Langjährige Paarbeziehungen - Belastungen, Probleme und Bewältigungsprozesse in der Paarberatung

Subjektives Wohlbefinden und gesundheitliche Aspekte im Alter sind mit der Zufriedenheit in der Paarbeziehung assoziiert (Schneewind, Wunderer & Erkelenz, 2004). Parallel zur demografischen Entwicklung wächst der Bedarf, Paarberatung im höheren Lebensalter wahrzunehmen. Dennoch befassen sich bislang wenige empirische Untersuchungen speziell mit Paarberatung/-therapie mit langjährigen Paaren. Die hier vorliegende Arbeit fokussiert ältere Menschen in langjährigen Paarbeziehungen, die Beratung im Paarsetting wahrgenommen haben. Ziel war es, die Belastungsfaktoren, die konflikthaften individuellen und dyadischen Problembereiche und die darauf bezogenen spezifischen Bewältigungs- und Veränderungsprozesse der Partner/-innen im Alter von 55 plus zu untersuchen. Paare im höheren Alter sind u.a. herausgefordert, diverse körperliche und psychische Belastungen und Einschränkungen sowie Rollenveränderungen in ihrer Paarbeziehung und im beruflichen Bereich zu bewältigen. In der vorliegenden Arbeit wurde in einem explanativen zweiphasigen Design zunächst eine Fragebogen- und nachfolgend eine qualitative Interviewstudie mit langjährigen Paaren in Paarberatung durchgeführt. In Studie 1 wurden den teilnehmenden Partnern/-innen im Alter von 55 bis 79 Jahren zu Beginn (62 Personen) und bei Beendigung ihres Paarberatungsprozesses (36 Personen) standardisierte Fragebogen vorgelegt, um die individuellen und partnerschaftsbezogenen Belastungen und Konfliktbereiche zu erfassen. Die Ergebnisse der Studie 1 lassen erkennen, dass sich über den Zeitraum der Paarberatung die subjektiven gesundheitlichen Beschwerden der einzelnen Personen reduzierten und die Gesamtbelastung der jeweiligen Paarbeziehung abnahm. Eine Steigerung der subjektiven Unzufriedenheit zeigte sich bei den Teilnehmern/-innen hingegen bezüglich der affektiven Kommunikation, emotionalen Intimität und Aggression in der Beziehung zum Partner/zur Partnerin sowie hinsichtlich des gemeinsamen Problemlösens. In Studie 2 wurden die genannten Aspekte der Fragebogenstudie mittels qualitativer Einzelinterviews mit je beiden Partnern/-innen von fünf Paaren aus dem Teilnehmerpool der Studie 1 differenziert und vertieft. Ziel war, die subjektive Perspektive dieser älteren Menschen auf ihre Erfahrungen im Zeitraum ihres Paarberatungsprozesses zu explorieren. Das Forschungsinteresse lag in der Studie 2 insbesondere auf Phänomenen der Selbstöffnung und gegenseitigen emotionalen Erreichbarkeit und Unterstützung der Partner/-innen sowie auf den Aspekten Stress, Emotionsregulation und Ärgermanagement im Zusammenhang mit Problemen in der Paarbeziehung und auf den gemeinsamen Problemlösungsstrategien in den langjährigen Paarbeziehungen. Der Ansatz der Entwicklungspsychologie der Lebensspanne (Brandtstädter, 2007) bietet einen geeigneten theoretischen Rahmen, um die Prozesse in der Paarberatung mit Älteren in langjährigen Paarbeziehungen zu reflektieren. Modelle der emotionalen Entwicklung im höheren Alter (Carstensen & Lang, 2007) und der Umzentrierung sozialer Motive im höheren Alter (Lang, 2003) werden ebenso einbezogen wie Forschungsergebnisse zur Emotionsregulation bei Älteren in langjährigen Paarbeziehungen (Holley, Haase & Levenson, 2013). Insbesondere die sozio-emotionalen Stärken und Vulnerabilitäten in der Lebensphase Alter werden berücksichtigt (Charles & Carstensen, 2010; Charles & Luong, 2013). Koregulative Prozesse bei Paaren erfolgen wechselseitig auf emotionaler und physiologischer Ebene, was sowohl zur Balance als auch zur Destabilisierung beider Partner/-innen beitragen kann (Butler & Randall, 2013). Die zentralen Ergebnisse der Studie 2 zu Belastungen, Problembereichen und Bewältigungsprozessen in der Paarberatung mit Älteren in langjährigen Paarbeziehungen sind in einem zirkulären Prozessmodell zusammengefasst. Schlüsselsituationen, die dazu führten, dass die befragten langjährigen Paare Paarberatung in Anspruch nahmen, waren durch die Zuspitzung massiver akuter und chronischer Belastungsfaktoren und Verlusterfahrungen gekennzeichnet, verbunden mit dem subjektiven Gefühl der Überforderung und Verzweiflung. Diese Phänomene führten zu einer emotionalen Entfremdung vom Partner/von der Partnerin. Im Lauf des Paarberatungsprozesses öffneten die Partner/-innen sich emotional wechselseitig dem Partner/der Partnerin gegenüber und durchbrachen ihre bisherigen dysfunktionalen Muster auf der Paarebene. Dies förderte die emotionale und körperliche Wiederannäherung auf der Paarebene, was wiederum zur Verringerung der subjektiven Belastung und der Unzufriedenheit mit der Paarbeziehung sowie zu einem gesteigerten Wohlbefinden der einzelnen Personen führte. Einigen der Befragten diente eine aktive Vermeidung von Konflikten in der Interaktion mit dem Partner/ der Partnerin dazu, negative Gefühle und destruktive Streitsequenzen zu vermeiden. Die Veränderungen auf der Paarebene zeigten sich nach der Beendigung der Paarberatung als nicht stabil, sobald erneut überfordernde Stressfaktoren auftraten. Auch wenn die Aussagekraft der Ergebnisse der hier vorliegenden Studien durch den geringen Umfang und der Selektivität der Stichproben eingeschränkt ist, geben sie Hinweise auf ein Konzept für die Paarberatung mit Älteren in langjährigen Paarbeziehungen. Dieses priorisiert emotionale Sicherheit und Verbundenheit in der Paarbeziehung als Basis für den konstruktiven Umgang mit Konflikten. Im Beratungsprozess sollten Strategien der Emotionsregulation gefördert werden, die auf altersbedingten Stärken basieren (Urry & Gross, 2010) und altersbestimmte Vulnerabilitäten berücksichtigen (Charles, 2010). Katamnestische Beratungstermine nach Beendigung der Paarberatung können zudem langjährigen Paaren zur Stabilisierung der erarbeiteten Veränderungen dienen. Bezüglich der Paarberatung erscheint eine weitere Differenzierung gewinnbringend, welche Bedeutung das Lebensalter der Partner/-innen und welche die Dauer der Paarbeziehung hat, ebenso wie die Betrachtung der verschiedenen Alterskohorten innerhalb des höheren Lebensalters.
