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Titel:Unterschiede in der Krankenhauswahl zwischen stationär behandelten Patienten, Schwangeren in der Geburtshilfe und Eltern pädiatrischer Patienten, eine querschnittliche Erhebung
Autor:Kummer, Marie-Charlotte
Weitere Beteiligte: Geraedts, Max (Prof. Dr.)
Veröffentlicht:2021
URI:https://archiv.ub.uni-marburg.de/diss/z2021/0397
DOI: https://doi.org/10.17192/z2021.0397
URN: urn:nbn:de:hebis:04-z2021-03976
DDC: Medizin
Publikationsdatum:2021-12-02
Lizenz:https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/4.0

Dokument

Schlagwörter:
Querschnittstudie, Krankenhauswahl, Deutschland

Zusammenfassung:
Einleitung: Die freie Krankenhauswahl wird in Deutschland gesundheitspolitisch gefördert. Sie soll die Mitsprache der Patienten erhöhen und die Qualität der Gesundheitsversorgung durch einen gesteigerten Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern verbessern. Wenngleich zahlreiche Studien bereits Erkenntnisse zur Krankenhauswahl liefern, liegen für das deutsche Gesundheitssystem noch keine Arbeiten vor, die die Vorgehensweise in der Behandlungssituation, eingriffs- und diagnoseübergreifend, vergleichend nach Fachgebieten und unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes untersuchen. Das Ziel dieser Arbeit ist es, Erkenntnisse über das Krankenhauswahlverhalten aller stationär behandelten Patienten in Deutschland unter Beachtung des Gesundheitszustandes und des Geschlechts zu gewinnen. Hierfür werden Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen erkrankten Patienten, gesunden Patienten und Eltern pädiatrischer Patienten, vergleichend nach Fachgebieten und unter Berücksichtigung der Zeit vor Aufnahme, untersucht. Zusätzlich erfolgen zwei vertiefende Gruppenvergleiche zum Einfluss der Faktoren Geschlecht und Gesundheitszustand. Abschließend werden potentielle Einflussfaktoren auf die Möglichkeit, selber über das Krankenhaus zu entscheiden, untersucht. Material und Methoden: Die Arbeitshypothesen werden mit Primärdaten aus einer querschnittlichen Erhebung überprüft. Die Primärdatenerhebung basiert auf fragebogengestützten Interviews an 1925 Patienten aus 46 Abteilungen in 17 verschiedenen Krankenhäusern in 5 verschiedenen Regionen Nordrhein-Westfalens und 1 rheinland-pfälzischen Region und umfasst 11 medizinische Disziplinen, die im Erhebungsjahr 2012 91,9% der gesamten vollstationären Krankhausaufenthalte in Deutschland ausmachten. Diese sind die Innere Medizin, Chirurgie, Gynäkologie, Geburtshilfe, Pädiatrie, Psychiatrie, Orthopädie, Neurologie, Urologie, HNO und Geriatrie. Für die vorliegenden Arbeitshypothesen werden die Patienten nach Gesundheitszustand in 3 Teilstichproben unterteilt, in (1.) erkrankte Patienten, (2.) gesunde Patienten und (3.) Eltern pädiatrischer Patienten. Zusätzlich wird aus der Teilstichprobe der erkrankten Patienten die Teilstichprobe der (4.) erkrankten Frauen der Gynäkologie isoliert. Die Daten werden zunächst deskriptiv statistisch und anschließend inferenzstatistisch mit Chi-Quadrat-Test, t-Test, einfaktorieller Varianzanalyse (ANOVA) sowie logistischen Regressionsanalysen analysiert. Aufgrund des multiplen Testens liegt das nach Bonferroni korrigierte Signifikanzniveau bei p<0,0007. Ergebnisse: Die Patienten aller Analysegruppen entscheiden größtenteils selbst über das Krankenhaus. Der Anteil unter den gesunden Patienten ist dennoch höher als der der Eltern und nochmals höher als der der erkrankten Patienten. Es zeigt sich, dass die Zeit vor Aufnahme einen deutlichen Einfluss auf die Möglichkeit hat, selbst über das Krankenhaus zu entscheiden. Andere Faktoren wie beispielsweise Alter, Fachgebiet oder Migrationshintergrund spielen nur in der Gruppe der erkrankten Patienten eine Rolle und lassen die gesunden Patienten und die Eltern unbeeinflusst. Die eigene Krankenhauskenntnis ist die wichtigste Informationsquelle und das wichtigste Entscheidungskriterium für die