Die Mobiltelefon- und Internetnutzung durch Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße in Nordrhein-Westfalen und ihr Nutzen in deren besonderen Lebensverhältnissen

Die Mobiltelefon- und Internetnutzung durch Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße in Nordrhein-Westfalen und ihr Nutzen in deren besonderen Lebensverhältnissen

In den letzten Jahren hat die Zahl der wohnungslosen und von Wohnungsnot Betroffenen Menschen in Deutschland rapide zugenommen. Das System der Wohnungslosenhilfe stößt vielerorts sowohl quantitativ als auch qualitativ an seine Leistungsgrenzen. Parallel zu dieser Entwicklung hat eine fortschreitende Digitalisierung tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungsprozesse ausgelöst.

Über Nutzen und Gebrauchswert von Mobiltelefon und Internet für Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße können sowohl die Praktiker_innen der Basis als auch die höchsten Organisationsebenen der Wohnungslosenhilfe in Deutschland häufig nur mutmaßen. Denn mit Ausnahme einer überschaubaren Anzahl von empirischen Untersuchungen (vorrangig aus den USA) gibt es bislang noch keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema. Diese Dissertation geht daher erstmalig in Deutschland der Frage nach: Wie gebrauchen Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße Mobiltelefon und Internet und welchen Nutzen ziehen sie daraus im Hinblick auf ihre besondere Lebenssituation?

Sie beschäftigt sich mit der Nutzung von Mobiltelefonen und dem Internet durch Menschen, die auf der Straße leben oder von anderen Formen der Wohnungslosigkeit betroffen sind. Dabei geht die Untersuchung zum einen der Frage nach, wie insbesondere wohnungslose und obdachlose Menschen Zugang zu Mobiltelefonen und Internet finden, wie die Geräte und Medien von unterschiedlichen Gruppen dieses Personenkreises eingesetzt werden, welche Inhalte und Funktionen genutzt werden und zum anderen, welche Hürden genommen werden müssen, um trotz prekärer Lebenssituation von digitalen Medien profitieren zu können. Es werden unterschiedliche Nutzungsstrategien und Formen der Aneignung in den Blick genommen und ihre besondere Relevanz im Kontext von Wohnungslosigkeit rekonstruiert. Die vorgelegte Arbeit untersucht zudem den Nutzen und die Gebrauchswerte von Mobiltelefon und Internet für Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße und geht damit der Frage nach, was sie „davon haben“ digitale Medien zu nutzen, d.h. wie digitale Medien ihnen bei der Bewältigung der herausfordernden Lebensbedingungen helfen, denen sie unterworfen sind

Dazu wird zunächst die Mobiltelefon- und Internetnutzung von Menschen, die auf der Straße leben, aus dem Blickwinkel der Mehrheitsgesellschaft betrachtet. Dabei wird auf die Bedeutung kulturell und historisch gewachsener Sozialfiguren armer und wohnungsloser Menschen eingegangen, woraus sich eine Erklärung dafür ableiten lässt, warum diese Personen bislang nicht als Nutzer_innen von Mobiltelefon und Internet vermutet wurden. Als empirischer Ausgangspunkt fasst die Dissertation sodann den internationalen Stand der Forschung zur Mobiltelefon- und Internetnutzung durch wohnungslose Menschen zusammen. Anhand einer systematischen Literaturauswertung verschiedener quantitativer und qualitativer empirischer Studien wird eine erste Wissensbasis geschaffen und es werden wiederkehrende Muster in der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien durch wohnungslose Menschen sowie übergreifende Nutzungsformen zusammengefasst. Um das untersuchte Forschungsfeld zu beschreiben und das Ausmaß und die Struktur von Wohnungslosigkeit in Deutschland darzustellen, werden verschiedene Schätzungen und Erhebungen zu Wohnungslosigkeit in Deutschland, Nordrhein-Westfalen und Düsseldorf miteinander verglichen. Die aktuelle gesellschaftliche Relevanz von Mobiltelefon und Internet wird verdeutlicht und mit der Problematik der sozialen Ungleichheit in Verbindung gebracht.

Nach einer Beschreibung des Forschungsdesigns und der Spezifika einer Studie im Bereich der Wohnungslosigkeit beschreibt die Dissertation die Nutzung von Mobiltelefonen und Internet durch Menschen, die auf der Straße leben. Dabei wird u.a. auf die Verbreitung von Mobiltelefonen innerhalb dieser Gruppe sowie auf verschiedene Zugangsmöglichkeiten zum Internet eingegangen. Auch wird beschrieben, wie in verschiedene Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe mit der Digitalisierung umgegangen wird.

