Umweltwahrnehmung und -klassifikation bei Fulbegruppen in verschiedenen Naturräumen Burkina Fasos und Benins (Westafrika) : ethnoökologische, ethnobotanische und pflanzensoziologische Untersuchungen in Sahel-, Nord- und Südsudanzone

Environmental perception and classification of Fulani groups in different ecological regions of Burkina Faso and Benin (West Africa)

  • Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde in den drei für die Weidewirtschaft Westafrikas wichtigsten Naturräumen das Umweltklassifikationssystem von Weidewirtschaft betreibenden und für die Region repräsentativen autochthonen und allochthonen Fulbegruppen erfaßt. Motiv für diese Untersuchung war dabei, im Zuge der derzeit stattfindenden Neubewertung mobiler pastoraler Betriebssysteme das diesen Strategien zugrundeliegende traditionelle Wissen zu dokumentieren und so einen Beitrag zum besseren Verständnis der jahrhundertealten Weidestrategien zu leisten. In den drei Gebieten wurden bei den autochthonen Gruppen jeweils zwischen 70 und 100 Einheiten erhoben, mittels derer die Fulbe die natürliche sowie die anthropogen beeinflußte Umwelt klassifizieren. Für jede Einheit wurde die genaue Beschreibung durch die Fulbe ermittelt. Der Klassifikation liegt ein dichtes Kriteriengefüge zugrunde, dessen Grundkriterien - Relief, Hydrologie, Böden, Vegetation, anthropogene und zoogene Beeinflussung - durch eine große Zahl weiterer Kriterien verfeinert werden. Das hieraus resultierende Gesamtsystem ist ein von allen Mitgliedern der jeweiligen Gemeinschaft geteiltes geoökologisches System, mit dem sich alle für einen Standort relevanten Umweltfaktoren präzise und vollständig beschreiben lassen, und das sämtliche Größenordnungen von Einheiten einbezieht. Gleichzeitig enthält es implizit die für Pastoralisten besonders wichtige Information über den Weidewert einer Einheit. Parallel zum Klassifikationssystem der Fulbe wurde mittels pflanzensoziologischer Aufnahmen die Vegetation der drei Untersuchungsgebiete dokumentiert. Die Aufnahmen wurden in allen traditionellen, von den Fulbe mit Namen bezeichneten Einheiten durchgeführt. Im Sahel wurden 4 Gehölz- und 22 Krautgesellschaften ausgeschieden, im Nordsudan 5 Gehölz- und 12 Krautgesellschaften und im Südsudan 7 Gehölz- und 12 Krautgesellschaften. Die pflanzensoziologischen Aufnahmen ermöglichen eine botanische Referenzierung der Fulbe-Einheiten: Ihnen konnten die jeweils für sie typischen Vegetationseinheiten zugeordnet werden. In zahlreichen Fällen zeigte sich eine hohe Wahrscheinlichkeit, daß einer Fulbe-Einheit eine oder einige wenige Pflanzengesellschaften entsprechen. Eine vollständige Übereinstimmung zwischen Fulbe-Einheiten und pflanzensoziologischen Gesellschaften, d.h., einer Fulbe-Einheit entspricht zu 100 % einer Pflanzengesellschaft und gleichzeitig tritt letztere ausschließlich in dieser Fulbe-Einheit auf, ist aber selten. Im Rahmen der ethnobotanischen Untersuchungen wurde die Bedeutung der Vegetation für die Bevölkerung der drei