"Wer Hoheitsrechte hat, visitiert" : [Rezension zu: Anette Baumann, Visitationen am Reichskammergericht. Speyer als politischer und juristischer Aktionsraum des Reiches (1529–1588) (Bibliothek Altes Reich 24), Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2018, 264 S., ISBN 978-3-11-057116-5]

"He who has sovereign rights has the right of visitation"

  • Den Visitationen am Reichskammergericht (RKG) wurden in letzter Zeit zwei unterschiedliche wissenschaftliche Untersuchungen gewidmet. Während Alexander Denzler den Aussagewert medialer Schriftkultur im "Schriftalltag" am Beispiel der letzten Visitation des RKGs (1767–1776) untersucht hat,1 widmet sich Anette Baumann als quellenversierte langjährige Leiterin der "Forschungsstelle der Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung" in Wetzlar den Visitationen von 1529–1588.2 Sie werden von ihr als "Expertentreffen" von Juristen interpretiert, die auch für das Verfassungsverständnis im Alten Reich bedeutsam sind. Das tragende Quellenmaterial bildet – neben einschlägiger Sekundärliteratur – vor allem der reiche Korrespondenz- und Aktenbestand im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Gestalt von Visitationsabschieden, Protokollen, Korrespondenzen, Vollmachten, Gutachten, Voten, Ladungen, Instruktionen, Gravamina, Fragebögen, persönlichen Notizen, Schreiben, Berichten und Augenscheinkarten,3 die das analysierte Schriftgut der Visitationen repräsentieren. Mit Hilfe einer erstellten Datenbank, die übrigens verschiedenen Forschungsinstitutionen – darunter auch dem MPI für europäische Rechtsgeschichte – zur Verfügung steht, ist es Baumann möglich, in den Beständen gezielt "nach Visitationsbelangen zu suchen" (17). Ziel ihrer gründlichen Untersuchung ist es, die Arbeit der Visitationskommission (VK) in dem "komplexen Kommunikationsprozess" (5) aufzuhellen, in dessen Mittelpunkt die VK stand – eingebettet in das Beziehungsgeflecht zwischen Kaiser, Reichsständen, Reichstag und Reichskammergericht (RKG). Durch die Reichskammergerichtsordnung von 1521 war die Kommission erstmals als "Visitation" reichsgesetzlich eingesetzt worden, um als Kontrollorgan einerseits das RKG finanziell zu sichern und andererseits die Abstellung von "Gebrechen" zu garantieren, d.h. das Gericht arbeitsfähig zu machen und zu erhalten. Die VK war somit eine Institution des Alten Reiches, die ursprünglich zur jährlichen Kontrolle bestimmt war. Eingesetzt von Kaiser und Reichsständen stand sie im Spannungsverhältnis politischer und konfessioneller Konstellationen auf dem Reichstag. Folgerichtig legt Baumann ihre Untersuchung auch weniger als Institutionengeschichte an, sondern als eine Darstellung von Reichsverfassungspraxis am Beispiel der VK. Aus dem reichen Archivmaterial werden die "Kommunikationsprozesse" herausdestilliert, um auf verfassungsmäßige Regelhaftigkeiten als Ordnungskategorien der Visitationsverfahren schließen zu können. Dabei stellt sich immer die Frage, ob die beobachteten Verfahren zu rechtlicher "Verfassung" geronnen sind oder sich noch im vorrechtlichen Raum ritualisierter Verfasstheit bewegen. So gesehen bietet das geschilderte Geschehen um die und in der VK einen Blick in das Laboratorium über die Entwicklung rechtlicher und politischer Regelungs- und Verfassungsprozesse. ...

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Metadaten
Author:Heinz MohnhauptGND
URN:urn:nbn:de:hebis:30:3-513989
DOI:https://doi.org/10.12946/rg27/351-353
ISSN:2195-9617
ISSN:1619-4993
Parent Title (Multiple languages):Rechtsgeschichte = Legal History
Publisher:Max-Planck-Inst. für Europäische Rechtsgeschichte
Place of publication:Frankfurt, M.
Contributor(s):Thomas Duve, Stefan Vogenauer
Document Type:Review
Language:German
Year of Completion:2019
Year of first Publication:2019
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Release Date:2019/10/28
Volume:27
Page Number:4
First Page:351
Last Page:353
Note:
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HeBIS-PPN:456509984
Institutes:Rechtswissenschaft / Rechtswissenschaft
Dewey Decimal Classification:3 Sozialwissenschaften / 34 Recht / 340 Recht
Sammlungen:Universitätspublikationen
Licence (German):License LogoCreative Commons - Namensnennung 4.0