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Liber ordinarius von St. Gereon (Köln, Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 241)

Bibliographische Beschreibung

Handschriftentitel
Liber ordinarius von St. Gereon
Entstehungsort
Köln
Entstehungszeit
12. und 13. Jh.
Beschreibstoff
Pergament
Umfang
76 Blätter
Format
266 mm x 194 mm
Persistenter Identifier
urn:nbn:de:hbz:kn28-3-2320 Persistent Identifier (URN)
Weitere Angaben
Land
Deutschland
Ort
Köln
Sammlung
Dombibliothek
Signatur
Cod. 241
Katalogsignatur
Handschriftencensus Rheinland: 1177

Überblickbeschreibung

Liber ordinarius von St. Gereon

Anhand eines Festkalenderschemas sind in diesem Totenbuch die Namen der Verstorbenen verzeichnet, deren liturgisches Gedenken der Klerus von St. Gereon übernommen hatte. Jeder Eintrag beginnt mit einer Kürzung (ähnlich einer gestrichelten Null) für Obiit (Es starb ) und nennt so den Todestag der Person, für die gebetet werden sollte. Von der lateinischen Bezeichnung (memoria) für 'Gedenken, Erinnerung' ist sowohl der Begriff für diese Form des liturgischen Totengedenkens (Memorie), als auch für das gesamte Buch, nämlich 'Memorienbuch' (neben Totenbuch) abgeleitet. Die meisten Kirchen, aber auch Hospitäler, Bruderschaften (s. Dom Hs. 243 und Diözesan Hs. 364, Kat.Nrn.104, 105), städtische Ratsgremien oder Universitäten des Mittelalters haben ein Totenbuch angelegt und geführt. Die ältesten Exemplare entstammen der Karolingerzeit. Erst im 19.Jahrhundert kam es allmählich zur Ablösung durch das Stiftungsverzeichnis moderner Prägung.

Unter den Totenbüchern der zahlreichen Kirchen Kölns nimmt das von St. Gereon einen besonderen Rang ein: Wir haben hier eine der ältesten vollständig erhaltenen Handschriften vor uns, die mit ihren Namen bis in das 8.Jahrhundert zurückgreift. In den älteren Einträgen finden sich nur Name und Stand des Verstorbenen, die jüngeren verzeichnen zusätzlich das Stiftungsgut zur unmittelbaren Finanzierung der Memorie, da materielle Gabe und spirituelle Gegengabe in Form des Gebetes einander immer enger bedingten. Diese Entwicklung mündete in die für das Spätmittelalter typische berechnende, quantifizierende Frömmigkeit, bei der Seelenheil geradezu nach Tarifen zu erwerben war. Wir erkennen hier einen immensen "appétit du divin" (L. Fébvre), ebenso eine umfassende und individuelle Seelenheilvor- und -fürsorge. Die Form des liturgischen Totengedenkens fördert die Gemeinschaft, umfaßt sie doch Lebende und Tote gleichermaßen. Es entsteht eine Verbindung derer, die das Gedächtnis ausüben, mit denen, derer gedacht wird. Dabei sind die Namensaufzeichnung und -nennung der Toten konstitutiv für die Memorie; der Tote wird als anwesend und gegenwärtig gedacht, die "Gegenwart der Toten" (O.G. Oexle) aktua-lisiert. Doch das Wort und das Ausüben von 'memoria' hat nach mittelalterlicher Vorstellung eine noch weiter gefaßte, vielschichtige Bedeutung: Durch Gedenken und Erinnerung sollen Tod und Vergessen überwunden werden.

