der beiden Konstrukte im ersten Teil im Rahmen einer umfassenden theoretischen Analyse und überprüft daraus abgeleitete Annahmen anschließend im zweiten Teil anhand einer empirischen Studie. Der theoretische Teil beginnt mit einer genauen Analyse der einzelnen Konstrukte selbst. Ausgehend von verschiedenen Modellen und Vorschlägen zur Konzeption und Erfassung von Impulsivität wird schließlich der Aspekt fehlender bzw. mangelnder (Verhaltens-)Hemmung bzw. Kontrolle (z.B. Barratt, 1994) als grundlegendes Merkmal für Impulsivität identifiziert und ein eigenes korrespondierendes Modell zur Klassifizierung entsprechender Subfacetten von Impulsivität vorgestellt, das darüber hinaus erstmals den prozessualen Charakter der Beziehung zwischen den einzelnen Komponenten des Konstruktes modelliert. Die anschließende Auseinandersetzung mit dem Persönlichkeitsmerkmal Sensation Seeking favorisiert nach kritischer Diskussion verschiedener Konzeptionsansätze und Messinstrumente das (Stimulations-)Bedürfniskonzept (Arnett, 1994; Roth & Hammelstein, 2012) gegenüber Zuckermans (1979, 1994) ursprünglichem Trait-Ansatz. Auf diesen separaten Analysen aufbauend erfolgt eine inhaltlich-konzeptionelle Untersuchung des Beziehungsgeflechtes zwischen beiden Konstrukten. Diese offenbart zwar einen dualistischen Charakter des Verhältnisses, der sich in Abhängigkeit davon, von welchem Konstrukt aus man es betrachtet, verändert, gleichzeitig aber eindeutig für eine Trennung beider Konzepte auf theoretischer Ebene argumentiert. Dabei lassen sich vor allem im Kontext von Stressreaktionen deutliche Unterschiede zwischen beiden Konstrukten vermuten. Zur empirischen Überprüfung dieser Sichtweise wurde zudem eine Studie zur Untersuchung der diskriminanten Validität beider Konstrukte im Kontext von Stresserleben bzw. Stressfolgen (durch Lärm induziert) durchgeführt, wobei folgende zwei Annahmen als Ausgangspunkt dienten: (1.) Da Personen mit hohen Sensation-Seeking-Ausprägungen Situationen präferieren, die mit emotional-kognitiver Erregung assoziiert sind, lässt sich vermuten, dass diese eher in der Lage sind, das mit Belastungen, An- und Überforderungen verbundene erhöhte Arousal zu tolerieren und weniger beeinträchtigt werden (z.B. Smith, Ptacek & Smoll, 1992; Roberti, 2003). Zwar konnten verschiedene Studien die Hypothese, dass negative Effekte der Stressbelastung durch eine erhöhte Sensation Seeking-Ausprägung abgemildert werden (sog. Stress-Puffer-Hypothese), im Prinzip bestätigen, allerdings müssen die bisherigen Befunde vor dem Hintergrund methodischer Mängel als vorläufig relativiert werden. (2.) Merkmale von Impulsivität auf kognitiver und Verhaltensebene weisen hingegen einerseits deutliche Parallelen zu Auswirkungen von (akutem) Stress auf. Stress führt also gewissermaßen zu impulsiverem Verhalten (z.B. Ego-Depletion-Effekt). Gleichzeitig wird Impulsivität gemäß dem Diathese-Stress-Modell als Vulnerabilitätsfaktor für zahlreiche psychische Störungen diskutiert und sowohl konzeptionell bedingt als auch empirisch gestützt mit einer höheren Anfälligkeit für Stress(erleben) in Verbindung gebracht (z.B. Lok & Bishop, 1999; Corr & Kumari, 1998). Es ist also anzunehmen, dass Personen mit hohen Ausprägungen von Impulsivität auch stärkere Beeinträchtigungen unter Stress zeigen. Aus der Kombination dieser beiden Annahmen ergibt sich damit schließlich die Hypothese unterschiedlicher Wirkungsrichtungen für die stressmoderierenden Effekte beider Konstrukte und damit ein deutlicher Hinweis auf eine diskriminante Validität. Allerdings wurden diese Zusammenhänge bislang nicht unter Berücksichtigung der verschiedenen Beobachtungsebenen von Stresseffekten systematisch untersucht. In der vorliegenden Studie mit 144 Schülern der gymnasialen Oberstufe wurde die Hypothese unterschiedlicher stressmoderierender Effekte für Impulsivität und Sensation Seeking anhand einer Korrekturleseaufgabe unter Variation akustischer Stressoren experimentell überprüft und mögliche Unterschiede in Abhängigkeit der (Subfacetten der) Konstrukte auf folgenden drei Ebenen untersucht: 1. Selbstberichtsmaße (zum Stresserleben und Leistungseinschätzung), 2. Leistungsmaße (Güte des Korrekturlesens) und 3. Peripher-physiologische Parameter (EDA, Herzrate, Fingerpulsamplitude und Fingertemperatur). Die Befunde zeigen zwar, dass sich die induzierte Stressbelastung auf allen drei Ebenen in vergleichbarer Weise (signifikant) niederschlägt. Allerdings fanden sich keinerlei Hinweise auf (spezifische) stressmoderierende Effekte in Abhängigkeit der Konstrukte.
