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Menschenrechtsbildung in NS-Gedenkstätten

Neue pädagogische Überlegungen zum Lernen aus der Geschichte des Nationalsozialismus

Ganske, Katja

Aus der Geschichte zu lernen bedeutet, in der Gegenwart und Zukunft historisch bewusst zu handeln, Entscheidungen mit dem Wissen über Vergangenes zu treffen und mit Blick auf Historie Sensibilität für gegenwärtige Prozesse zu entwickeln. Gegenwarts- und Subjektbezüge sind entscheidende Voraussetzungen für das Geschichtslernen: Ohne die Einbindung der Identität der Adressatinnen in den Lernprozess, ohne jegliche Bezugnahme auf für den Lernenden subjektiv Bedeutsames wird jede pädagogische Bemühung erfolglos bleiben. In der historisch-politischen Bildung an Gedenkorten für die Opfer des Nationalsozialismus ist diese Problematik aktueller denn je: Die Gedenkstättenpädagogik steht mit der zunehmenden zeitlichen Distanz zum historischen Ereignis und ihrer multi-ethnischen Adressatenschaft vor einer pädagogischen Herausforderung. Zwar bildet die Auseinandersetzung mit NS-Geschichte einen wichtigen inhaltlichen Schwerpunkt in Schulen und Öffentlichkeit, doch belegen die Ergebnisse empirischer Studien erhebliche Wissenslücken. Mehr noch: Im internationalen Vergleich zeigen insbesondere deutsche Jugendliche deutlich weniger Interesse an der Zeit des Nationalsozialismus als Jugendliche anderer Länder. Statt mit Interesse an Geschichte reagieren sie mit Abwehr und bekunden, das Thema „satt zu haben“. Angesichts solcher Entwicklungen stellt sich dementsprechend die Frage, wohin sich Gedenkstättenpädagogik zukünftig entwickeln wird. Um Bezüge zwischen Vergangenheit und Gegenwart bewusster einzubeziehen, gibt es in NS-Gedenkstätten Diskussionen darüber, sich stärker in Richtung Menschenrechtsbildung auszurichten. Die Verknüpfung von Gedenkstättenpädagogik und Menschenrechtsbildung soll bewirken, eine stärker gegenwartsorientierte Geschichtsauseinandersetzung und damit einen subjektiv bedeutsamen Lernprozess anzuregen. Im Fokus der vorliegenden Forschungsarbeit steht die Frage, wie dieses Anliegen realisiert werden kann und welche Spannungsfelder in der gedenkstättenpädagogischen Praxis entstehen. Menschenrechtsbildung in NS-Gedenkstätten – allein die Worte klingen vielversprechend. Sie spiegeln genau das wider, was man in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung von historisch-politischer Bildung an NS-Gedenkorten erwartet: aus den begangenen Verbrechen für die Gegenwart lernen. Mit der vorliegenden Forschungsarbeit möchte ich eine Lücke schließen. Ziel ist es, ein umfassendes Modell von Menschenrechtsbildung in NS-Gedenkstätten zu entwickeln, Spannungsfelder und Potenziale herauszuarbeiten und schlussendlich Anregungen für die Weiterentwicklung der pädagogischen Praxis zu geben. Das Forschungsprojekt ist dementsprechend in der Praxisforschung zu verorten. Um die Fragestellung hinreichend zu bearbeiten, war eine Varianz an qualitativen Methoden erforderlich. So bilden Ergebnisse aus teilnehmender Beobachtung, Expertinneninterviews und Gruppendiskussionsverfahren die Datenbasis meiner Ausführungen.
Learning from history means acting with historical awareness in both the present and future, making decisions taking knowledge of the past into account and developing greater sensitivity for current processes in the light of what has gone before. Contemporary relevance and subject relations are decisive prerequisites for learning about history. Without integrating the addressee's identity within the learning process, without any references to facts of significance of subjective importance to the learner, all educational efforts will fail to bear fruit. This problem is more relevant than ever as far as the historico-political education at memorial sites for holocaust victims is concerned. The pedagogical approach to holocaust memorial sites is currently facing an educational challenge in the light of the increasing chronological distance to the historical events and their multi-ethnic audience. Although a discussion of National Socialist history continues to constitute an important focus in both schools and the public domain, the results of empirical studies attest to significant gaps in knowledge. And, what's more, in an international comparison, German teenagers demonstrate considerably less interest in the National Socialist era than those from other countries. Instead of displaying an interest in this aspect of history, they react defensively and state that they are "sick and tired" of the topic. In the face of such developments, the question of the direction which the pedagogical approach to holocaust memorial sites will take in future arises. In order to integrate connections between past and present more deliberately, those involved in the running of holocaust memorial sites are considering placing a stronger focus on human rights education. The fusion of both disciplines is designed to provoke more intense contemporary historical discussion and thus prompt a subjectively significant learning process. The present research project concentrates on the question of the extent to which this approach can be implemented and on the areas of tension which may arise in the practice of memorial site education as a result. Human rights education at holocaust memorial sites - the concept sounds promising. The terms reflect precisely what one would expect of the historico-political education at holocaust memorial sites offered by a free and democratic constitution: the opportunity to learn lessons for the present from past crimes. This research project seeks to close a gap. Its aim is to develop a comprehensive model of human rights education at holocaust memorial sites, analyse areas of tension and potential and, finally, provide suggestions for the further development of educational practice. In consequence, the research project is located firmly within practical research. In order to answer the question posed in an adequate manner, diverse qualitative methods were required. It follows that results obtained via participatory observation, expert interviews and group discussion processes form the basis of my deliberations.