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Studie zur Transferfunktion des Vokaltraktes – akustische Analyse am gedruckten 3D-Modell mittels retrograder Schallanregung
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Published: | September 8, 2016 |
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Zusammenfassung
Hintergrund: Bei der Quelle-Filter-Theorie wirkt der Vokaltrakt (VT) als akustisches Filter des primären glottalen Stimmschalls und trägt maßgeblich zur Qualität des abgestrahlten Stimmschalls bei. Die Form des VT ist das Resultat von mehr oder weniger bewussten Einstellungsvorgängen. Dabei gelten die Grundzüge der Vokalformantbildung in Mundhöhle und Oropharynx als bekannt. Die für die Stimmqualität wichtige Formantierung der höheren Frequenzen wird unteren Bereichen des VT zugeschrieben. Genauere Erkenntnisse dazu fehlen bislang. Motivation dieser Studie war die Weiterentwicklung der Topologie der frequenzspezifischen Filterfunktion des VT.
Material und Methoden: Mit einem Sänger (Bass, Alter 24 J.) wurden in einem 3T MR Tomografen (Siemens) Aufnahmen eines gehaltenen /a/ (Tonhöhe A3, 220 Hz) in sprechhafter und sängerischer Tongebung als statische MRT-Aufnahmen des gesamten VT durchgeführt.
Anschließend erfolgte eine 3D-Rekonstruktion des VT in beiden Stimmgebungsmodi. Zudem wurden zwei VT-Hybride beider Stimmgebungsmodi mit kreuzweiser Transposition des Larynx erstellt.
Die so erstellten vier Vokaltraktmodelle wurden im 3D-Drucker (Ultimaker 2) aus Polyactide gedruckt und im schallarmen Raum wurde die Transferfunktion (TF) durch Subtraktion von Mikrofonsignal glottisch vom Mikrofonsignal an den Lippen gemessen.
Ergebnisse: Die ermittelten TF zeigten ähnliche und damit gut reproduzierbare Vokalformanten von plausibler Frequenz. Die höheren Formanten waren in der sängerischen Einstellung stärker und tiefer sowie enger zusammen als in der sprechhaften Tongebung. Die Hybrid-Modelle zeigten jedoch keine nennenswerte Umkehrung der beobachteten Effekte.
Diskussion: Die dargelegte Methode ermöglicht eine verlässliche und plausible Bestimmung der TF des VT am gedruckten 3D-Modell auf Basis der Real-Geometrie mittels retrograder Schalldruckanregung. Ein Austausch von VT-Segmenten akustisch verschiedener Konfiguration könnte einen Beitrag zur genaueren frequenzbezogenen Topologie der TF ermöglichen.
Fazit: Die Modellierung der Real-Geometrie des VT ist mittels MRT für verschiedene funktionelle Zustände der Stimmgebung möglich. Eine Weiterentwicklung der vorgestellten Hybridisierung könnte zur frequenzspezifischen Topologie der TF des VT genutzt werden. Anwendungsmöglichkeiten bestehen hinsichtlich einer gezielten Detektion der maßgeblichen Geometriekonstellationen zur Beeinflussung der Formantlagen und haben damit Grundlagenforschungscharakter.
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Hintergrund
Bei der Quelle-Filter-Theorie wirkt der Vokaltrakt (VT) als akustisches Filter des primären glottalen Stimmschalls und trägt maßgeblich zur Qualität des abgestrahlten Stimmschalls bei [1]. Die Form des VT ist das Resultat von mehr oder weniger bewussten Einstellungsvorgängen. Dabei gelten die Grundzüge der Vokalformantbildung in Mundhöhle und Oropharynx als bekannt. Die für die Stimmqualität wichtige Formantierung der höheren Frequenzen wird unteren Bereichen des VT zugeschrieben [1]. Genauere Erkenntnisse dazu fehlen bislang. Motivation dieser Studie war die Weiterentwicklung der Topologie der frequenzspezifischen Filter- bzw. Transferfunktion des VT.
