Die Relevanz lernprozessorientierter Sequenzierung im physikbezogenen Sachunterricht - eine Videostudie zur Berücksichtigung von Tiefenstrukturen beim Experimentieren

Eine im physikbezogenen Sachunterricht verbreitete Schwierigkeit scheint in der starken Fokussierung auf die handelnde Auseinandersetzung mit einem Experimental- bzw. Lerngegenstand zu liegen, ohne diesen zu reflektieren (vgl. Ohle, 2010). Dabei werden gerade reflektierende Phasen und denkende Auseinandersetzungen beim Experimentieren als wichtige Elemente des Lernprozesses angesehen (vgl. z.B. Hofstein & Lunetta, 2004; Abrahams & Millar, 2008). Der bewussten Sequenzierung mentaler Verarbeitungsprozesse, der sogenannten Tiefenstrukturierung, wird großes Potential unterstellt (Fischer et al. 2002), um solche „Hands-on-Minds-off“-Aktivitäten schon auf der Planungsebene zu vermeiden. Oser und Kollegen (z.B. 2001) haben insgesamt zwölf Basismodelle zur Tiefenstrukturierung entwickelt, von denen drei relevant für den physikalischen Sachunterricht zu sein scheinen: Konzeptbilden, Lernen durch Eigenerfahrung und Problemlösen. Diese Annahme basiert auf Studien zum Physikunterricht, in denen sich die drei genannten Basismodelle als förderlich erwiesen haben (vgl. z.B. Wackermann, 2007, Zander et al. 2015). Für den Sachunterricht liegen allerdings kaum empirische Ergebnisse vor. Ziel der vorliegenden Studie ist es, die Eignung der drei o.g. Basismodelle für den physikbezogenen Sachunterricht empirisch zu überprüfen. Inwiefern sich die o.g. Modelle eignen, wird auf drei Ebenen analysiert, denen sich drei übergeordnete Forschungsfragen zuordnen lassen: F1 Die Ebene des Unterrichtsangebots: Inwiefern können die drei o.g. Basismodelle erfolgreich in den Sachunterricht implementiert werden? F2 Die Ebene der Lernaktivität bzw. der Nutzung des Unterrichtsangebots: Inwiefern können die Schülerinnen und Schüler einem auf Grundlage der o.g. Basismodellen tiefenstrukturierten Sachunterrichtsangebot – inklusive der reflektierenden bzw. kognitiv ausgerichteten HKS – im intendierten Sinne folgen bzw. inwiefern nutzen sie es im intendierten Sinne? F3 Die Ebene der Lernwirksamkeit: Inwiefern führt eine Unterrichtseinheit, die anhand der drei o.g. Basismodelle tiefenstrukturiert ist, zu einem Lernerfolg? Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde eine Unterrichtseinheit entwickelt (Aggregatzustände und ihre Übergänge), die nach den o.g. Basismodellen tiefenstrukturiert wurde. Die Einheit wurde in fünf Klassen der vierten Jahrgangsstufe durchgeführt (n= 112). Den Forschungsfragen 1 und 2 wird anhand einer quantitativen Analyse von Unterrichtsvideos nachgegangen. Hierfür wurden die Unterrichtstunden videografiert und sowohl das Unterrichtsangebot als auch die Nutzung des Angebots von der Seite einzelner Schülerinnen und Schüler wurden intervallbasiert kodiert. Die Kodierung zeigt gute Interrater-Reliabilitäten (.71< κ < .97). Eine kriteriengeleitete Analyse der Daten weist auf eine erfolgreiche Implementation der Basismodelle auf der Ebene des Unterrichtsangebots und eine effektive Nutzung dieses Angebots hin. Es lassen sich keine signifikanten Unterschiede in der Nutzung des Angebots zwischen Mädchen und Jungen sowie zwischen Schülerinnen und Schülern mit unterschiedlichen kognitiven Fähigkeiten finden. Das deutet darauf hin, dass sich die o.g. Basismodelle als Möglichkeit zur Tiefenstrukturierung im physikbezogenen Sachunterricht für Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Voraussetzungen eignen. Für die Beantwortung der 3. Forschungsfrage wurde ein Prä-Posttest durchgeführt. Dafür wurde ein aus der PLUS-Studie vorliegender Paper&Pencil-Test zum deklarativen und konzeptuellen Wissen herangezogen (Kauertz et al., 2011). Der Test weist eine gute Reliabilität im Posttest auf (Cronbachs α post = .80). Es zeigt sich ein signifikanter Lernzuwachs zwischen erstem und zweitem Messzeitpunkt (p < .001) mit einer mittleren bis hohen Effektstärke (Cohens d = .77). Die Ergebnisse lassen annehmen, dass eine Tiefenstrukturierung nach Oser et al. (z.B. 2001) im physikbezogenen Sachunterricht sowohl fachdidaktisch-konzeptionell als auch auf den drei o.g. Ebenen, also in Bezug auf das Lernangebot und die Lernaktivität bzw. Nutzung reflektierender Phasen und den Lernzuwachs sinnvoll ist.

