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Relatives Einschulungsalter und Symptome einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS): Ergebnisse einer Kohortenstudie mit Waldorfschülern
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Published: | August 8, 2016 |
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Hintergrund: Nationale und internationale Studien konnten zeigen, dass die jüngsten Kinder einer Klasse verglichen mit ihren älteren Mitschülern in der schulischen Leistungsfähigkeit benachteiligt sind. Querschnittstudien berichten von Zusammenhängen zwischen relativ jungem Einschulungsalter und Symptomen, Diagnosen und Medikation für eine ADHS im Grundschulalter. Hier könnte die relative Unreife der jungen Kinder eine entscheidende Rolle spielen. An Waldorfschulen sollen negative Folgen des Einschulungszeitpunkts auf die Gesundheit durch ein die individuelle Reife berücksichtigendes Aufnahmeverfahren verhindert und durch das Erziehungskonzept abgefangen werden. In der vorliegenden Arbeit wurde daher erstmals prospektiv untersucht, ob sich auch bei Schülern an Waldorfschulen ein Zusammenhang zwischen relativem Einschulungsalter und ADHS-bezogenen Symptomen im Grundschulalter zeigt.
Methoden: Die Grundlage der Studie bildete eine bundesweite prospektive Kohortenstudie mit N=2.634 Kindern von N=86 deutschen Waldorfschulen (=43% aller Waldorfschulen). Für die vorliegende Analyse wurden alle im Jahr 2008 entsprechend der Stichtagsregel eingeschulten Kinder mit einem Follow-Up in der 2. (2010) und/oder 4. Klasse (2012) eingeschlossen. ADHS-bezogene Symptome wurden zu drei Zeitpunkten (2008, 2010, 2012) mit Hilfe der ADHS-Skala (Werte von 0 bis 10) des Fragebogens zu Stärken und Schwächen (SDQ) in der Eltern- und Lehrerversion erhoben. Zusammenhänge zwischen Einschulungsalter und ADHS-bezogenen Symptomen wurden mittels linearem gemischten Modell untersucht. Um Zusammenhänge mit klinisch relevanten Symptomen aufzuzeigen, wurde die ADHS-Skala anhand von deutschen Referenzwerten dichotomisiert (ein ADHS-Score von ≥6 galt als grenzwertig/auffällig). Odds Ratios (OR) und 95%-Konfidenzintervalle (95%KI) wurden mittels logistischer Regression berechnet und für wichtige Confounder adjustiert.
Ergebnisse: 1.383 Kinder (659 Mädchen, 724 Jungen) wurden in die Analysen eingeschlossen. Das Durchschnittsalter bei Einschulung lag bei 6,7 Jahren. Es zeigte sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen älterem Einschulungsalter und niedrigerem ADHS-Score in der 2. Klasse (adjustierte Schätzer pro Jahr: Eltern: β= -0,49, p= 0,0084; Lehrer: β= -0,68, p= 0,015). Zum Zeitpunkt der 4. Klasse waren die Effekte deutlich schwächer (Eltern: β= -0,17, p= 0,36; Lehrer: β= -0,03, p= 0,92). Nach Eltern- und Lehrerangaben wiesen 5,4% bzw. 18,5% der Kinder zum Zeitpunkt der 2. Klasse einen grenzwertigen/auffälligen ADHS-Score auf. In der 4. Klasse waren es jeweils 6,0% bzw. 15,6%. Es zeigte sich eine geringere Wahrscheinlichkeit für einen grenzwertigen/auffälligen ADHS-Score in der 2. Klasse mit steigendem Einschulungsalter (adjustierte ORs pro Jahr: Eltern: OR: 0,49; 95%KI: 0,17-1,40; Lehrer: OR: 0,47; 95%KI: 0,27-0,84). Auch hier waren zum Zeitpunkt der 4. Klasse die Effekte schwächer (Eltern: OR: 0,55; 95%KI: 0,23-1,27; Lehrer: OR: 0,84; 95%KI: 0,47-1,52). Eine Adjustierung für potentielle Confounder und ADHS-bezogene Symptome vor Einschulung sowie eine Sensitivitätsanalyse mit multiplem Imputationsverfahren änderten die Ergebnisse nicht.
Schlussfolgerungen: Trotz selektivem Aufnahmeverfahren zeigte sich auch bei Waldorfschülern ein Zusammenhang zwischen relativ jungem Einschulungsalter und ADHS-bezogenen Symptomen. Der Effekt des Einschulungsalters wurde in diesem Kollektiv im Verlauf der Grundschulzeit schwächer. Eine adäquate Adjustierung änderte die Ergebnisse nicht. Sie stehen im Einklang zu anderen nationalen und internationalen Studien was einen kausalen Zusammenhang wahrscheinlicher werden lässt. Die vermittelnden Faktoren sind bislang unklar. Emotionale Unreife, schulische Überforderung, sozialer Anpassungsstress und Peergroup Probleme könnten hier eine Rolle spielen und ADHS-bezogene Symptome begünstigen.