DIVERSITY ALS WAHRNEHMUNGSPHÄNOMEN - STUDIERENDENVIELFALT UND IHRE BEDEUTUNG FÜR DEN LEHR-LERNPROZESS AUS DER PERSPEKTIVE VON HOCHSCHULLEHRENDEN

Der Lehr-Lernprozess - zumal im Hochschulbildungskontext - impliziert schon in seinem Grundverständnis den Umgang mit der Heterogenität der Lernenden im Hinblick auf deren individuelle Entwicklung aus Perspektive des gesellschaftlichen Auftrags sowie der Bildungsgerechtigkeit. Zudem entsprechen die Unterschiedlichkeit und das damit verbundende Infragestellen bestehender Modelle der Welt der Ursprungsidee der Universität als Geburtsort neuer Ideen und Konzepte. Allein bezüglich der ökonomischen Perspektive geht der Diversity-Ansatz darüber hinaus. Erst in neuerer Zeit wird mit der Einführung und Etablierung neuer Steuerungsmodelle für staatliche Bildungsträger dieser Aspekt auch für den gesamten Bildungskontext zum Argument für eine Auseinandersetzung mit der Vielfalt. Die damit verbundenen Aktivitäten bleiben jedoch häufig auf vermeintlich messbare Merkmale wie Geschlecht, Migrations- oder Bildungshintergrund reduziert. Durch die damit verbundenen Operationalisierungen und Zuschreibungen wird häufig die defizitäre Differenz erst erzeugt oder zumindest verstärkt. Die Bildungsforschung und das Diversity-Management stehen vor der bisher ungelösten Herausforderung, den Bildungsauftrag in dem Sinne zu füllen, dass Lern- und Entwicklungsprozesse für die vielfältigen Individuen, Systeme und letztlich die Gesellschaft ermöglicht und gefördert werden. Letztlich geht es darum, dass unterschiedliche Perspektiven, Erfahrungen und Herangehensweisen ohne wertende Stereotypisierung berücksichtigt werden und einfließen können. Viele der bisherigen Konzepte und Strategien zur Erfassung und zum Umgang mit Diversity, auch in ihrer Anwendung auf die Hochschulbildung, erzeugen durch die Art des Herangehens erst die Differenz, die sie zu überwinden suchen. Erst in der neueren Diskussion werden die Wirkmächtigkeit von Kontexten sowie vereinzelt auch die Bedeutung der Wahrnehmung im Hinblick auf die Konstruktion von Diversity in den Blick genommen, die im Fokus dieser Arbeit steht. Die Erhebungsmethode des Repertory-Grids, die Kelly (1955) basierend auf seiner Psychologie der persönlichen Konstrukte entwickelt hat, spiegelt ebenfalls diesen forschungsmäßig noch weitgehend unbeschrittenen Bereich. Es wurden 20 Grid-Interviews mit Hochschullehrenden geführt, um damit ein „Blitzlicht“ auf die Wahrnehmung von Studierendenvielfalt zu werfen und damit verbunden auch zu neuen Erkenntnissen über die Bedeutung dieser wahrgenommenen Diversität für den Lehr-Lernprozess zu gelangen. In dem Versuch, das Wesentliche aus der Vielfalt der Wahrnehmungen von 20 Hochschullehrenden im Hinblick auf die Fragestellung der Arbeit herauszuarbeiten, lässt sich vielleicht am ehesten die Subjektivität und Fluidität der Diversität der Studierenden als psycho-soziale Konstruktion beschreiben. Und so machen die Ergebnisse deutlich, dass es trotz der auch „objektiv“ wachsenden Diversität der Studierenden in Hochschulen nicht darum gehen kann, eine objektive Vielfalt zu managen, sondern vielmehr darum gehen muss, mit den wahrgenommenen Unterschieden und ihrer abgeleiteten Bedeutung für den Lehr-Lernprozess umzugehen. Diese Perspektive wie auch die angewendete Methode des Repertory-Grids, eröffnen die Chance, die individuelle