Psychological research so far repeatedly emphasizes the close relationship between the constructs sensation seeking and impulsiveness, without any consensus how this relationship should be characterized in detail, which is not surprising, considering the contradictory theories and inconsistent results as well as the lack of a convincingly differentiated examination (e.g., Eysenck & Eysenck, 1978; Cloninger, 1987; Zuckerman, 1994; Barratt, Orozco-Cabal, & Moeller, 2004; Steinberg et al., 2008). In an effort to fill this gap, the present work investigates the relationship between the two constructs by conducting a theoretical analysis in the first part and a test of thereof derived assumptions with an empirical study in the second. The theoretical part begins with a detailed analysis of both constructs. Starting from various models and proposals for the conceptualization and assessment of impulsiveness, the aspect of a lacking or insufficient inhibition or control (e.g., Barratt, 1994) is identified as the basal feature of impulsiveness. In addition a new corresponding model for classifying subfacets of impulsiveness is presented, which also elaborates the processual character of the relationship between these components. The following review of the construct sensation seeking leads from the critical discussion of different conceptualization approaches and measurement strategies to a preference of the need concept of sensation seeking (Arnett, 1994; Roth & Hammelstein, 2012) over Zuckerman’s (1979, 1994) initial trait theory. Based on these separate analyses, a theoretical examination of the relationship between both constructs reveals a dualistic character, depending on from which side it is seen, but always argues for a distinction between both concepts on a theoretical level. Especially in the context of stress reactions one can assume a significant difference between both constructs. To prove this conclusion empirically, a study was conducted to test the discriminant validity of both constructs in context of noise stress effects. It is based on the following two hypotheses: (1.) Since people who score high on sensation seeking prefer situations that are bound to physiological, emotional and cognitive arousal, one can assume that they are better at tolerating and coping with the increased arousal bound to demanding and stressful circumstances, whereby negative consequences of stress could be buffered by high amounts of sensation seeking (stress-buffering hypothesis; e.g., Smith, Ptacek, & Smoll, 1992; Roberti, 2003). Although a number of studies confirm this assumption in principle, these results must be relativized due to methodological flaws. (2.) In contrast, behavioral and cognitive characteristics of impulsiveness show obvious parallels to (acute) stress effects. Therefore, stress leads to more impulsive behavior to a certain extent (e.g., ego-depletion-effect). At the same time, according to the diathesis-stress model, impulsiveness is considered to be a vulnerability factor for numerous mental disorders and to be related to increased stress effects, which is reasonable on a conceptual level as well as empirically supported (e.g., Lok & Bishop, 1999; Corr & Kumari, 1998). Therefore it can be assumed that persons with higher scores of impulsiveness show also more impairment under stress. Nonetheless, until now these relationships were not investigated systematically with regard to different observation levels of stress effects. At last, a combination of these two assumptions lead to the hypothesis of different directions of the stress-moderating effects of both constructs and point to a discriminant validity. In the present study, the hypothesis of different stress-moderating effects for impulsiveness and sensation seeking was tested within a population of 144 students of German academic high schools using a proof-reading task under variations of acoustical stressors with regard to construct-specific stress effects on the following three levels: 1. self-report (experienced stress), 2. performance (quality of proof-reading) and 3. Peripheral physiological parameter (SCL, heart rate, finger pulse amplitude, and finger temperature). Although the results indicate a successful stress induction on all three levels in an analogues manner, no evidence for any (specific) stress-moderating effect of the constructs was found.

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