Erzählung als Verkündigung : der Auftrag der geistlichen Dichtung in „dürftiger Zeit“ : dargestellt an Leben und Werk Siegbert Stehmanns

Man sagt, dass die moderne Welt in ihren Grundstrukturen eine Welt der Krisen ist, dass es keine elementaren Sicherheiten mehr gibt, die dem Menschen Sinn und Halt vermitteln. Der Facettenreichtum der ‚Krisenherde‘ entzieht sich jedoch einer allgemeinen Bestimmbarkeit. In den Strudel der Unwägbarkeiten ist auch das Christentum einbezogen. In einer kritischen Diagnose der Existenz des christlichen Glaubens kann man auch hier von einer ‚Krise‘ reden, man spricht sogar von einer ‚Fun-damentalkrise‘. Für den Pfarrer und Schriftsteller Siegbert Stehmann ist solcherart ‚Fundamentalkrise‘ besonders greifbar in den Wirren seiner Zeit. Für ihn hat das Verhaftetsein in kausalen Denkstrukturen, das Denkschema der Immanenz, das die Mittelpunktstellung des Menschen betont, ein allenthalben vorhandener Nihilismus u.a. zur Perversion der Freiheit geführt, welches im 3. Reich in besonderer Weise zutage trat. So konstatierte er im Wirrwar seiner Zeit (ideologisch, theologisch, kirchengeschichtlich) den status confessionis. Das ,Sein Gottes‘ sollte wieder Dominanzfunktion erhalten, ordnungstheologische Bezüge wieder relevant werden. Stehmann stellt sich wieder auf das Fundament des überlieferten christlichen Glaubens. Für ihn sind es geradezu katastrophale Folgen für Mensch und Welt, wenn die Bindung an das Zeugnis der Heili-gen Schrift und an das Bekenntnis sich verändert, gelockert wird. Im Angesicht dieser Situation haben Christen das wahre Evangelium zu verkündigen, das der Weltangst ein Ende setzt und Zutrauen gibt zur Umkehr und neuem Leben. Stehmanns Glaubensverständnis war in seinen Grundzügen reformationsbestimmt. Er befand sich in Kontinuität mit der Botschaft des Evangeliums, dessen heilsgeschichtliche Dimension er bezeugt und gelebt hat als präsentische Identifikation mit dem Vergangenen. Reformationsbestimmt aber war es auch insofern, als er die Interpretation einer ‚Theologie als Lebenswort‘ im lutherischen Sinne gedacht und praktiziert hat. Daher ist Glaube für ihn auch kein Abstraktum, sondern immer schon inhaltlich qualifiziert, er ist für ihn „daseinsbestimmendes Vertrauen“ (Härle). Der Glaube bleibt immer gebunden an die Schrift, er befähigt den Menschen zu einem Leben, das ihn über Resignation und Fatalismus hinausführt. Die Existenz Stehmanns in den Kriegszeiten hat diese Tatsache eindrücklich bewahrhei-tet. Luthers weltgebundene, situative Theologie war für Stehmann auch insofern bedeutsam, als sie ihm in besonderer Weise verdeutlicht hat, wie sehr das Evangelium auch in den Brüchen des Lebens Halt verschafft. Die Weltbezogenheit der Theologie Luthers hat ihm gezeigt, dass Gott in seiner Schöpfung präsent ist, dass sie nicht der Eigengesetzlichkeit untersteht, aber von Gott zu unterscheiden ist und somit auch dem menschlichen Veränderungswillen unterliegt. Auch die Legitimität seiner Existenz leitet Stehmann aus der lutherischen Erkenntnis ab: Im Glauben an die Tat Gottes in Jesus Christus haben wir Anteil und sind gerecht gesprochen extra nos, wir sind nicht gerecht als Qualität, wir sind von Gott gerecht gesprochen. Dieser Vorgang hat Konsequenzen. So ist es für Stehmann ein Ausdruck der Ehrerbietung, ein Akt der Anbetung, ein Lobpreis Gottes, wenn er seine schriftstellerischen Gaben