Test-Retest-Reliabilitätsmessung des statischen Gleichgewichts bei neurologischen Patienten innerhalb von 12-24 Stunden

Hintergrund und Ziel: Das Gleichgewicht hängt maßgeblich von drei verschiedenen Kontrollsystemen des Körpers ab, dem visuellen, vestibulären und dem somatosensorischen System. Das reibungslose Ineinandergreifen der Systeme ist essenziell für den Menschen, um alltäglichen Aktivitäten nachzugehen, wie etwa dem Stehen und Gehen. Funktioniert eines dieser Systeme auf Grund von verschiedenen Pathologien nicht richtig, wie bspw. infolge eines Schlaganfalls, kann es zu Einschränkungen des Gleichgewichts kommen, die dann nur noch teilweise oder auch gar nicht mehr durch eines der anderen Systeme kompensiert werden können. Vermehrte Stürze und Alltagsbeeinträchtigungen können die Folge sein. Die klinische Untersuchung von Gleichgewichtsaspekten erfolgt derzeit vorrangig quantitativ (durch klinische Einschätzung) oder semi-quantitativ (durch standardisierte Tests). Eine neue Möglichkeit zur quantitativen Messung von Gleichgewicht in verschiedenen Bewegungsphasen bieten tragbare Sensoren, genannt Inertial Measurement Units (IMUs). Um die klinische Anwendbarkeit von IMUs zur Untersuchung von Gleichgewichtsstörungen bei neurologischen Patienten*innen beurteilen zu können, muss identifiziert werden wie groß die Schwankungen der Parameter zwischen zwei relativ kurzfristig durchgeführten Untersuchungen ist. Dazu wurde der minimal detectable change (MDC) für Parameter des statischen Gleichgewichts anhand von Daten aus der prospektiven explorativen Studie „Cognitive and motor interaction in Older populations“ (ComOn, Ethik-Nr. D427/ 17) ermittelt. Ziel war es zu beurteilen wie reliabel (i.e., „stabil“) die Messergebnisse des Gleichgewichtes durch IMUs im klinischen Kontext sind. Dafür wurden 49 Teilnehmer der ComOn- Studie, die in der Klinik für Neurologie des Universität Klinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel (UKSH) stationär aufgenommen wurden, mit zwei standardisierten sensorbasierten Bewegungsanalysen (Sensorsystem Rehagait, Hasomed, Magdeburg) mit verschiedenen Gleichgewichtsübungen innerhalb von 12-24 Stunden untersucht. In der vorgelegten Arbeit wurden die Sensorparameter folgender Gleichgewichtsübungen berücksichtigt: Parallelstand (beide Füße parallel nebeneinander), Semi Tandem Stand (Füße berühren sich versetzt an hinterer Fußinnenseite des vorderen Fußes und der vorderen Fußinnenseite des hinteren Fußes), auf festem und auf weichem Untergrund (Schaumstoffkissen Airex Pad) sowohl mit geschlossenen als auch mit offenen Augen, Tandem Stand („Seiltänzerstand“ beide Füße auf einer Linie voreinander, Zehen des hinteren Fußes berühren Hacke des vorderen Fußes). In der Zeit zwischen den beiden Messungen wurde kontrolliert, dass keine für das Gleichgewicht relevanten Veränderungen am Zustand der Proband*innen vorgenommen wurden (z.B. Medikation, Umstellung von Tiefer Hirnstimulation). Es zeigte sich, dass bei der IMU-basierten Messung des statischen Gleichgewichts die besten MDC Werte bei den Parametern Frequenz und Beschleunigung (besonders in ML Richtung) erreicht werden können, und damit am „reliabelsten“ sind. Insgesamt lagen die meisten Parameter in einem moderaten bis schlechten MDC-Bereich, was für starke Schwankungen des statischen Gleichgewichts spricht. Insbesondere sehr leichte und sehr schwere Übungen führten zu Werten mit schlechten MDCs. Diese Ergebnisse zeigen, dass keine unkritische Anwendung von „objektiven, quantitativen“ Parametern zur Einschätzung von statischem Gleichgewicht, gewonnen mit neuer tragbarer Technologie, für die Bestimmung von Krankheitsaktivität, Therapieresponse und Unterscheidung von (neurologischen) Krankheiten erfolgen sollte. Klinisch relevante Aussagen zur Bestimmung des statischen Gleichgewichts mit Sensor-basierten Parametern sollten immer unter Berücksichtigung der oft hohen MDCs getroffen werden.

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