erkrankten Patienten, wobei sich fachgebietsspezifische Unterschiede in der Reihenfolge der Informationsquellen und Entscheidungskriterien finden. Zwischen erkrankten Frauen und erkrankten Männern sind diese Unterschiede nur geringfügig. Für die gesunden Patienten stehen die Angehörigen im Vordergrund. Eltern pädiatrischer Patienten greifen ebenso wie erkrankte Patienten auf ihre Vorerfahrung zurück, beziehen als Entscheidungskriterium jedoch häufiger das Verhalten der Ärzte gegenüber ihren Kindern mit ein. Qualitätsindikatoren spielen insgesamt eine nachgeordnete Rolle, werden von gesunden Patienten und Eltern aber deutlich häufiger berücksichtigt als von erkrankten Patienten. Entsprechende gesundheitsbedingte Unterschiede zeigen sich auch im Vergleich der erkrankten Patienten der Gynäkologie mit den gesunden Patienten der Geburtshilfe. So entscheiden die gesunden Patienten der Geburtshilfe häufiger selbst über das Krankenhaus, informieren sich mehr und nutzen zusätzliche Informationsquellen wie Informationsveranstaltungen und das Internet, wohingegen die erkrankten Patienten der Gynäkologie ihre Entscheidung auf Grundlage der eigenen Vorerfahrung treffen. Diskussion: Das Verhalten der Patienten bei der Krankenhauswahl kann insgesamt als eine sozial ausgerichtete Entscheidungsfindung, die auf Vertrauen basiert und im direkten Kontakt mit Bezugspersonen stattfindet, beschrieben werden. Mit zunehmender Schwere der Erkrankung wollen Patienten weniger in Entscheidungen involviert werden und diese stattdessen an Vertrauenspersonen abgeben, da sie sich psychisch und physisch in einer Ausnahmesituation befinden. So ermöglicht der bessere Gesundheitszustand den gesunden Patienten und den Eltern auch objektive Qualitätskriterien in die Entscheidung mit einzubeziehen. Demzufolge kann der Gesundheitszustand als ein entscheidender Einflussfaktor der Krankenhauswahl angenommen werden. Im Falle, dass erkrankte Patienten selber entscheiden, greifen sie meist auf eigene Erfahrungen zurück, die sie krankheitsbedingt sammeln konnten, wohingegen gesunde Patienten den fehlenden Erfahrungen mit vermehrter Informationssuche begegnen. Auch Eltern pädiatrischer Patienten besitzen durch die Erkrankung des eigenen Kindes Krankenhauserfahrungen, die sie im Entscheidungsprozess berücksichtigen. Die Unterschiede zwischen den Patienten der einzelnen Fachgebiete spiegelt sich in ihrem unterschiedlichen Verhalten bei der Krankenhauswahl wider. Die Untersuchung der erkrankten Frauen und Männer zeigt ein ähnliches Krankenhauswahlverhalten ohne Hinweise auf ausgeprägte geschlechtsbedingte Unterschiede. Dementsprechend ist der Einfluss des Fachgebiets, der Zeit vor Aufnahme und des Alters auf die Möglichkeit, selber über das Krankenhaus zu bestimmen, geschlechtsübergreifend. Schlussfolgerung: Die Krankenhauswahl erfolgt sowohl bei erkrankten als auch bei gesunden Patienten und Eltern pädiatrischer Patienten beziehungs- und erfahrungsbasiert. Dennoch bestehen Unterschiede zwischen den Analysegruppen. Erkrankte Patienten entscheiden seltener selber über das Krankenhaus als Eltern pädiatrischer Patienten oder gesunde Patienten. Zudem berücksichtigen sie eine geringere Anzahl an Informationsquellen und Entscheidungskriterien. Gesunde Patienten informieren sich am meisten und beziehen vergleichsweise häufig objektive Kriterien in ihre Entscheidung mit ein. Eltern pädiatrischer Patienten berücksichtigen insbesondere die Arzt-Patienten-Beziehung und liegen mit ihrem Verhalten zwischen dem der gesunden und dem der erkrankten Patienten. Es bestehen fachgebietsspezifische Unterschiede der Berücksichtigung und Reihenfolge von Informationsquellen und Entscheidungskriterien. Geschlechtsspezifische Unterschiede zeigen sich kaum. Die Patienten des Fachgebietes Gynäkologie und Geburtshilfe spiegeln die gesundheitsbedingten Unterschiede ohne Geschlechtsunterschiede für Frauen wider.


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