ATP-sensitive Muskelafferenzen aktivieren spinale, trigeminale Neuronen, die meningeale afferente Informationen verarbeiten – pathophysiologische Auswirkungen für Spannungskopfschmerz

Language
de
Document Type
Doctoral Thesis
Issue Date
2019-12-10
Issue Year
2019
Authors
Nöbel, Moritz
Editor
Abstract

Abstract BACKGROUND:

Tension-type headache and other primary headaches may be triggered or aggravated by disorders of pericranial muscles, which is possibly due to convergent or collateral afferent input from meningeal and muscular receptive areas. In rodent models high extracellular concentrations of ATP caused muscle nociception and central sensitization of second order neurons. In a rat model of meningeal nociception we asked if spinal trigeminal activity induced by ATP can be modulated by local anaesthesia of distinct muscles. METHODS:

Ongoing activity was recorded from spinal trigeminal neurons with afferent input from the cranial dura mater, the temporal muscle and neck muscles. The stable ATP analogue α,β-methylene adenosine 5'-triphosphate (α,β-meATP, 10 mM) was injected into the ipsilateral temporal muscle, 30 min later followed by injection of local anaesthetics (lidocaine, 2 %) into the ipsilateral neck muscles and/or the temporal muscle. RESULTS:

Injection of α,β-meATP into the temporal muscle caused progressive increase in ongoing activity of most of the spinal trigeminal neurons within 30 min. Injection of lidocaine into the neck muscles and/or the temporal muscle reduced this activation to previous levels within 10 min. CONCLUSIONS:

Distinct spinal trigeminal neurons processing meningeal nociceptive information are under the control of convergent afferent input from several pericranial muscles. Blockade of at least one of these inputs can normalize central trigeminal activity. This may explain why therapeutic manipulations of head muscles can be beneficial in primary headaches. KEYWORDS:

Local anaesthesia; Meningeal nociception; Pericranial muscles; Tension-type headache; α,β-meATP