In elementary school, often physics topics are implemented with the aid of hands-on activities, using simple experimental devices (e.g. Ohle, 2010). But neither the content nor the procedures of these experiments are usually embedded in cognitive reflection or knowledge applications (ibid.). Particularly reflections, including planning, conducting and analyzing an experiment, are very important elements for learning science in all levels of education. Therefore it is essential, that „students [...] interact intellectually as well as physically“, otherwise the special potential of school laboratory activities will be lost (Hofstein, & Lunetta, 2004, 49). So how an instruction should be designed to facilitate and initiate cognitive interaction? This study is based on the models developed by Oser & Baeriswyl (2001). They describe 12 basis models of teaching as possible ways of structuring lessons. The models are based on the assumption that in order to enable successful learning processes, certain key steps need to be taken (ibid.). All basis models consist of a number of steps that depend on the teaching goal of the lesson. A suitable basis model for a particular lesson depends on the respective teachings goals. One important character of the basis models can be found in the reflective phases, as these phases allow students deeper cognitive involvement with the content. Three of the basis models are stated to be essentially important for physics lessons (e.g. Wackermann, 2007), also at elementary level. These models enable the most common structures of experiments and hands-on-activities in elementary school: Learning through Experience, Problem Solving and Concept Building. The aim of this study was to evaluate the efficacy of an implementation of the three learning sequences for elementary physics lessons. For that purpose, a teaching unit has been developed and taught in five elementary school classes (grade 4, n=112 students). The students’ ages ranged between 8 – 12 years. The unit addressing the topic of “evaporation and ¬¬¬¬¬¬condensation“ consists of five 90-minute lessons in which all three aforementioned basis models are implemented. The learning gain was measured with a pre-post-test. Interest, cognitive abilities and reading comprehension were controlled by adequate, corresponding instruments (PLUS-Interest scale, CFT R-20, ELFE). To analyze the quality of the implementation and the learning activities of the students, the unit has been videotaped. The quantitative analysis of the videos was based on a self-developed manual. In order to prove the reliability of the coding manual, 40% of all videos were coded independently by two coders. A satisfying interrater agreement was reached for the sequencing of learning processes (.7 < κ < .97). The analysis shows that the basis models were implemented in a high quality way. For the analysis of students’ learning activities, the videos of 20 students were coded individually. The students were chosen based on their learning gains, ten high- and ten low-achievers. The analysis showed that students can follow the implemented steps in general. No significant differences between the learning activities of boys and girls or students with higher or lower cognitive abilities can be found in the whole teaching unit. The learning gain between pre- and post-test was highly significant (t(111) = 5,5 : p < .001) with a medium to large effect size (Cohen’s d = .77). The reliability increased from pre-test to post-test (Cronbach’s α pre = .59, Cronbach’s α post = .80), showing that the students knew more and guessed less after the teaching unit took place. The study shows that an instructional model based on a composition of three of Oser & Baeriswyl’s basis models can be implemented in elementary school science classes with a high impact on the students’ learning achievement. The teacher is able to implement the learning sequences on a high quality level. Students with high and low learning gains and different cognitive abilities were able to follow the implemented steps in a similar way. It can be assumed, that the implemented basis models are an adequate way to structure science lessons in primary school.

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