Ein Durchblättern der gesamten Handschrift verdeutlicht sehr schnell ihren Platz in der Liturgie des Stiftes; der Memorienkalender ist in die liturgischen Texte des 'Liber ordinarius' eingebettet. Oft genug lag das Totenbuch sogar im Kirchenraum zur Einsicht aus. Überdies offenbart sich hier die heute kaum noch vorstellbare bunte Vielfalt des liturgischen Geschehens an St. Gereon, wie sie ähnlich auch am Dom und den anderen neun Stiftskirchen Kölns bestand. Andererseits hat das Totenbuch auch für die Wirtschaftsverwaltung des Stiftes einige Bedeutung - darauf weisen etwa die Notizen des Codex zu den Einkünften von St. Gereon hin: Stiftungen und Schenkungen für das liturgische Totengedenken hatten nicht nur den reichhaltigen Grundbesitz des Stiftes im gesamten Rheinland ermöglicht, sondern auch den Bau der prächtigen Kirche mitfinanziert. Vor allem aber liest sich das Memorienbuch mit der Nennung bedeutender Persönlichkeiten wie ein "Who's Who" vergangener Zeiten: Kaiser und Könige (Heinrich II.; Gisela, Ehefrau von Konrad II.; Richeza, Königin von Polen; Magnus der Gute Olafsson), Kölner Erzbischöfe, andere Bischöfe und rheinische Adelige sind hier neben den Stiftsherren und Pröpsten von St. Gereon verzeichnet. Hinter jedem Eintrag darf eine wie auch immer geartete Beziehung zwischen den Memorienstiftern und dem Stift St. Gereon vermutet werden. Das Memorienbuch wird so zu einem außerordentlichen Zeugnis für das intensive Beziehungsgeflecht des Stiftes zu seiner Umwelt, was viele der Namensnennungen mehr oder weniger stark belegen: Heute würden wir das als "Klüngel" bezeichnen.

Nur knappe Beispiele solcher Verflechtungen können hier aufgezeigt werden: Dem Kölner Erzbischof Sigewin (1078/79-1089), im Memorienbuch zum 31. Mai eingetragen, verdankte St. Gereon die Dekanie im Gilgau, die dem Stift eine wichtige Position im Bergheimer Raum verschaffte. Daß das mächtige rheinische Pfalzgrafengeschlecht der Ezzonen im 10. und 11.Jahrhundert St. Gereon sehr zugetan war, können wir mit Hilfe der urkundlichen Überlieferung nur punktuell nachweisen. Die Nennung von fünf Mitgliedern der Familie aus drei Generationen im Memorienbuch zeigt hier jedoch sehr enge Verbindungen. Auch für ein anderes rheinisches Dynastengeschlecht, die Grafen von Jülich, offenbaren sich für die frühe Zeit der Familie Verflechtungen mit dem Stift - bei aller Lückenhaftigkeit der Überlieferung: Im 11. und 12.Jahrhundert fungierten die Jülicher Grafen als Vögte von St. Gereon und erschienen als Zeugen in seinen Urkunden; sie schenkten dem Stift Güter und ließen ihr Totengedenken in St. Gereon feiern.

Überblickbeschreibung aus: Glaube und Wissen im Mittelalter. Katalogbuch zur Ausstellung, München 1998, S. 526-527 (Joachim Oepen)

Impressum
Herausgeber
Erzbischöfliche Diözesan- und Dombibliothek Köln
Redaktion
Im Rahmen des DFG-Projekts CEEC bearbeitet von Patrick Sahle; Torsten Schaßan (2000-2004)
 
Bearbeitung im Rahmen des Projekts Migration der CEEC-Altdaten von Marcus Stark; Siegfried Schmidt; Harald Horst; Stefan Spengler; Patrick Dinger; Torsten Schaßan (2017-2019)
Ort
Köln
Datum
2018
URN
urn:nbn:de:hbz:kn28-3-2320
PURL
https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:kn28-3-2320
Lizenzangaben

Die Bilder sind unter der Lizenz CC BY-NC 4.0 veröffentlicht

Diese Beschreibung und alle Metadaten sind unter der Lizenz CC BY-NC-ND 4.0 veröffentlicht

Klassifikation