Molekulare Dosimetrie Platin-induzierter DNA-Läsionen

In der internistischen Onkologie gehören die Substanzen Cis- und Carboplatin seit Jahren zu den wirksamsten Zytostatika bei der Behandlung solider Tumoren. Die molekularen Mechanismen der therapeutischen Wirkungen und Nebenwirkungen dieser Verbindungen, sowie die Ursache(n) eines Therapieversagens sind multifaktoriell und in ihrer Komplexität bisher weitgehend unverstanden geblieben. Die Aufkärung dieser pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Prozesse ist die Grundlage jeder chemoprotektiven bzw. resensitivierenden Intervention und damit des Fernziels einer individualisierten Chemotherapie. Die Einwirkung von Cis- bzw. Carboplatin auf die zelluläre DNA ist interindividuell und Zelltyp-spezifisch sehr unterschiedlich. Unter anderem kontrollieren die Nierenfunktion, der Wirkstoffimport- und -export über die Zellmembran, sowie zytoplasmatische Detoxifizierungsprozesse das Ausmaß der initialen Pt-DNA Adduktbildung. Ähnlich heterogen ist die Leistungsfähigkeit der zellulären DNA-Reparatursysteme und schließlich die Toleranz der Zellen gegenüber bestehenden Läsionen. Wie die klinische Bedeutung dieser Faktoren für eine primäre oder erworbene Platin-Resistenz zu bewerten ist, kann bislang nicht beantwortet werden. Im Rahmen klinisch realisierbarer Pt-Dosen ist die Möglichkeit, Tumorzellen zur Auslösung der Apoptose zu provozieren, wahrscheinlich das entscheidende Kriterium für ihre therapeutische Ansprechbarkeit. Bisher ist ungeklärt, welchen Anteil die einzelnen, strukturell verschiedenen Pt-DNA Addukte an diesem zytotoxischen Potential von Cis- und Carboplatin haben. Da Bildung und Elimination dieser Addukte im Zentrum des pharmakologischen Geschehens stehen, ist die Entwicklung einer hinreichend empfindlichen Methode zur quantitativen Bestimmung definierter Platin-DNA-Läsionen auf dem Niveau individueller Zellen, d. h. eine molekulare Dosimetrie, der erfolgversprechenste Weg zur Beantwortung der offenen Fragen. In dieser Arbeit wurden mit dem Ziel einer immunhistochemischen Einzelzell-Analytik monoklonale Antikörper gegen die verschiedenen Pt-DNA Addukte generiert und charakterisiert. Cisplatin-induzierte DNA Addukte sind in einen stereochemischen Kontext eingebunden, der offenbar weit über die koordinativen Bindungen der eigentlichen Läsion hinausreicht. Es konnte in diser Arbeit gezeigt werden, daß die Nachahmung dieser Raumordnung mit platinierten Oligonukleotiden nicht möglich ist. Daher führt der "klassische" Weg zur Generierung von spezifischen monoklonalen Antikörpern, d. h. die Immunisierung mit einem strukturell eindeutigen Antigen, nicht zum gewünschten Ziel. Aus diesem Grund wurde hier ein ganz neues Verfahren entwickelt: Die Immunaktivität der geimpften Tiere wurde mit platinierter DNA als Antigen zunächst gegen ein komplexes Epitopgemisch, d. h. gegen die Summe aller Addukte gerichtet. Anti-(Pt-DNA) positive Hybridome wurden nach der Fusion mit einem immunomagnetischen Separationsverfahren isoliert und kloniert. Zur Charakterisierung ihrer Epitop-Spezifität wurden in einem weiteren Schritt den so generierten MAK auf DNA-Fragmenten vereinzelte Pt-Addukte zur Bindung angeboten. Die vom jeweiligen Antikörper erkannten Epitope wurden dann über ein Festphasen-Adsorptionsverfahren isoliert und die Platin-Addukte mit Hilfe einer 32 P-Postlabelling- assozierten Radiochromatographie strukturell identifiziert. Weit über die Platinanalytik hinaus bietet das in dieser Arbeit erstmals entwickelte "retrospektive" Verfahren Zugang zu Strukturen, die von DNA-reaktiven Proteinen (wie z. B. Komponenten des DNA-Reparatursystems, von Faktoren der Genregulation oder von Strukturelementen der Chromatinarchitektur) im nativen Kontext erkannt und gebunden werden. Mit Hilfe dieser MAK wurde dann ein Immunfluoreszenz-Nachweisverfahren entwickelt, mit dem es möglich ist, die einzelnen Pt-DNA Addukte in den Kernen von Normal- oder Tumorzellen zu quantifizieren. Die Methode bedarf im Prinzip nur weniger Einzelzellen, so daß bereits erfolgreiche Pilot-Untersuchungen an Biopsien von Magentumorpatienten unter Cisplatin-Chemotherapie durchgeführt werden konnten. Bezogen auf den einzelnen Zellkern liegt die Nachweisempfindlichkeit für die einzelnen Pt-Addukte im Sub-Atomol Bereich (< 10 - 18 Mol) und erlaubt daher