Wahrnehmung und Deutung der Diversität zu reflektieren, um hieraus Impulse für das Lehrhandeln sowie die Gestaltung des Lehr-Lernprozesses abzuleiten. Konkret werden die lehr-lernrelevanten Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Studierenden durchaus auch in großen Vorlesungsformaten sichtbar. Die Wahrnehmung der Studierenden setzen die Lehrenden aus ihren unterschiedlichen Erfahrungsbereichen zusammen. Dabei spielen v. a. Beratungsformate im Rahmen der Sprechstunde oder im Kontext von Prüfungs- und Präsentationsszenarien sowie die Betreuung von Abschlussarbeiten eine Rolle, wenn es um die Interpretation beobachteter Verhaltensweisen in Hinblick auf vermutete Hintergründe oder Zusammenhänge mit Diversity-Merkmalen geht. Tatsächlich wahrnehmbar und beschreibbar werden die lehr-lernrelevanten Unterschiede der Studierenden in Verhaltensweisen und -mustern, die sich lediglich im geringen Maße mit den klassischen Diversity-Merkmalen in Verbindung bringen lassen. Diese werden vielmehr hinsichtlich ihrer direkten Wahrnehmbarkeit vielfach in Frage gestellt. Stereotypisierungen und vermutungsbasierte Zuschreibungen werden in mehreren Fällen bereits durch die angewendete Erhebungsmethode, die zur Selbstreflexion anregt, aufgedeckt. Dies gilt auch und insbesondere für die Entwicklung der Konstrukte bezogen auf die Bedeutung der Verhaltensmuster für den Lehr-Lernprozess sowie deren Einschätzung in der Grid-Matrix. Hierin liegt ein zentrales Potenzial des Repertory-Grids als Erhebungs- und zugleich Interventionsinstrument, bezogen auf die individuelle Reflexion der eigenen Wahrnehmung sowie die hieraus abgeleiteten Entwicklungsmöglichkeiten für die einzelne Lehrperson. Darüber hinaus lässt sich, aus den im Rahmen dieser Arbeit gefunden Kategorien der Elemente und Konstrukte eine Grid-Matrix erstellen, die den Einsatz für eine größere Gruppe Hochschullehrender ermöglicht. Die dann auch digital zu erhebenden und auszuwertenden Einschätzungen würden entsprechend durch die Vorgabe der Elemente und Konstrukte eine Vergleichbarkeit der Grids untereinander ermöglichen. Damit könnten dann auch beispielsweise fachkulturelle oder hochschultypenbezogene Besonderheiten sichtbar werden. Allerdings ginge damit die ursprüngliche Intention der Methode verloren und es wäre mit der Gefahr der Stereotypisierung umzugehen. Etwas offener wären Möglichkeiten, in denen beispielsweise nur die Elemente vorgegeben werden und die Konstrukte individuell entwickelt würden. Zudem wären für weitere Erhebungen konkretere Vorgaben bezogen auf die Elemente und Konstrukte wie auch bezogen auf den Kontext des Lehr-Lernformats denkbar und sinnvoll. So könnten beispielsweise bestimmte Lehr-Lernformate oder Beratungsformate fokussiert werden. Interessant wäre hier eine ggf. auch vergleichende Betrachtung im Hinblick auf die Wahrnehmung von Vielfalt in digitalen Lehr-Lernformaten. Wichtig erscheinen zudem die Betrachtung der Wahrnehmungsperspektive der Studierenden und auch der Aspekt des Gruppenlernprozesses. Mit der Erweiterung des Blicks auf den eingangs beschriebenen Bezugsrahmen sollten für das Diversity-Management auch die anderen Ebenen und Bereiche aus der Perspektive von Diversity als Wahrnehmungsphänomen betrachtet werden. Hier ist v. a. die kulturelle und strukturelle Perspektive im Sinne der Personal- und Organisationsentwicklung zu nennen.
