Physiologiebasierte Simulation des Bremsverhaltens von Fahrzeugführern

Moderne fahrdynamische Assistenzsysteme unterstützen den Fahrer bei der Umsetzung seines Fahrerwunsches, indem sie aktiv die dynamischen und haptischen Fahrzeugeigenschaften verändern. Der Fahrer reagiert seinerseits auf die Fahrzeugreaktion. Diesem Wechselspiel zwischen Fahrer und Fahrzeug muss bei der Entwicklung neuer Assistenzsysteme angemessen Rechnung getragen werden. Dies erfolgt momentan über umfangreiche Fahrversuche, da die rechnerische Modellierung das Fahrerverhalten nur unzureichend abbildet. Im vorliegenden Buch wird ein neuartiges Konzept für die Simulation menschlichen Fahrverhaltens im Kontext fahrdynamischer Assistenzsysteme entwickelt. Es stellt sich heraus, dass hierbei zwei intrinsisch menschliche Eigenschaften berücksichtigt werden müssen: Die Kompensation der physiologisch unausweichlichen Reaktionszeiten und die Adaptation an unbekannte Fahrzeuge. Die Nachbildung dieser Eigenschaften gelingt durch die Übertragung gesicherter Erkenntnisse über die menschliche Motorik und die konzeptionell saubere Trennung fahrzeugabhängiger und fahrerimmanenter Größen. Am Beispiel des Bremsens werden die vorgestellten Ansätze in einem Regler implementiert, und mit Hilfe umfangreicher Probandenstudien parametriert und validiert. Die Ideen, die in dieser Arbeit vorgestellt werden, lassen sich zwanglos auf das Lenkverhalten übertragen, und sollten daher wegweisend für zukünftige Anstrengungen sein, menschliches Fahrverhalten realistisch nachzubilden.

The interface between driver and vehicle is a subject of ongoingstrong interest within the automotive field. An understanding of howdriver and vehicle interact will enable engineers to take intoaccount drivers' reactions in various driving situations at an earlystage in product development, which will improve vehicle safety andcomfort while also reducing costs. A wealth of literature is available on the topic of modeling human driver behavior, but it will be argued in this thesis that conventional modeling methods fall short of the requirements set by the use of human driver models in an industrial context. To be specific, they either lack in realism or range of validity. This work proposes a novel approach by borrowing from well-established neurophysiological concepts and successfully apply these concepts to the task of human braking control. The controller thus developed formalizes humans' innate ability to constantly make predictions about the future and seamlessly incorporates physiological delays inherent in the human control loop, thereby eliminating the often controversial need for an explicit modeling of reaction times. It uses both kinematic feedback as well as proprioceptive cues from the brake pedal to negotiate braking tasks. To parametrize and validate the controller setup, we investigated human braking behavior in real car experiments with a total of 73 subjects. The experiments were carried out in a controlled environment on test tracks of Robert Bosch GmbH using a vehicle with a programmable brake system. Most important, the experimental data showed that the human control strategy of the braking task is governed by the interplay of two perceptual variables. It is a generalization of established findings about human strategies to brake to a halt in artificial environments, which are confirmed in real-car experiments for the first time. This novel controller' s roots in neurophysiological facts greatly add to its validity. The ideas put forward in this thesis, which have been successfully applied to modeling human braking behavior in this work, can be seamlessly applied to the task of human steering behavior. They should therefore lead the way for future developments in realistically modeling human driving behavior.

Die Schnittstelle zwischen Fahrzeug und Fahrzeugführer ist nach wie vor ein Feld, das im Automobilbereich große Aufmerksamkeit erfährt. Ein Verständnis der Fahrer-Fahrzeug-Interaktion wird Entwicklungsingenieuren früh im Entwicklungsprozess die Berücksichtigung der Fahrerreaktionen in unterschiedlichen Fahrsituationen ermöglichen und somit Sicherheit und Komfort der Fahrzeuge erhöhen und gleichzeitig zu einer Reduktion der Entwicklungskosten beitragen. Trotz reichhaltiger Literatur zum Thema Fahrermodellierung wird in dieser Arbeit argumentiert, dass konventionelle Ansätze den Anforderungen beim Einsatz von Fahrermodellen in einem industriellen Kontext nicht genügen. Insbesondere mangelt es ihnen entweder an Wirklichkeitstreue oder an Weite des Validitätsbereich. In dieser Arbeit wird ein neuartiger Ansatz vorgeschlagen, der wohlbekannte neurophysiologische Konzepte aufgreift, um sie erfolgreich auf die Nachbildung menschlichen Bremsverhaltens zu übertragen. Der so entwickelte Regler formalisiert die menschimmanente Fähigkeit, ständig Vorhersagen über die Zukunft zu treffen. Er beinhaltet zwanglos Verzögerungszeiten, die dem menschlichen Regelkreis unweigerlich innewohnen und umgeht die kontroverse explizite Modellierung von Reaktionszeiten. Zur Bewältigung der Bremsaufgabe nutzt der Regler ebenso kinematisches Größen wie propriozeptives Feedback am Bremspedal. Zur Parametrierung und Validierung des Reglerentwurfs wurde menschliches Bremsverhalten in Realfahrzeugexperimenten mit insgesamt 73 Probanden durchgeführt.Die Experimente wurde in einer kontrollierten Umgebung auf Teststrecken der Robert Bosch GmbH mit einem Fahrzeug mit programmierbarem Bremssystem durchgeführt. Insbesondere zeigen die Versuchsdaten, dass sich die menschliche Strategie zur Kontrolle der Bremsaufgabe aus dem Wechselspiel zweier Wahrnehmungsvariablen ergibt. Dies ist eine Verallgemeinerung bekannter Ergebnisse über menschliche Bremsstrategien beim Bremsen in den Stand in künstlichen Umgebungen Diese Ergebnisse werden hier auch erstmals in Realfahrzeugversuchen bestätigt. Das Fußen dieses neuartigen Reglers auf neurophysiologischen Fakten trägt zu seiner Validität bei. Die Ideen, die in dieser Arbeit vorgestellt werden, lassen sich nach der in dieser Arbeit erarbeiteten Simulation von Bremsverhalten insbesondere zwanglos auf das Lenkverhalten übertragen, und sollten daher wegweisend für zukünftige Anstrengungen sein, menschliches Fahrverhalten realistisch nachzubilden.

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