Regionen untersucht. Es wurden bei allen Fulbegruppen Namen und Nutzungen der angetroffenen Arten erhoben. Der Schwerpunkt lag dabei auf Weidearten, die für die Fulbe als Pastoralisten einen besonders wichtigen Aspekt darstellen, Medizinalpflanzen für human- und tiermedizinische Zwecke sowie sonstigen Verwendungen als Nahrungsmittel, Werkstoffe etc. Bei den Weidearten zeigte sich, daß der Anteil der auf diese Weise genutzten Arten und Pflanzenfamilien im artenarmen Sahel im Vergleich zu den anderen beiden Regionen am höchsten ist. Im artenreichen Südsudan umfaßt die Weidenutzung dagegen die wenigsten Arten. Dieses Ergebnis belegt die Bedeutung breitgefächerter Nutzungsstrategien gerade in Regionen mit prekärer Ressourcensituation. Die Erhebung der traditionellen Heilpflanzen stellt einerseits einen Beitrag zur Bewahrung traditionellen Wissens dar, das in allen drei Regionen durch sich rasch veränderte Lebensumstände bedroht ist. Außerdem hat sie gezeigt, daß eine traditionelle Lebensweise nicht immer den Erhalt dieser Kenntnisse garantiert. Im Rahmen der Arbeiten wurden 896 sicher bestimmte Arten und Unterarten aus insgesamt 104 Familien dokumentiert. Dies ist ein wichtiger Beitrag zur Erfassung der Biodiversität Westafrikas. Auch die Benennung der Arten wurde erhoben und analysiert: Für insgesamt 752 Arten konnte mindestens ein Vernakulärname erhoben werden. Im einzelnen wurden in den verschiedenen Dialekten erfaßt: Jelgoore (Sahel) 210 Vernakulärnamen, Jelgoore (Nordsudan) 259, Nommaare (Nordsudan) 348, Gu-urmaare (Südsudan) 97, Jugureere (Südsudan) 452. Anhand einer Analyse dieser Bezeichnungen sowie der bei den verschiedenen Fulbe-Gruppen gebräuchlichen Bezeichnungen der Umwelteinheiten wurde untersucht, wie bei Migration zwischen verschiedenen Naturräumen sprachlich mit der vorgefundenen neuen Umgebung und ihren Elementen (Landschaftseinheiten, Arten) umgegangen wird. Die Erhebungen zu Umweltwahrnehmung und -kenntnissen der Fulbe ergaben, daß diese die Standortansprüche zahlreicher Arten genau kennen und nach dem Prinzip der Indikatorarten anhand der Vegetation auf den Zustand des Bodens und sonstige Umweltbedingungen rückschließen. Gleichzeitig sind viele in der Umwelt ablaufenden Prozesse genau bekannt. Auch Faktoren, die die Böden von außen beeinflussen und unter deren Einwirkung es zu Degradationserscheinungen kommt, werden genau analysiert. Bezüglich der Degradation der Vegetation werden im Sahel mit Abstand die meisten zurückgehenden Arten genannt, die meisten von ihnen wichtige Nutzarten. Abschließend konnte durch den regionalen Vergleich der Weidepraktiken festgestellt werden, daß Umweltbedingungen und deren Wahrnehmung durch die Fulbe sich weniger als erwartet auf die Weidestrategien auswirken. Sie beeinflussen hauptsächlich Route und Dauer der Tageswanderungen. Ob und wie dagegen Transhumanz (saisonale Weidewanderungen) praktiziert wird, hängt mindestens ebenso sehr von sozialen und ökonomischen Faktoren wie von den ökologischen Bedingungen ab.
