Mechanismen der Entstehung strahleninduzierter Schwesterchromatidenaustausche

Schwesterchromatidenaustausche (sister chromatid exchanges, SCE) sind reziproke, symmetrische Austausche an homologen Stellen zwischen den zwei genetisch identischen Schwesterchromatiden eines Chromosoms. Die molekularen Mechanismen der Entstehung von SCE sind bis heute nicht verstanden. SCE werden als Ereignisse der Synthese-Phase (S-Phase) angesehen, denn der Austausch erfordert aufgrund der Antiparallelität der DNS zwei DNS-Doppelstränge. Die Darstellung von SCE ist nur möglich, wenn die beiden Schwesterchromatiden im Mikroskop voneinander unterschieden werden können. Dies erfordert die Substitution eines Nukleotids in der Desoxyribonukleinsäure (DNS), die im Lichtmikroskop sichtbar gemacht werden kann. Der übliche Substituent ist 5-Brom-2'-desoxyuridin (BrdU), das während der DNS-Synthese anstelle von Desoxythymidin eingebaut wird. Röntgenstrahlen induzieren in unifilar BrdU-substituierten G1-CHO-Zellen einen dosisabhängigen Anstieg der SCE-Frequenz mit den Charakteristika einer linear-quadratischen Dosis-Effekt-Beziehung. Ein höherer Substitutionsgrad mit BrdU führt zu einer zusätzlichen Erhöhung der Anzahl an SCE nach Bestrahlung. In Versuchen mit Endoreduplikationen induzieren Röntgenstrahlen nur dann SCE, wenn BrdU-markierte Zellen bestrahlt werden. Die SCE entstehen nur in der ersten S-Phase nach Bestrahlung. Wenn unifilar substituierte Chromosomen bestrahlt werden, können Chromosomen-aberrationen (CA) entstehen, bei denen markierte und unmarkierte DNS-Einzelstränge rekombiniert werden. Die Verknüpfungen zeigen sich nach einer S-Phase in der folgenden Mitose als "falsche" SCE. Wenn die Anzahl ringförmiger Chromosomen oder Chromosomenfragmente mit Inversionen und entsprechend dizentrische Chromosomen mit reziproken Translokationen gleichgesetzt werden, können die Häufigkeiten "falscher" SCE berechnet werden. Allerdings können bei weitem nicht alle induzierten SCE nach Bestrahlung unifilar BrdU-substituierter Zellen als Folge von CA erklärt werden, es müssen somit auch "echte" SCE vorkommen. BrdU neigt unter Bestrahlung verstärkt zur Radikalbildung unter Abspaltung des Broms. Zur Abschätzung des Anteils strahleninduzierter SCE, die auf derartigen Radikalen beruhen, muß ein Nukleotid zur Markierung verwendet werden, das unter Bestrahlung keine radikale Dissoziation aufweist. Hierfür wurde in dieser Arbeit Biotin-16-2'desoxyuridin-5'-triphosphat (Biotin-dUTP) eingesetzt. Bis zu 10 % der Metaphasen zeigen 26 Stunden nach Permeabilisierung für Biotin-dUTP mit Elektroporation eine durchgehende, aber oft etwas körnige Markierung in einer der beiden Schwesterchromatiden. Röntgenbestrahlung von unifilar Biotin-dUTP-markierten Zellen führt zu einer Erhöhung der SCE-Frequenzen, die sich jedoch vollständig auf CA zurückführen lassen und somit "falsch" sind. Diese Ergebnisse bestätigen, daß ein großer Anteil der SCE nach Bestrahlung von BrdU-substituierten Zellen aus Schäden im BrdU entsteht. Derartige Läsionen lassen sich gleichermaßen in der G1- und G2-Phase induzieren und unterliegen offenbar bis zur nächsten S-Phase keiner Reparatur. Für S-Phase-abhängige Mutagene kann aufgrund ihrer Fähigkeit, nach Behandlung von unsubstituierten Zellen effizient SCE zu induzieren, angenommen werden, daß BrdU keinen oder nur einen geringen Einfluß auf die SCE-Frequenz hat. Dies wurde am Beispiel der bifunktional alkylierenden Substanz Mitomycin C belegt. Unterschiedliche BrdU-Dosen zur Vormarkierung der DNS beeinflussen die SCE-Frequenz nach Behandlung mit MMC nicht. Der parallel durchgeführte Test mit Biotin-dUTP-Substitution ergab nach Behandlung mit MMC allerdings etwas niedrigere Werte für SCE als nach BrdU-Differenzierung. Die neue Methode zur Differenzierung von Schwesterchromatiden mit Biotin-dUTP bietet eine Möglichkeit, die Beeinflussung des SCE-Tests aufgrund der radikalen Dissoziation von BrdU zu umgehen.

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