Methoden
Mit einem Sänger (Bass, Alter 24 Jahre) wurden in einem 3T MR Tomografen (Fa. Siemens) Aufnahmen eines gehaltenen /a/ (Tonhöhe A3, 220 Hz) in sprechhafter und sängerischer Tongebung als statische 3D-MRT-Aufnahmen des gesamten VT durchgeführt. Die Aufnahmezeit betrug etwa 12 s und es wurden 52 Bilder in einer Schichtdicke von 1,8 mm aufgenommen. Nach zentralpfadgestützter Bildtransformation entlang des VT erfolgte eine 3D-Rekonstruktion in beiden Stimmgebungsmodi [2]. Zudem wurden zwei VT-Hybride beider Stimmgebungsmodi mit kreuzweiser Transposition des Larynx erstellt.
Die so erstellten vier Vokaltraktmodelle wurden im 3D-Drucker (Ultimaker 2) aus Polyactide gedruckt. Zur Vermeidung der Schallabstrahlung über die Modellwände wurden die Modelle mit ca. 1 cm starkem Gips umhüllt. In einem schallarmen Raum wurde das Modell über die Mundöffnung mittels eines breitbandigem Gleitsinus angeregt. Zur Bestimmung der Transferfunktion (TF) wurde das Verhältnis der an der Glottis und der Mundöffnung gemessenen Spektren als Schalldruck-Transferfunktion verwendet.
Ergebnisse
Die ermittelten TF zeigten ähnliche und damit gut reproduzierbare Vokalformanten von plausibler Frequenz. Die höheren Formanten waren in der sängerischen Einstellung stärker und tiefer sowie enger zusammen als in der sprechhaften Tongebung (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]). Die Hybrid-Modelle zeigten jedoch keine nennenswerte Umkehrung der beobachteten Effekte.
Diskussion
Die dargelegte Methode ermöglicht eine verlässliche und plausible Bestimmung der TF des VT am gedruckten 3D-Modell auf Basis der Real-Geometrie mittels retrograder Schalldruckanregung. Die akustischen Charakteristika einer sängerischen Tongebung finden in der am Modell gemessenen TF mit der Zusammenziehung der Formanten 3 bis 5 die erwartete Entsprechung im Sinne des Sänger-Formant-Clusters [2]. Hybridmodelle von sängerischer und sprechhafter VT-Konfiguration mit kreuzweisem Austausch des Larynx entsprechen bezüglich der gemessenen TF jeweils dem Modus des Hauptanteils der Hybride (siehe Abbildung 2 [Abb. 2] und Abbildung 3 [Abb. 3]). Mit anderen Worten: ein sängerischer Kehlkopf am sprechhaften Gesamt-VT verursachte im vorgestellten Versuchsaufbau keine Formantverschiebung in Richtung rein sängerischer TF und umgekehrt.
Gleichwohl vermuten die Autoren, dass die vorgestellte Technik des Austausches von VT-Segmenten zwischen verschiedenen Phonationsmodi und Vergleich der resultierenden TF am gedruckten Modell in systematisierter Form einen Beitrag zur genaueren frequenzbezogenen Topologie der TF liefern könnte.
Fazit
Die Modellierung der Real-Geometrie des VT ist mittels MRT für verschiedene funktionelle Zustände der Stimmgebung möglich. Der 3D-Druck solcher Modelle ermöglicht die akustische Messung der TF, welche die realen akustischen Unterschiede widerspiegelt.
Eine Weiterentwicklung der vorgestellten Hybridisierung könnte zur frequenzspezifischen Topologie der TF des VT genutzt werden. Anwendungsmöglichkeiten bestehen hinsichtlich einer gezielten Detektion der maßgeblichen Geometriekonstellationen zur Beeinflussung der Formantlagen und haben damit Grundlagenforschungscharakter.
Literatur
- 1.
- Fant G. Acoustic theory of speech production. The Hague, The Netherlands: Mouton & Co.; 1960.
- 2.
- Sundberg J. Articulatory interpretation of the "singing formant". J Acoust Soc Am. 1974 Apr;55(4):838-44. DOI: 10.1121/1.1914609
- 3.
- Poznyakovskiy AA, Mainka A, Platzek I, Mürbe D. A Fast Semiautomatic Algorithm for Centerline-Based Vocal Tract Segmentation. Biomed Res Int. 2015;2015:906356. DOI: 10.1155/2015/906356