Über Nichtfind-Bücher. Zugangsbücher und Inventare Göttinger Institutsbibliotheken nach 1933

  • Zugangsbücher und Inventare sind die wichtigsten Ausgangspunkte für die Provenienzforschung – sollte man meinen. Doch eben dieses Hilfsmittel erweist sich (jedenfalls bei Göttinger Institutsbibliotheken) als nahezu unbrauchbar beim Aufspüren „kontaminierter“ Bestände. Denn sie legen nur höchst selten Rechenschaft darüber ab, ob ein Lieferant als potentiell verdächtig einzustufen ist oder nicht. Die Hauptgründe dafür liegen in der engen Kooperation des Antiquariats- und Buchhandels mit NS-Gliederung wie dem Reichssicherheitshauptamt oder der SS-Forschungsgemeinschaft „Ahnenerbe e.V.“. Während Universitätsbibliotheken intensiv mit zum Beispiel der Reichstauschstelle , dem Beschaffungsamt der deutschen Bibliotheken und der Notgemeinschaft für die deutsche Wissenschaft kooperierten (womit die in den Zugangsbüchern nachgewiesenen Lieferungen dieser Stellen leichthin als „verdächtig“ auszumachen sind), waren – nur? – die Göttinger Institutsbibliotheken auf andere Beschaffungswege angewiesen: nämlich vor allem auf den Antiquariatshandel in Deutschland und den von der Wehrmacht besetzten Gebieten. Nach 1945 blieben auch solche Antiquariate, die von Arisierungsmaßnahmen, Beschlagnahmeaktionen bei Juden und Regimegegnern oder auch von Geschäften mit der Wehrmacht profitiert hatten, offenkundig weit gehend unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der alliierten Behörden. Noch lange in der Nachkriegszeit machten sie weiter Geschäfte mit Büchern, die sie illegal in ihren Besitz gebracht hatten. Im Zuge der Bücherverbrennung 1933 sind offenkundig viele Bibliotheken von gründlichen „Säuberungsaktionen“ betroffen gewesen und „judenrein“ gemacht worden; auch die Werke verbotener Auto-ren wurden systematisch entfernt. Nach 1945 galt es für eben jene Bibliotheken, die dadurch entstandenen klaffenden Lücken zu schließen: Eine germanistische Bibliothek ohne Bücher der Manns und Zweigs, Heines, Kafkas, Werfels, Tucholskys war schlicht nicht funktionsfähig. Da die deutsche Verlagslandschaft lange brauchte, um Neuausgaben verfügbar zu machen, fiel sie als Lieferant oft aus. Aber in den Antiquariaten waren eben jene bis 1945 verbotenen Werke vielfach in Erstausgaben vorhanden und günstig zu erwerben.

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Metadaten
Author:Frank Möbus
URN:urn:nbn:de:0290-opus-11443
Document Type:Conference publication (Lecture Text/Appearance)
Language:German
Date of Publication (online):2011/07/14
Year of Completion:2011
Release Date:2011/07/14
Tag:Antiquariatskäufe; Provenienzforschung; Provenienzlücke; Provenienzrecherche; Raub- und Beutegut
Themes:Historische Sammlungen, Provenienzforschung, Bestandserhaltung
Sonstiges
German Bibliothekartage / BiblioCon:100. Deutscher Bibliothekartag in Berlin 2011
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