Dynamische Kniestabilität - Ihre Variation unter verschiedenen Belastungen, ihr Zusammenhang mit der Biomechanik des Hüftgelenks und Effekte von Trainingsinterventionen
- Forschungsrelevanter Hintergrund: Mitunter die häufigsten Verletzungen im Sport
sind am Kniegelenk zu lokalisieren. Neben der hohen Prävalenzrate sind vor allem
ligamentäre Schädigungen wie eine Ruptur des vorderen Kreuzbandes besonders
schwerwiegend. Es sind lange Ausfallzeiten von durchschnittlich 7,5 Monaten zu verzeichnen,
wobei eine vollständige Rückkehr zum ursprünglichen Leistungsniveau
ungewiss ist. Auch die Wahrscheinlichkeit einer Reruptur ist deutlich erhöht und häufig
bedeutet eine schwere Knieverletzung das frühzeitige sportliche Karriereende.
Auch müssen betroffene Sportler oftmals mit schweren Folgeerscheinungen wie einer
Gelenksarthrose rechnen. Als Risikosportarten für diese Art von Verletzungen
gelten Ballsportspiele wie Fußball, Handball oder Basketball. Charakteristisch für das
Auftreten einer Knieverletzung in diesen von hoher Dynamik und Schnelligkeit geprägten
Mannschaftsspielen ist die Tatsache, dass sich diese mehrheitlich ohne direkten
Gegnerkontakt als „non-contact“ Trauma ereignen. In der Regel findet eine
Verletzung bei sportspieltypischen Manövern wie Landungen nach Sprüngen, spontanen
Richtungsänderungen oder plötzlichen Drehbewegungen statt. Als Verletzungsmechanismus
bei diesen Bewegungsformen ist in den meisten Fällen der sog.
„Dynamische Knievalgus“ verantwortlich. Dieser ist gekennzeichnet durch ein Abknicken
des Kniegelenks nach innen (Knieabduktion/Valgisierung) in Verbindung mit
einer Rotation der Tibia bei geringem Flexionsgrad des Kniegelenks. Die maximale
Kraftleistungsfähigkeit sowie das neuromuskuläre Aktivierungsverhalten der knieumschließenden
Muskelgruppen und der Hüftmuskulatur können den Verletzungsmechanismus
beeinflussen. Insbesondere die Hüftmuskulatur kann durch ihre Eigenschaften
korrigierend auf die Beinachse und damit auf die Kontrolle des Kniegelenks
einwirken. Die Forschungslage über die Zusammenhänge der Hüfte und deren muskulärer
Strukturen hinsichtlich ihrer protektiven Wirkungsweise bildet sich jedoch defizitär
und teilweise unspezifisch ab. Daher ist die Zielsetzung der vorliegenden Arbeit,
Kontrollmechanismen ausgehend vom Hüftgelenk in Bezug auf eine verbesserte
dynamische Kniegelenksstabilität mittels eines ganzheitlichen Ansatzes zu
evaluieren. Des Weiteren wird in der vorliegenden Arbeit die Wirkungsweise eines
apparativen Krafttrainings gegenüber eines koordinativen Sprungtrainings mit jeweiliger
Fokussierung des Hüftgelenks analysiert.
Methodik: Anhand relevanter Belastungsformen (uni- und bilaterale Drop Jumps,
einbeinige Landemanöver und reaktive laterale Sprungbewegungen) unter Belastungsstufen
wurden bei Ballspielsportlern Situationen simuliert, in denen der beschriebene
Verletzungsmechanismus auftreten kann. Dabei wurden im Sinne eines
ganzheitlichen, multimodularen Screening-Verfahrens die Knie- und Hüftgelenksbewegungen
mittels 3-D Kinematik erfasst. Die kinetische Analyse umfasst die Berechnung
der Gelenksmomente, Bodenreaktionskräfte und die Ermittlung der maximalen
Kraftfähigkeit der relevanten Hüftmuskulatur sowie der Oberschenkelstreckerkette.
Der Einfluss des neuromuskulären Aktivierungsverhaltens auf die dynamische Kniegelenkskontrolle
wurde über elektromyographische Verfahren abgebildet. Der Studienteil
1 untersuchte in einem Querschnittdesign die Auswirkungen der unterschiedlichen
Belastungsformen hinsichtlich der Determinanten der dynamischen Kniegelenksstabilität,
der Studienteil 2 diesbezügliche Zusammenhänge mit Hüftgelenksexkursionen
und deren (neuro-) muskulären Strukturen. Im Rahmen des Studienteils 3
wurden in einem Längsschnittdesign zwei Interventionsgruppen (apparatives Krafttraining
vs. koordinatives Sprungtraining) im Pre- zu-Posttest-Vergleich auf Unterschiede
der kniestabilisierenden Parameter sowie Indikatoren für eine Verletzungsexposition
hin untersucht.