nützt. Für ihn ist die Christologie Mittelpunkt seines theologischen Denkens. So ist die Beschäftigung mit der Gestalt Jesu in ihrer Wirkungsgeschichte nicht nur ein wissenschaftliches Erfordernis, sondern in erster Linie ein Identifikationsangebot zur Sinnfindung der eigenen Existenz. Es stand für ihn fest, dass zu einer sachlichen Behandlung der Gestalt Jesu die gesamte Fülle der historischen, kultur- und geistesgeschichtlichen Aspekte zu berücksichtigen ist. Seine Untersuchungen zur Leben-Jesu-Dich-tung verdeutlichen diese Vorgaben. Die historische Rückbindung hat ihren Grund darin, dass Jesus einerseits aus seiner damaligen Zeit und Umwelt zu verstehen ist, andererseits aus dem Glaubens- und Verkündigungszusammenhang des Neuen Testamentes. Stehmann literarische Jesusdeutung ist ohne das neutestamentliche Glaubenszeugnis nicht denkbar, dies ist für ihn Grundlage seines Jesusbildes. Sein Interesse ist aber nicht ausschließlich einem historisch-biblischem Bild verpflichtet, sondern entspricht auch dem theologischen Anspruch, in kerygmatischer Absicht die Relevanz des biblischen Jesus für Zeit und Existenz deutlich zu machen, es geht ihm um das Verständnis Jesu und seiner Botschaft im Hier und Jetzt. In diese Einsicht ist auch sein Verkündigungsverständnis eingebettet. Biblische Verkündigung bedeutet für ihn aufzuzeigen, mit welchem Inhalt Gotteserfahrung und Gottesbegegnung erfolgen kann. Die Verkündigung des Wortes Gottes, der heilsschaffenden Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders gehört zu den wesentlichen, unentbehrlichen und unersetzlichen Lebens- und Wirkformen der christ-lichen Gemeinde. Röm. 10, 14-18 betont die Wirkmächtigkeit einer glaubensschaffenden Verkündi-gung, betont deren Auftrag und Verheißung. Sie vergegenwärtigt mit ihrer christologischen Mitte die Heilstaten Gottes und nimmt in ihrer Verbindlichkeit den Angesprochenen in Anspruch. Luthers Aussage „Nihil nisi Christus praedicandus“ betont die christologische Mitte jeglicher Ver-kündigung und verweist auf die Präsenz Christi im göttlichen Wort. Der christus praesens repräsentiert die ewige Gegenwart Gottes und will in der Verkündigung konkretisiert sein. Diese Konkretion ge-schieht traditionsgemäß in der Predigt, was aber nicht heißen muss, dass eine ‚Verkündigung in ande-rer Gestalt‘ durchaus ihren Sachbezug hat. „Was tut´s aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf alle Weise…“ (Phil. 1, 18). Je nach Zeitbezogenheit, Kontext und Ziel kann die zentrale Stellung der Predigt ergänzt werden. Eine Kontextualisierung dieses Anliegens bezieht in besonderer Weise die Zeit und Umstände heran, in denen die gottesdienstliche Verkündigung ihre Wirkkraft verloren zu haben scheint. Stehmann war in seiner menschlichen, pastoralen und dichterischen Existenz ganz in Gott gegründet und sich auf ihn beziehend, Für ihn muss die Verkündigung in Zeiten der Desorientiertheit, eines für viele kraftlos gewordenen Glaubens die göttliche Nähe verstärkt bezeugen. An den Äußerungen Stehmanns (ob fiktional oder expositorisch) wird deutlich, dass er seine Zeit als Zeit des Niedergangs verstanden hat, sowohl politisch-gesellschaftlich als auch geistig-geistlich. Er spricht hier von einer tiefernsten Notlage und Bedrängnis des Menschen und seiner Welt und wünscht sich dringend, dass diese Zeit nicht den Sieg erringen dürfe, und er erwartet, in betont