Die Arbeit erläutert schließlich vier zentrale Dimensionen des Nutzens von Mobiltelefonen und Internet für Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße. Sie geht der Frage nach, wie Mobiltelefone genutzt werden, um sich vor Gefahren zu schützen und das subjektive Sicherheitsgefühl zu erhöhen. Es wird erläutert, auf welche Weise digitale Medien positive Auswirkungen auf die soziale Eingebundenheit haben können, auch wenn die sie nutzenden Menschen keine eigene Wohnung haben. Anschließend wird aufgezeigt, in welcher Hinsicht Mobiltelefone und das Internet für den Aufbau und die Entwicklung eines positiven Selbstbildes nützlich sein können. Schließlich wird die beobachtbare Steigerung des seelischen Wohlbefindens der Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße durch deren Mediennutzung erläutert.

Die Arbeit schließt mit Implikationen für die Soziale Arbeit sowie mit der Rolle und den Aufgaben einer zeitgemäßen Wohnungslosenhilfe in einer digitalisierten Gesellschaft.

Mobile Phone and Internet Use by People Living on the Street in North Rhine-Westphalia, Germany and consequential benefits in their challenging life conditions

In recent years, the number of homeless people and people in need of housing has increased rapidly in Germany. In many places, the German housing assistance system is reaching its limits in terms of both quantity and quality. Parallel to this development, progressive digitization has triggered profound processes of social change. Yet, both grassroots practitioners as well higher-level professionals of homelessness services in Germany can only speculate about the benefits and utility of mobile phones and the internet for homeless people. Except for a limited number of empirical studies (mainly from the US), there has not been much scientific analysis of mobile phone and internet use by homeless people.

Against this background, this dissertation deals with the use of mobile phones and the internet by people living on the street. On one hand it examines the question of how homeless people find access to mobile phones and the internet, how the devices and media are used by different subgroups and which content and functions are used. On the other hand, it examines what hurdles have to be overcome in order to benefit from digital media despite a precarious living situation. The study examines and reconstructs various strategies of use and forms of appropriation as well as their particular relevance in the context of homelessness. Since this is a largely unexamined field of empirical social work research in Germany, the work presented here has exploratory character. Therefore, a mix of methods approach is applied to investigate the subject. The paper not only ties in with the theory of digital inequality research but it is also theory-generating in large parts.

First of all, it deals with mobile phone and internet use by people living on the street from the point of view of the majority of society. In doing so it introduces the importance of culturally and historically developed ‘social characters’ (‘Sozialfiguren’) of poor and homeless people. From this, an explanation can be derived why these people have not yet been considered as users of mobile phones and the internet. As a starting point the paper summarizes the international state of the art on mobile phone and internet use among homeless people. It uses a systematic literature review of various quantitative and qualitative empirical studies to create an empirical knowledge base and to summarize recurring patterns in the use of information and communication technologies by homeless people as well as overarching forms of use. A comparison of the different figures and surveys on homelessness in Germany is useful to describe the research field under investigation and to illustrate the extent and structure of homelessness in Germany. The discrepancy between German and European definitions and category systems in describing certain groups of addressees of homelessness assistance is discussed as well. The next step outlines the historical and cultural roots of the German system of homeless services in order to make clear from where these definitions and the consequential aid offers of today originate.

In addition, the current social relevance of the internet will be clarified and related to the problem of social inequality. For this purpose, the emergence as well as the technical and cultural development of the internet will be outlined historically. This leads to the question whether the internet can counterbalance traditional mechanisms of social exclusion or whether these are even reinforced in a digitizing society. Subsequently the spread and social relevance of mobile phones in Germany will be discussed, which means that a cultural and technical-historical view is taken, which includes the various devices in the superordinate category of so-called "portables".

After a description of the research design and the specifics of a study in the field of homelessness, the dissertation describes the use of mobile phones and the internet by people living on the street. Among other things, it discusses the spread of mobile phones within this group as well as various ways of finding access to the internet. In addition to communication behavior and age-related differences in use, the special hurdles that people living on the street face when trying to use mobile phones and the internet are exemplified. Finally, this part of the dissertation looks at the ways in which various institutions for the homeless have dealt with digitization. So far most of them have not been able to establish a clear professional stance on digitization and have instead perpetuated traditional patterns in the services that they offer to the homeless.

The dissertation then explains four central dimensions of the benefits of mobile phones and the internet for people living on the street. It addresses the question of how mobile phones are used to protect oneself from danger and to increase the subjective feeling of safety. It explains in which way digital media can have positive effects on social inclusion even if people do not have their own home. The paper then shows in which respect mobile phones and the internet can be useful in the construction and development of a positive self-image. Finally, the paper describes a fourth central dimension of benefit: the increase in people's psychological well-being through media use.

The dissertation ends with a conclusion that explains the obvious implications for social work that arise from the findings obtained, as well as addressing the role and tasks of a contemporary homelessness service in a future digitized society.

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