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Entwicklung der geburtshilflichen Versorgung – am Beispiel geburtshilflicher Interventionsraten 1984-1999 in Niedersachsen

Schwarz, Clarissa

Im europäischen Vergleich liegen die geburtshilflichen Interventionsraten in der BRD vergleichsweise hoch. Diese Untersuchung soll die Entwicklung geburtshilflicher Interventionsraten sowie kindlicher und mütterlicher Outcome-Parameter darstellen, außerdem Untergruppen von Schwangeren ermitteln, die von besonders hohen Interventionsraten betroffen sind, sowie prädiktive Faktoren für die wichtigsten Interventionen identifizieren. Dafür wurden die Daten der niedersächsischen Perinatalerhebung für eine retrospektive Sekundäranalyse herangezogen. Die Daten der Jahrgänge 1984 bis 1999 (mehr als eine Million Fälle) wurden für deskriptive und bivariate Analysen, die Daten des Jahrgangs 1999 für multivariate Analysen verwendet (aufgrund von Modifikationen beinhaltet die Erhebung seit 2000 nicht mehr alle erforderlichen Variabeln). Im Rahmen der Diskussion werden auch Ergebnisse der Jahrgänge 2000 bis 2006 einbezogen. Im untersuchten Zeitraum nahm die Über-Standard-Versorgung während der Schwangerschaft beträchtlich zu, ebenso fast alle geburtsmedizinischen Interventionen, wobei das low-risk Kollektiv von steileren Zuwachsraten betroffen war als die Risiko-Schwangeren (nach WHO-Definition). Während der Anteil an Geburten ohne eine invasive Intervention auf 6,7% im Jahr 1999 sank, war keine entsprechende Verbesserung der kindlichen und mütterlichen Outcome-Parameter festzustellen, in den letzten Jahren sogar geringfügige Tendenzen zu einer Verschlechterung, insbesondere für das low-risk Kollektiv. Ein höheres Alter der Frau bestätigte sich nicht als unabhängiger Risikofaktor. Ältere Schwangere waren zwar von höheren Interventionsraten betroffen, dennoch lieferte das Alter für die Wahrscheinlichkeit dieser Interventionen keinen bzw. einen vernachlässigbaren Erklärungswert. Dagegen wurde die Wahrscheinlichkeit für eine vaginal-operative Entbindung sowie für eine sekundäre Sectio durch vorangegangene Interventionen – insbesondere Wehenmittelgabe – erhöht. Als wesentlichster prädiktiver Faktor für eine Geburtseinleitung ergab sich die Aufnahme in den Kreißsaal mit unreifem Befund (Muttermundsweite 1 cm oder weniger). Die Indikationen für operative Entbindungsmethoden zeigten insgesamt eine Zunahme weicher Indikationen, insbesondere die Indikation „Sonstiges“ stieg um ein Vielfaches. Im Versorgungsgeschehen des geburtshilflichen Bereichs sind aufgrund der Ergebnisse dieser Untersuchung Anzeichen von Fehlversorgung zu konstatieren, insbesondere eine beträchtliche Überversorgung von low-risk Schwangeren sowie eine übliche Praxis, die nur wenig evidenzbasiert ist. Im Sinne einer bedarfsgerechteren Versorgung – vor allem für die Mehrzahl von gesunden Schwangeren mit komplikationslosem Schwangerschafts- und Geburtsverlauf – bedarf es einer Versorgung, die geeignet ist, physiologische Prozesse zu stärken und unnötige Interventionen zu vermeiden. Dafür fehlen dem deutschen Versorgungssystem Strukturen, die salutogene Ansätze fördern, wie auch evidenz-basierte Leitlinien und Informationen, zudem eine Korrektur des finanziellen Anreizsystems.
Obstetrical intervention rates in Germany are among the highest in Europe. The aim of this investigation is to show the development of obstetrical intervention rates as well as neonatal and maternal outcomes. The focus is to determine subgroups of pregnant women who are particularly affected by high intervention rates and to identify predictor variables for the most important obstetrical interventions. The Lower Saxony Perinatal Survey is used for retrospective secondary analysis. Data from 1984-1999 (in total more than 1 million cases) are used for descriptive and bivariate analysis, and 1999 data for multivariate methods (as a result of modifications since 2000 the surveys no longer provide all variables needed). Results of the years 2000-2006 are included in the discussion. Over-standard use of medical care was found to be increasing during the period investigated. This finding related to antenatal care as well as to most obstetrical interventions. However, the low risk group showed a steeper rise in growth ratio compared to the high risk group (according to the WHO definition). Whereas the proportion of deliveries without invasive medical intervention declined to 6,7% in 1999, there was no proportional improvement of neonatal and maternal outcomes. During the most recent years even a slightly adverse trend especially in the low risk group was detected. Older age of the mother was not confirmed as an independent risk factor. Although older mothers showed higher intervention rates, age hardly seemed to be of any explanatory value for the probability of the interventions. In contrast, the probability of both assisted deliveries and caesarean sections after onset of labour was increased by previous interventions (particularly augmentation of labour). The most essential predictor variable for induction of labour was early admission to the labour ward (cervical dilatation 1 cm or less). Additionally, documented reasons for surgical delivery modes showed an overall increase in soft indications, particularly for the term “miscellaneous” which multiplied itself. In conclusion there is evidence of inappropriate health care utilisation in the obstetric field. In particular, there was considerable overtreatment of low risk mothers and weak evidence-base in usual practice. In terms of appropriate health care – particularly for the majority of healthy mothers with normal pregnancies and straightforward births – it is essential to provide health care services that are able to “keep birth normal” by strengthening normal physiological proccesses and avoiding unnecessary interventions. Institutional structures supporting a salutogenetic approach, evidence based guidelines, and information are still lacking. Further a correction of the financial incentive system is needed.