christlicher Erwartung, dass einmal der Tag kommen möge, worauf die ganze Menschheit wartet, damit ihre Wun-den geheilt würden, die sie sich selbst zugefügt hat.. Verantwortlich für den allgemeinen Niedergang ist für ihn ein eklatanter Traditionsbruch, der offen ist für nihilistische, ideologische Phrasen und den Menschen seiner Zeit in eine Bewusstseinskrise gestürzt hat. Aber gerade für eine solche Zeit gilt, dass verkündigt werden muss „zur Zeit und Un-zeit“ (2.Tim.4,2). Die Unzeit, die „dürftige Zeit“ war für Stehmann der NS-Staat und der Zweite Weltkrieg. Nachdem auch er sich von den Parolen der NSDAP vor 1933 hat blenden lassen, wurden ihm nach der Machtergreifung die staatlichen Praktiken immer suspekter. Vor allem aber die Kirchenpolitik im Verein mit den ‚Deutschen Christen‘ war für ihn mit dem Evangelium nicht mehr vereinbar. Als aktives Mit-glied der ‚Bekennenden Kirche‘ war fortan der Kampf gegen die zersetzende Gewalt des Nihilismus Grundlage seiner Existenz als Pfarrer und christlicher Dichter. Sein literarisches Schaffen war wegen der Zeitereignisse besonders darauf ausgerichtet, den Menschen die heilbringende und stärkende Kraft des Evangeliums zu verkündigen. Ziel ist, nach reformatori-schem Verständnis, der Christus pro nobis. Ihn gilt es zu verkündigen, denn er ist der Grund allen Heils, ihn gilt es zur Sprache zu bringen, und das in aller Klarheit und Ursprünglichkeit. Stehmann war davon überzeugt, dass eine annähernde Ganzheitserkenntnis nicht auf dem Weg der Wissenschaft möglich ist, sondern eher im Rahmen der Kunst erfolgen kann, wobei er davon ausgeht, dass Kunst Wirklichkeit transparent macht, sie in ihrer Komplexität vergegenwärtigen kann. Steh-mann will für seine Zeit durch seine Dichtung Gott wieder zum Mittelpunkt machen für sich und die Welt. Insofern ist er als Dichter auch der Bekennende. Für ihn drängt die Zeit, geleitet von apokalyp-tischen Vorstellungen. Es sind für ihn endzeitliche Visionen, die ihm die Dringlichkeit einer zeitent-sprechenden Verkündigung vor Augen führt. In dieser Funktion fühlt er sich als cooperator dei. Diese knappe thematische Skizzierung der für Stehmann grundlegenden Glaubenswahrheiten will, trotz inhaltlicher Interdisziplinarität, den theologischen Charakter der vorliegenden Arbeit herausstellen, es ist der Versuch, ein biographisches und werkgeschichtliches Gesamtbild Stehmanns zu erstellen, das in seiner theologischen Relevanz durchdrungen ist von den heilsgeschichtlichen Implikationen des Evangeliums. So soll die Arbeit in ihrer Grundstruktur vornehmlich historisch-theologischer Lesart sein. Literarische Fragen bleiben daher zweitrangig. Diese Akzentsetzung ist auf die Frage der Homiletik zurückzuführen und bezieht sich, gründend auf Stehmanns reformatorischem Denken, auf den Verkündigungsaspekt mit der Maßgabe, ‚Verkündigung in dürftiger Zeit‘ zu sein. Die Problemstellung erfasst daher, neben den biographisch-werkgeschichtlichen Aspekten, die Einordnung in den historischen sowie in den theologie- und kirchengeschichtlichen Kontext. Der Einbezug des modernen wissenschaftlichen Diskurses zum Verhältnis von Theologie und Literatur erfolgt nur dort (und das nur ansatzweise), wo der literaturtheologische Ansatz der Stehmann`schen Dichtung zur Sprache kommt. Die Weite des Aufgabenfeldes macht diese Beschränkung notwendig

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