"Tieffurth" oder "Tibur"? : Herzogin Anna Amalias Rückzug auf ihren "Musensitz"

  • In diesem Beitrag sollen die Differenzen zwischen der Praxis und den zeitgenössischen Idealen von Geselligkeit, Mäzenatentum und Kunstliebhaberei an Anna Amalias Hof zwischen 1775 und 1807 aufgezeigt werden. Als Voraussetzung dafür wäre es wünschenswert, alle Behauptungen der ,Musenhof‘-Legende, wie sie in den Biographien und sonstigen Publikationen über Anna Amalia und ihrem Hof kursieren, ausführlich und systematisch zu widerlegen. Dies ist im Rahmen dieses Aufsatzes nicht möglich. In den ersten Abschnitten werden daher drei Elemente der historiographischen Überhöhung, die bereits für die zeitgenössische Stilisierung des Hofs zentral waren, thesenhaft bzw. anhand von einschlägigen Gegenbeispielen zurechtgerückt. Es soll gezeigt werden, daß sich (I.) Geselligkeit und Kunstliebhaberei am ,Musen-hof‘ Anna Amalias in wesentlichen Phasen nicht im politikfreien Raum bewegten, und daß (II.) die Intentionen und Wirkungen ihres Mäzenatentums sowie damit verbundene Geselligkeitskonzepte in der Forschung überschätzt wurden. Anschließend wird (III.) genauer darauf eingegangen, wie sich die Freiräume der Herzogin als kunstliebhabender Gesellschafterin in den Jahren 1790 bis 1807 verengten. Diese verengten Freiräume werden (IV.) mit den Sinnkonstruktionen kontrastiert, die Anna Amalia und ihre Zeitgenossen ihrer Tätigkeit als Gesellschafterin, Kunstliebhaberin und Mäzenin verliehen, d.h. als Fürstin, die die Rahmenbedingungen der Geselligkeit und der künstlerischen Betätigung an ihrem Hof mitgestaltete. Mit diesen Sinnkonstruktionen wurde die Praxis von Geselligkeit, Kunstliebhaberei und Kunstförderung am Hof Anna Amalias überhöht. Dabei klafften Idealisierung und Realität phasenweise beträchtlich auseinander. Die ,Musensitz‘-Vision wurde zur ,Ideologie‘, womit hier vulgärmarxistisch ein "falsches Bewußtsein" der Realität bezeichnet wird. Am Ende ihres Lebens wurde der Herzogin diese Diskrepanz selbst bewußt. Abschließend soll (V.) gefragt werden, inwieweit die spätere historiographische ,Musenhof‘-Legende an die zeitgenössischen Stilisierungen des ,Musensitzes‘ anknüpfte, die von der Herzogin und ihrem engeren Hofstaat selbst ausgingen.

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Metadaten
Author:Joachim BergerGND
URN:urn:nbn:de:hebis:30-1155138
ISBN:978-3-412-13500-3
ISBN:3-412-13500-3
Parent Title (German):Joachim Berger (Hg.): Der "Musenhof" Anna Amalias : Geselligkeit, Mäzenatentum und Kunstliebhaberei im klassischen Weimar
Publisher:Böhlau Verlag
Place of publication:Köln ; Weimar ; Wien
Document Type:Part of a Book
Language:German
Date of Publication (online):2010/06/11
Year of first Publication:2001
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Contributing Corporation:Sonderforschungsbereich Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800
Release Date:2010/06/11
GND Keyword:Anna Amalia <Sachsen-Weimar-Eisenach; Herzogin>; Hof; Kongress; Kunst; Literatur; Weimar / Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek; Politik
Page Number:22
First Page:125
Last Page:164
Source:Joachim Berger (Hg.): Der "Musenhof" Anna Amalias : Geselligkeit, Mäzenatentum und Kunstliebhaberei im klassischen Weimar. - Köln [u.a.]: Böhlau, 2001, S. 125-165
HeBIS-PPN:226186237
Contributor:Berger, Joachim (Hg.)
Dewey Decimal Classification:7 Künste und Unterhaltung / 70 Künste / 700 Künste; Bildende und angewandte Kunst
8 Literatur / 80 Literatur, Rhetorik, Literaturwissenschaft / 800 Literatur und Rhetorik
9 Geschichte und Geografie / 94 Geschichte Europas / 943 Geschichte Mitteleuropas; Deutschlands
Sammlungen:Germanistik / GiNDok
Germanistik / GindokWeimar
BDSL-Klassifikation:13.00.00 Goethezeit / BDSL-Klassifikation: 13.00.00 Goethezeit > 13.03.00 Geistes- und Kulturgeschichte
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