Zentrale Ergebnisse: In der vorliegenden Studie kann gezeigt werden, dass laterale
Sprungmanöver im Vergleich zu vertikalen Sprung- oder Landemanövern größere
Knie- und Hüftgelenksexkursionen aufweisen und damit eine erhöhte Belastung für
diese spieltypischen Situationen einhergeht. Im Vergleich der Belastungsformen
scheinen Belastungssteigerungen innerhalb einer Belastungsform einen untergeordneten
Einfluss auf eine Verletzungsexposition zu haben. Vielmehr entscheidend ist
die verhältnismäßige Risikoeinordnung der Belastungsformen zueinander. Für alle
Bewegungen wird ein starker Zusammenhang der Hüftstellung in der Rotation mit
der dynamischen Kniegelenkskontrolle festgestellt. Um die Komplexität der Kniegelenkskontrolle
über die gesamte Belastungsphase abbilden zu können, wurde als
neue Messmethodik die „medio-laterale Knieschlackerbewegung“ erarbeitet und mit
den maximalen kinematischen Knieparametern als Indikator für die (In-)Stabilität des
Kniegelenks eingesetzt. Die (neuro-) muskulären Eigenschaften der Hüftmuskulatur
können insbesondere durch ihre außenrotatorische und abduzierende Wirkung Einfluss
auf die Ausrichtung der Gelenkachse und damit auf die Kniegelenkskontrolle
nehmen. Dabei scheinen Elemente eines koordinativen Sprungtrainings effektiver
als ein apparatives Krafttraining zu sein.
Fazit: Die Arbeit liefert einen Beitrag, um die komplexen Zusammenhänge der dynamischen
Kniegelenkskontrolle im Kontext verletzungsrelevanter Szenarien im Sport
zu evaluieren. Durch eine ganzheitliche Analyse der Knie- und Hüftgelenksbewegungen
sowie der dazugehörigen kinetischen sowie (neuro-)muskulären Parameter können
die gewonnenen Erkenntnisse helfen, Verletzungsmechanismen des Kniegelenks
besser zu kontrollieren. Diagnostische Verfahren und Trainingsprogramme
können auf dieser Basis weiterentwickelt werden, woraus durch ein tieferes Verständnis
die Möglichkeiten der Verletzungsprävention zukünftig optimiert gestaltet
werden können.
- Background relevant to research: Some of the most common injuries in sport can be located at the knee joint. In addition to the high prevalence rate, ligamen-tous lesions such as a rupture of the anterior cruciate ligament are particularly se-vere. There are long average downtimes of 7.5 months. Yet, a full return to the original performance level is uncertain. Also the probability of a second rupture is significantly increased and in many cases a serious knee injury means the prema-ture end of sports careers. Affected athletes often also have to expect severe con-sequences such as arthrosis of the joints. Risk sports for this type of injury are ball games such as soccer, handball or basketball. Typical for the occurrence of a knee injury in these team games characterized by high dynamics and speed is the fact that the majority of these happen without direct opponent contact as "non-contact" trauma. As a rule, injuries occur during typical sports maneuvers such as landings after jumps, spontaneous changes of direction or sudden turning move-ments. The so-called "Dynamic Knee Valgus" is responsible for the injury mecha-nism in these forms of movement. This is characterized by an inward bending of the knee joint (knee abduction/valgation) in conjunction with a rotation of the tibia with a low degree of flexion of the knee joint. The maximum power capacity as well as the neuromuscular activation behaviour of the knee – enclosing muscle groups and the hip muscles – can influence the mechanism of injury. The hip muscles in particular can have a corrective effect on the leg axis and thus on the control of the knee joint due to their properties. However, the research situation on the connec-tions of the hip and its muscular structures regarding their protective mode of ac-tion is deficient and partially unspecific. Therefore, the objective of the present work is to evaluate control mechanisms starting from the hip joint with regard to improved dynamic knee joint stability using a holistic approach. Furthermore, the mode of action of an apparatus-based strength training compared to a coordinative jump training with respective focusing of the hip joint is analyzed in the present study.
Methods: The injury mechanism described is simulated with ball game athletes on the basis of relevant risk movements (uni- and bilateral drop jumps, one-legged landing maneuvers as well as reactive lateral jumping movements) under load vari-ation. In the sense of a holistic, multimodular screening procedure, the knee and hip joint movements are recorded using 3-D kinematics. The kinetic analysis in-cludes the calculation of the joint moments, ground reaction forces as well as the determination of the maximum force capacity of the relevant hip muscles and the thigh extensor chain. The influence of the neuromuscular activation behavior on the dynamic knee joint control could be mapped by electromyographic methods. In a cross- sectional design, part one and part two of the study examines the effects of the different risk movements on the determinants of dynamic knee joint stability as well as in hip joint excursions and their (neuro-) muscular structures. In the third study, two intervention groups (apparatus-based strength training vs. coordinative jump training) were examined in a longitudinal design in a pre- to post-test compar-ison for differences in knee stabilizing parameters and indicators of injury expo-sure.
Central results: In the present study it can be shown that lateral jumping maneu-vers, compared to vertical jumping or landing maneuvers, show larger knee and hip joint excursions and thus an increased risk for this typical situation. In a compari-son of risk movements, a load increase within a condition seems to have a subor-dinate influence on injury exposure. Furthermore, the decisive factor is the relative risk classification of the scenarios in relation to each other. For all movements, a strong correlation between the hip position in rotation and the dynamic knee joint control is found. In order to map the complexity of knee joint control during the en-tire load phase, the "medio-lateral knee tremble movement" is developed as a new assessment tool and used with the maximum kinematic knee parameters as an indicator for the (in-) stability of the knee joint. The (neuro-) muscular properties of the hip muscles can influence the alignment of the joint axis and thus the control of the knee joint, particularly through their external rotatory and abductive effect. El-ements of a coordinative jump training seem to be more effective than an appa-ratus strength training.
Conclusion: The study contributes an evaluation of the complex interrelations of dynamic knee joint control in the context of injury-relevant scenarios in sports. With an holistic analysis of the knee and hip joint movements as well as the asso-ciated kinetic and (neuro-) muscular parameters, the findings can help to control injury mechanisms of the knee joint. Through a deeper understanding diagnostic procedures and training programs can further be developed on this basis, from which the possibilities of injury prevention can be optimized in the future.