Moderne Heldin im antiken Gewand? „Annette, ein Heldinnenepos“

Im Mittelpunkt von Anne Webers Epos Annette, ein Heldinnenepos, das 2020 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet wurde, steht die Biografie einer bisherigen Randfigur der allgemeinen Geschichtsschreibung: Anne Beaumanoir. Die französische Widerstandskämpferin und ihr lebensrettendes Engagement für die Résistance während des Zweiten Weltkrieges sowie ihre spätere Unterstützung der Algerier*innen im Kampf um die Unabhängigkeit von der französischen Kolonialmacht werden durch Weber einer breiteren, literarisch interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Die Außergewöhnlichkeit der erzählten Taten und Ereignisse im Leben der Neurologin Beaumanoir bedingt eine zunächst unerwartete und unzeitgemäß erscheinende Form der Darstellung: Das Versepos wirkt nicht nur – so hat es die Literaturkritik unisono herausgestellt – in der heutigen Zeit wahlweise anachronistisch oder antiquiert. Vor allem bricht der epische Gesang auf die heute hochbetagte Widerstandskämpferin mit den Erwartungen an ein seit der Antike ausschließlich männlich kodiertes Gattungsmuster. Erzählt das Epos traditionell „von den Taten der Herrscher und Feldherrn und von leidvollen Kriegen“ (Horaz: Ars Poetica, V. 73f.), greift Webers Verserzählung aus der Mitte der verheerenden Kriege des 20. Jahrhunderts die Lebensgeschichte einer bemerkenswerten Frau heraus, besingt die Biografie einer von der Historiografie bis dato Unbeachteten anstelle eines vielgerühmten, männlichen Heros.

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