auch Messungen, die im zeitlichen Abstand von Wochen nach der Applikation vorgenommen werden. Cisplatin-Unempfindlichkeit von Tumoren kann vielfältige zellbiologische Ursachen haben, die in Zellkulturmodellen mit Paaren von sensitiven bzw. resistenten Zellen herausgetrennt aus der Komplexität eines Organismus analysiert werden können. In dieser Arbeit wurden humane Melanom- bzw. Ovarialkarzinomzellen untersucht, die sich in der Expression des ABC-Membrantransporters cMOAT unterschieden, der Cisplatin-Glutathionkomplexe aus der Zelle exportiert. Es konnte gezeigt werden, daß sich der Pt-Adduktgehalt in der genomischen DNA der Zellen umgekehrt proportional zur Expression und damit zur Aktivität der Membranpumpe verhielt. In den verschiedenen Zellen resultiert Äquitoxizität für Expositionskonzentrationen, welche gleiche Adduktspiegel induzieren. Auch die Platin-assoziertenellzyklusveränderungen zeigten sich als direkte Konsequenz der Pt-DNA Läsionen. Durch Transfektion mit cMOAT-Konstrukten oder anti-cMOAT-Ribozymen konnte die Cisplatin-Exportkapazität der Zellen, die Adduktbildung und damit die Toxizität verändert werden. Da der Nukleotid Exzisions Reparatur (NER) Weg als wichtigster Mechanismus in der Prozessierung von Pt-DNA Läsionen angesehen wird, wurde in dieser Arbeit ferner der Beitrag der "Schadens-Erkennungsproteine" XPA und XPC in entsprechenden murinen Knockout-Modellen untersucht. Verglichen mit den Wildtyp-Mäusen und XPC -- -Mäusen zeigten die XPA-Knockout Mäuse eine extreme Empfindlichkeit gegen Cisplatin. Durch die Messungen von in vivo Reparatur Kinetiken wurde zum ersten Mal demonstriert, daß die Hypersensitivität mit einer nahezu kompletten Inkompetenz der NER-defizienten Mäuse einhergeht, spezifische Pt-DNA Addukte wie Pt-GG Intrastrang Läsionen aus verschiedenen Zelltypen zu entfernen. DNA-Platinierungsprodukte werden durch XPA offensichtlich bereits auf der Stufe der frühen, intermediär auftretenden monovalenten Addukte prozessiert, so daß der funktionelle Ausfall zu einer exzessiven Bildung der bivalenten Intrastrang Addukte führt. Der erstaunlich gering Addukt-Gehalt in Lymphozyten, der in dieser Arbeit sowohl im Mausmodell wie auch in Patientenproben nachgewiesen wurde, beruht nicht auf der Fähigkeit dieser Zellen, solche frühen Eliminationen besonders effektiv zu realisieren: Obwohl der Addukt-Gehalt der XPA -- -Lymphozyten erwartungsgemäß höher lag als der bei NER-kompetenten Tieren, erreichten die Maxima nie das Ausmaß, das beispielsweise in Zellen von Niere oder Leber gefunden wurde. Deshalb muß ein anderer, noch unbekannter Mechanismus für die geringe Belastung der hämatopoetischen Zellen vermutet werden. In einer Pilotstudie wurden Magenkarzinom-Patienten Cisplatin-Therapie-begleitend auf die Bildung und Elimination spezifischer Pt- DNA Addukte untersucht. In peripheren Lymphozyten zeigte sich, daß der Pt-GG Gehalt über einen Zeitraum von 48 h nach Applikation kontinuierlich zunahm. Die Biopsien von Normal- und Tumorgeweben waren vor allem durch Zelltyp-spezifische Addukt-Belastung gekennzeichnet. Dieser Befund unterstreicht nachdrücklich die Notwendigkeit der Einzellanalytik. Schlußfolgerungen bezüglich der interindividuellen Unterschiede und der Aussagekraft der Messungen für den Therapieerfolg können aufgrund der ausstehenden Reihenuntersuchungen und Verlaufskontrollen bisher noch nicht formuliert werden. Diese Analysen sollen mittelfristig zur Klärung der Frage beitragen, welche Bedeutung Bildung und Elimination bzw. Persistenz spezifischer Pt-DNA-Addukte für den Erfolg oder das Versagen einer Tumortherapie mit Platin-Verbindungen haben und inwieweit an Lymphozyten erhobene Befunde repräsentativ auch für das Geschehen in anderen Zelltypen und besonders im Tumor sind. Außerdem wird es möglich sein, Cisplatin-synergistisch wirkende Substanzen wie z. B. Fludarabin, 5-Fluoruracil oder die Inhibitoren des EGF-Rezeptors bezüglich ihres Einflußes auf die Pt-DNA Addukte besser zu verstehen. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß mit den in dieser Arbeit entwickelten Werkzeugen erstmals die genauen Wirkmechanismen der Platin-Zytostatika analytisch sind und damit molekulare Resistenzparameter in experimentellen Systemen und in klinischen Proben definiert werden können.

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