In old age subjective wellbeing and health aspects are associated with partners’ satisfaction with couple relationship (Schneewind, Wunderer & Erkelenz, 2004). Parallel to demographic aging increasing requirement of couple counseling in long-term relationships is stated. However, there is little empirical research on couple therapy with long-term couples to date. The present work focuses elderly people in long-term couple relationships, making use of couple counseling. The general objective was the exploration of main stress factors, crucial individual and dyadic problem areas as well as related specific coping and change processes of the partners aged 55 plus. Elderly couples are faced with e.g. diverse physical and mental health restrictions and role changes regarding their couple relationship or their professional life. In an explanative two-phases design, two studies with long-term couples in couple counseling have been conducted. In a first step, a study using standardized questionnaires was performed (Study 1). Subsequently, qualitative interviews were carried out (Study 2). To collect individual and dyadic strains and problems in Study 1 participating partners aged 55 to 79 years were asked to submit questionnaire replies at the beginning (N=62) and the end (N=36) of their couple counseling process. The results of Study 1 indicate decreasing individual subjective health problems and reduced strains of respective couple relationships during couple therapy process. However, the subjective dissatisfaction of the participants increased concerning affective communication, emotional intimacy and aggression in couple relationship as well as joint problem solving with the partner. In order to differentiate the results of the questionnaire Study and to gather more profound understanding of the mentioned issues, in Study 2 qualitative single interviews with both partners out of five couples of the member pool of Study 1 were conducted. The aim of Study 2 was to explore the subjective perspective of these elderly people towards their experiences during the process of couple counseling. Research interests of Study 2 included phenomena of self-revelation, perceived mutual emotional accessibility and support of the partners, aspects of stress, emotion-regulation and anger management regarding couple relationship problems and strategies of common problem solving in long-term couple relationships. The lifespan developmental approach (Brandtstädter, 2007) was selected to reflect processes in couple therapy of elderly and long-term couples. This includes theoretical paradigms of emotional development in older age (Carstensen & Lang, 2007) and of changes of motivation facing shrinking time horizon (Lang, 2003) as well as research results of affect regulation in long-term couple relationships (Holley, Haase & Levenson, 2013), especially considering socio-emotional strengths and vulnerabilities of older adults (Charles & Carstensen, 2010; Charles & Luong, 2013). Couples mutually experience coregulation processes regarding emotional and physiological levels resulting in balance or destabilization of the partners (Butler & Randall, 2013). Key findings of Study 2 in relation to stresses and strains, problems and coping processes of the long-term couples in couple therapy are condensed in a circular process model: Initial situations leading the interviewed partners to register to couple counseling were characterized by culmination of massive chronic and acute strains and losses associated with feelings of excessive demands and desperation. These phenomena gave rise to emotional alienation of the partners. In the course of couple therapy the partners mutually opened their thoughts and emotions and modified their previous dysfunctional pattern of interaction. Thus, emotional and physical rapprochement of the partners was fostered with the effect that subjective load of the partners and dissatisfaction of the couple relationship decreased, and subjective emotional wellbeing increased. To prevent negative emotions and destructive conflicts with their spouse, some of the interviewed partners actively used avoidance strategies in couple interactions. Upon completion of couple therapy changes in the couple relationships appeared instable as soon as overcharging stress factors occurred again. Even though the significance of the results is limited because of the small extend and selectivity of the samples, the results of the Study 1 and 2 suggest that an approach to couple therapy for elderly in long-term couple relationships should prioritize emotional safeness and attachment in couple relationship to facilitate constructive conflict management. The couple therapy process should emphasize emotion regulation strategies based on age-related strengths (Urry & Gross, 2010) and consider age-related vulnerabilities (Charles, 2010). Moreover, long-term couples may benefit from catamnestic consultation appointments to consolidate the developed changes. Furthermore it would be beneficial to differentiate the impact of chronological age and relationship age on couple counseling and to consider phenomena of different age cohorts among the elderly couples.

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