In its basic understanding, the teaching and learning process - especially in higher education (HE) - implies dealing with the heterogeneity of learners. The underlying motivation is to contribute to individuals’ personal development and to adhere to HEs social responsibility and the task to provide education for all. Furthermore, this heterogeneity and the questioning of existing models of the world, both constitute parts of the basic idea of universities, namely providing an incubator for new ideas and concepts. In this context, diversity management – being applied to the context of educational science, as well as the teaching and learning process – hereby adds an economic perspective to the discussion. The introduction of new management models in the state’s educational organizations portray this aspect to the larger educational context and help to deal with the topic of diversity. As a result, activities associated with diversity are often limited to supposedly measurable characteristics such as gender, migration and educational background. However, the associated operationalizations and attributions often do not capture the true nature of underlying differences among learners. Diversity management and educational research are confronted with the unsolved challenge to adhere to HEs social task of ensuring educational justice and providing added-value through contributing to a learning process that mirrors the multifaceted and diverse nature of individuals, systems and society. Ultimately it is a question of providing different outlooks, experiences and approaches without evaluating and stereotyping. Many of the concepts and strategies that have so far been developed to categorize diversity and to measure socio-demographic and -economic backgrounds as the sole sources of diversity among learners – also in the context of HE – have contributed to the stigmatization of individuals. Yet, it is precisely this process of stigmatization, which they aimed to minimize and diminish. Consequently, this manuscript argues that the envisioned objectivity of the currently used approaches and models does not properly address the issue of heterogeneity among learners. In recent developments, researchers have started to acknowledge that individuals' circumstances and the meaning of perception, both have a considerable impact on how diversity are discussed. However, very limited research and empirical studies have been conducted to investigate the relevance and impact, particularly of the meaning of perception, on diversity in teaching and learning processes. Building upon the work of Kelly (1955), and his psychology of personal constructs, this dissertation focuses on the perception of diversity and employs the survey method of repertory grid. In order to provide a snapshot of lecturers' perceptions of student diversity and the connected significance for the teaching and learning process, 20 grid interviews with lecturers in higher education were conducted. In the process of distilling the essence of lecturers' perceptions, this manuscript might not be able to fully capture reality. However, it is possible to provide valuable insights into the subjectivity and fluidity of learner diversity as a psycho-social construct. The results of the evaluation show that despite the experienced increase in student diversity in HE, it is not a question of dealing with the objective measures of diversity, but rather to deal with the perceived heterogeneity of learners and the resulting significant impact on the teaching and learning processes. This perspective, as well as the survey method of the repertory grid has two main advantages. First, they provide the opportunity for individuals to reflect on their perceptions and construction of diversity. Second, they function as a methodological tool to identify and deduce suggestions and recommendations that can improve the design of teaching and learning processes. The results of the interviews show that, contrary to the expectations, diversity among learners is also visible in large lectures. The lecturers create their picture of the individual student based upon different fields of experience. Consultation hours, the personal supervision of examinations or student mentoring is important with regard to the interlinkages between the perceived variety and the classical diversity characteristics. Furthermore the diversity of learners is in fact visible and describable as behavioral patters that are rarely linked to classical diversity categories. Consequently, the responses of the interviewees clearly suggest that these categories can often not immediately be recognized. More specifically, the lecturers consider it difficult to truly estimate the educational background of their students, as a supposedly objective measure of diversity, without more confound interaction with them. The used method has exposed a process of stereotyping and attributions based on suggestions that, in turn, can inspire a process of self-reflection. This process is particularly fostered by two steps that interviewees had to take during the interviews. After identifying their personalized dimensions of heterogeneity, lecturers had to develop their individual constructs of how heterogeneity influences the teaching and learning process. The personalized dimensions and constructs were then entered into an individualized grid matrix, which provided them with an overview of how they orientate themselves in the teaching and learning process. This is one of the decisive capabilities of the repertory grid, as it can help individuals to reflect on their perceptions and deduce opportunities for the personal development of lecturers.

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