  • In the context of this work, the environmental classification system of different Fulani groups in West-Africa has been examined. They live in the three ecological zones which are the most important for pastoralism in West Africa and practise traditional pastoralism and their lifestyle is representative for the Fulani of each region. The aim of the study was to document the rich traditional knowledge which constitutes the basis for the centuries-old herding strategies and thus to contribute to a better understan-ding of these strategies. In all three areas between 70 and 100 classification units have been registered which are used by the autochthonous Fulani herders to classify the natural as well as the human-influenced environment. For each unit, the explicit Fulani description was determined. The classification is based on several basic criteria - relief, hydrology, soils, vegetation, anthropogene and zoogene influence - which are further differentiated by a large number of sub-types. The resulting scheme is a geo-ecological system permitting to all community members to describe precisely and completely all environmental factors which are relevant for a location, including all orders of magnitude of units. Implicitly, it contains the information about the units' pasture value. In parallel to the Fulani classification system, the vegetation of the three investigation areas has been documented and syntaxonomicly classified by means of phytosociological relevés. These were accomplished in all traditional Fulani units. In the Sahel 4 woody and 22 herbaceous communities have been distinguished, in the northern Sudanian zone 5 woody and 12 herbaceous communities and in the southern Sudanian zone 7 woody and 12 herbaceous communities. The phytosociological relevés permit a comparison between the scientific vegetation classification and the Fulani units: the typical vegetation units could be assigned to them. In many cases we found a high probability that one or some few plant communities correspond to a Fulani unit. A complete correspondence between Fulani units and phytosociological societies, i.e., a Fulani unit corresponding at 100 % to one plant community and at the same time the latter occurring exclusively in this Fulani unit, is however rare. In the context of the ethnobotanical investigations, the importance of the vegetation for the population of the three regions was examined. Within all Fulani groups, the names and uses of the encountered plant species were inventoried. The emphasis has been put on pasture species, which represent a particularly important aspect for the cattle raising Fulani, and on medicinal species for human and veterinary purposes, as well as other uses such as food, materials etc.. Concerning the pasture species, it was found that in the species-poor Sahel, their part in the whole species number is much higher than in the two other regions. Especially in the species-rich southern Sudanian zone, relatively few species are used as fodder. This result demonstrates the importance of a highly differentiated use-strategy especially in regions with a precarious resources situation. The inventory of the traditional medicinal plants (altogether 262 species used for this purpose) represents a contribution to save the traditional knowledge, which is threatened in all three regions by rapidly changing life styles. But it also shows that a traditional way of life does not necessarily guarantee the conservation of this knowledge. During this study, 896 species and subspecies from 104 families were documented. This is an important contribution to the inventory of the west-African biodiversity. The Fulani nomenclature of the species was also recorded and analyzed: For 752 species at least one vernacular name has been listed. The analysis of these species names and of the designations of the environmental units used by the different Fulani groups showed how, in case of migration between different regions, the 'new' landscape and its elements (environmental units, species) are linguistically treated by the migrants. The investigations concerning the Fulani's environmental perception and knowledge showed that they know exactly the ecological needs of many species. According to the principle of indicator species, they conclude from the vegetation the condition of the soil and other environmental parameters. Many environmental processes are also well-known, e.g. the water and nutrient cycles, the activities of the soil fauna and questions of the soil genesis. Exterior factors affecting the soils and contributing to the degradation process are also perceived, and the Fulani are aware of being themselves with their cattle part of these processes. Concerning the degradation of the vegetation in the three study areas, by far the most declining species are stated by the Fulani in the Sahel, most of them considered as useful species. It remains open whether this corresponds to a real decrease or represents rather a subjective perception. Indeed, many of the declining species mentioned by the Fulani are actually very rare today, but whether and to what degree they were more frequent in the past is not known. In the two other study areas, the Fulani cite less declining species, but those which are mentioned as declining are mostly useful species as well. Finally, a regional comparison of the pasture strategies showed that environmental conditions and their perception by the Fulani influence the pasture strategies less than expected. They affect mainly the route and the duration of the daily pasture tours. Whether and how transhumance (seasonal migration) is practiced depends at least as much on social and economic factors as on the ecological conditions.

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Metadaten
Author:Julia Krohmer
URN:urn:nbn:de:hebis:30-0000005084
Referee:Rüdiger WittigORCiDGND
Document Type:Doctoral Thesis
Language:German
Date of Publication (online):2005/02/24
Year of first Publication:2004
Publishing Institution:Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg
Granting Institution:Johann Wolfgang Goethe-Universität
Date of final exam:2004/12/22
Release Date:2005/02/24
Tag:Ethnobotanik; Ethnoökologie; Pflanzensoziologie
Fulani; West Africa; environmental perception; ethnobotany; ethnoecology
GND Keyword:Westafrika; Umweltwahrnehmung; Klassifikation; Fulbe
HeBIS-PPN:12664313X
Institutes:Biowissenschaften / Biowissenschaften
Dewey Decimal Classification:5 Naturwissenschaften und Mathematik / 58 Pflanzen (Botanik) / 580 Pflanzen (Botanik)
Sammlungen:Sammlung Biologie / Biologische Hochschulschriften (Goethe-Universität)
Licence (German):License LogoDeutsches Urheberrecht