Abstract

ZUSAMMENFASSUNG DEUTSCH

Hintergrund und Ziele Spannungskopfschmerz und andere Arten primärer Kopfschmerzen können durch Erkrankung der perikranialen Muskulatur ausgelöst oder verstärkt werden. Möglicherweise ist daran auch Adenosintriphosphat (ATP) beteiligt. ATP ist essentiell für eine effektive Muskelkontraktion, wobei seine natürliche Konzentration im Zytosol der Muskelzellen im Millimolbereich liegt. Sie steigt jedoch in Abhängigkeit von der Spannung, der Kompression und der Intensität der Muskelkontraktion an. Bei Zellschädigung und Entzündung im Muskel entstehen zudem hohe extrazelluläre Spiegel von ATP, was eine purinerge Signalübertragung induziert und so Muskelschmerz verursachen kann. Durch solche nozizeptiven Prozesse in der Nackenmuskulatur kommt es zu einer Sensibilisierung von zentralen Neuronen mit afferentem Zustrom aus der entsprechenden Muskelgruppe. Die Aktivität dieser Neurone kann zu Kopfschmerzen führen, wenn sie zusätzlich afferenten Zustrom aus den Hirnhäuten bekommen, was vor allem bei Spannungskopfschmerz, vielleicht auch bei Migräne eine wichtige Rolle spielen dürfte. Die zentrale Sensibilisierung spiegelt sich in einer erhöhten Druckempfindlichkeit und einer Verhärtung der Kopf- und Nackenmuskulatur bei Kopfschmerzpatienten wieder. Der Druck auf die verspannte Muskulatur bei diesen Patienten verursacht Schmerzen ähnlich denen, die sie bei ihrer Migräne oder ihren Spannungskopfschmerzen verspüren. Je höher die Empfindlichkeit der Muskulatur ist, desto intensiver und häufiger treten bei diesen Patienten Kopfschmerzen auf. Dementsprechend sind auch die Druckschmerzschwellen in der Kopf- und Nackenregion verringert. In Tierstudien zu vaskulären und neuronalen Funktionen wird häufig das stabile ATP-Analogon α,β-Methylenadenosin-5′-triphosphat (α,β-meATP) verwendet. Es stimuliert bevorzugt C- und langsam leitende A-Fasern, löst Einwärtsströme an nozizeptiven Neuronen im Spinalganglion bzw. im Ganglion trigeminale aus und verstärkt die nozizeptive Verarbeitung im trigeminalen Hirnstamm. Ziel der Untersuchungen war es, herauszufinden, ob die Injektion von α,β-meATP in den M. temporalis die Aktivität von zentralen Neuronen mit konvergentem afferenten Zustrom aus diesem Muskel und der Dura mater encephali beeinflusst, deren Reizung beim Menschen für die Entstehung von Kopfschmerzen hauptverantwortlich gemacht wird. Die gewonnenen Ergebnisse ließen Schlüsse über die potentiellen endogenen Einflüsse von ATP in perikranialen Muskeln auf die Kopfschmerzentstehung zu. Material und Methoden Die Experimente wurden an 16 adulten, narkotisierten Wistar-Ratten durchgeführt. Dabei wurden mit Hilfe von in den Hirnstamm eingeführten Mikroelektroden extrazelluläre Ableitungen von Neuronen des spinalen Trigeminuskerns durchgeführt. Alle untersuchten Neurone hatten konvergenten afferenten Input aus einer durch Trepanation freigelegten Seite der parietalen Dura mater encephali, dem Musculus temporalis und der Nackenmuskulatur. Die aufgezeichneten Signale (Aktionspotentiale) wurden im Anschluss an das Experiment mit Spike-Software ausgewertet. Nach den Versuchen erfolgte die Euthanasie der Tiere mit einer intravenösen Überdosis Thiopental (Trapanal). Nach einer Kontrollphase von 30 Minuten, während der die Spontanaktivität der Neurone aufgezeichnet wurde, folgte die Injektion einer physiologischen Kochsalzlösung (0,9% NaCl, 50 µl) in den M. temporalis innerhalb von einer Minute. Nach weiteren 30 Minuten Beobachtungsphase wurden 50 µl α,β-meATP in den M. temporalis injiziert, um die neuronale Aktivität für weitere 60 Minuten zu beobachten. Nach dieser Phase wurde bei 14 Experimenten die Aktivität für weitere 10 Minuten als Kontrollphase für einen zweiten Versuchsabschnitt aufgezeichnet. Bei 10 Versuchen wurden nun 60 µl 2%iges Lidocain in die ipsilaterale, mediale Nackenmuskulatur (M. semispinalis und M. rectus capitis), dann in den M. temporalis injiziert und zuletzt auf die offen liegende Dura mater encephali im Bereich der Arteria meningea media appliziert. Die Aktivität wurde nach jeder Lidocain-Gabe für 20 Minuten beobachtet. Bei 4 Versuchen wurden nach der Kontrollzeit von 10 Minuten direkt nacheinander 60 µl Lidocain und 50 µl α,β-meATP in den ipsilateralen M. temporalis injiziert und über 60 Minuten als Beobachtungsphase aufgezeichnet. Ergebnisse und Beobachtungen Die abgeleiteten Neurone befanden sich kaudal des Obex und seitlich der Mittellinie ipsilateral zur freigelegten Dura mater in der Medulla oblongata. Die Neurone mit afferentem Zustrom über A-delta- und C-Fasern hatten rezeptive Felder in der Umgebung der Arteria meningea media und konvergenten Input aus den Gesichtsregionen der Anteile aller drei Äste des Nervus trigeminus, aus M. temporalis, der Nackenmuskulatur und dem Periost in der Umgebung des kranialen Knochenfensters. Die Spontanaktivität der Zellen lag zwischen 0,1 und 1304 Impulsen pro Minute. Ihre mechanischen Schwellenwerte auf der Dura mater wurden mit von-Frey-Filamenten zwischen 0,78 und 2,9 mN bestimmt. Die Injektion von Kochsalzlösung (Vehikel) in den M. temporalis verursachte keinen signifikanten Anstieg der Aktivität der Neurone. Die Injektion von α,β-meATP in den gleichen Muskel bewirkte bei der Mehrzahl der Neurone einen zunehmenden Anstieg der Aktivität innerhalb von 30 Minuten. Die Injektion eines Lokalanästhetikums (Lidocain) in die Nackenmuskulatur und in den M. temporalis hob diese Aktivierung innerhalb von 10 Minuten auf. Bei den 4 Zellen mit Injektion von Lidocain direkt nach α,β-meATP in den M. temporalis war in 2 Fällen ein signifikanter Abfall, in einem ein leichter Abfall und in einem weiteren ein Anstieg der Aktivität zu verzeichnen. Schlussfolgerungen Die Injektion von α,β-meATP in den M. temporalis und die Nackenmuskulatur bewirkt einen Anstieg der Aktivität spinaler trigeminaler Neurone, die nozizeptive Informationen aus den Meningen und der Kopfmuskulatur verarbeiten. Die anschließende Lokalanästhesie der genannten Muskulatur mit Lidocain hebt diese Aktivierung auf. Dies zeigt, dass besagte Neurone unter der Kontrolle von konvergentem, afferenten Input perikranialer Muskeln stehen. Die Blockade dieses Inputs kann die zentrale trigeminale Aktivität normalisieren. Dies könnte die Wirksamkeit therapeutischer Manipulationen an der Kopfmuskulatur und der Blockade von kranialen Nerven bei primären Kopfschmerzen erklären.

DOI
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