Zur Problematik der Beurteilung von Abstammungsanalysen in Defizienzfällen

Heutzutage basieren Abstammungsgutachten in der Regel auf der Analyse von Short Tandem Repeats (kurz: STRs), wobei idealerweise die Mutter, das Kind und der Putativvater in die Untersuchung mit einbezogen werden. Durch Vergleich des mütterlichen Genotyps mit dem des Kindes kann geschlussfolgert werden, welche Merkmale der Putativvater besitzen muss, um der biologische Vater zu sein. Werden z.B. aus finanziellen oder persönlichen Gründen nicht alle „relevanten“ Personen in die Analyse mit einbezogen (häufig die Kindesmutter), wird ein sog. Defizienzgutachten durchgeführt. Dies ist oftmals auch bei der Abstammungs- begutachtung in Migrationsverfahren der Fall. Dadurch steigt das Risiko einer Fehlbeurteilung, insbesondere wenn z.B. nahe Verwandte als Erzeuger in Frage kommen. Dennoch wird häufig nur nach dem möglichen Abstammungsverhältnis zweier Personen gefragt. In dieser Studie wurde anhand 349 heterozygoter Zwillingspärchen geprüft, ob mit einer richtliniengemäßen Abstammungsanalyse diese Geschwister auch als eine Vater-/Mutter- Kind-Verwandtschaft interpretiert werden können. Hierfür wurden 15 bzw. 20 unterschiedliche STR-Merkmale analysiert, und eine Vaterschaftswahrscheinlichkeit im Sinne eines Defizienzgutachtens berechnet. Als Kontrollgruppe wurden auch nicht verwandte Personen hinsichtlich einer Abstammung untersucht, um das Risiko einer falsch positiven Vaterschaftsaussage in Defizienzfällen zu ermitteln. Es konnte gezeigt werden, dass bei richtliniengemäßer Untersuchung von 15 STRs die Durchführung defizienter Abstammungsgutachten bei Geschwisterpaaren ein hohes Risiko an Fehlbeurteilungen birgt und in der Mehrheit der Fälle fälschlicherweise auch als Vater- /Mutter-Kind-Verwandtschaft gedeutet werden kann. In ca. 33% der Fälle wäre eine Vaterschaft sogar in höchstem Maß bestätigt worden. Selbst bei den nicht verwandten Individuen konnte eine Vaterschaft in wenigen Fällen nicht ohne Weiteres ausgeschlossen werden. Dies unterstreicht die Wichtigkeit, immer alle Beteiligten in die genetische Untersuchung mit einzubeziehen, um ein zuverlässiges Ergebnis zu erzielen. Ist dies jedoch nicht möglich, könnte durch Analyse zusätzlicher STR-Systeme oder auch durch das Hinzuziehen weiterer Untersuchungsmethoden (z.B. RFLP-Analyse oder SNPs) die Aussagekraft erhöht werden. Da sich die STR-Merkmale hinsichtlich ihres Polymorphismus unterscheiden und somit unterschiedlich häufig zu Ausschlusskonstellationen führen, sollte auch auf die Verwendung möglichst aussagekräftiger Genorte geachtet werden.

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