Die Wahrnehmung der affektiven Ausdrücke von Ärger und Angst: Hinweise auf schnelle und langsame Verarbeitung bedrohlicher Gesichter

Ein Gesichtsausdruck von Ärger wird leichter erkannt und löst eine stärkere affektive Reaktion in einem Betrachter aus, wenn Blickkontakt vorliegt. Ein angstvoller Ausdruck hat hingegen eine stärkere Wirkung, wenn der Blick der betrachteten Person auf die Umgebung gerichtet ist. Eine Interpretation dieses Befundes zielt auf die Bedrohlichkeit der betrachteten Gesichter ab: Ärger legt bei direktem Blick eine unmittelbare Bedrohung nahe, Angst weist bei abgewandtem Blick auf eine mögliche Bedrohung in einer geteilten Umwelt hin. Die Verarbeitung von Bedrohungsinformationen aus Gesichtern könnte durch ein spezialisiertes mentales und hirnphysiologisches Organ, ein sogenanntes „Modul“ erfolgen, das unabhängig von Bewusstsein operiert und in dem die Amygdala eine zentrale Rolle einnimmt. Die Amygdala ist eine Hirnstruktur, die mit schneller Gefahrenerkennung und unwillkürlichen Schutzreaktionen in Verbindung gebracht wird. Unklar war bislang, ob sich die genannten Reize tatsächlich durch eine vergleichsweise stärkere Bedrohlichkeit auszeichnen, und ob der obige Interaktionsbefund – hinsichtlich der Aktivierung der Amygdala und des Verhalten von Versuchspersonen – auch in Abwesenheit voll ausgeprägten Reizbewusstseins vorliegt. Das Projekt hat diese Fragen untersucht. Zunächst konnte gezeigt werden, dass die Stärke der Schreckreaktion, die während der Betrachtung von Bildern ausgelöst wird, die Bedrohlichkeit widerspiegelt, die Versuchspersonen subjektiv durch sie empfinden. Anhand der Schreckreaktion als einem objektiven Bedrohungsmaß konnte anschließend bestätigt werden, dass Ärgerausdrücke mit direktem Blick (Blickkontakt) und Angstausdrücke mit abgewandtem Blick eine stärkere Bedrohung hervorrufen als die beiden komplementären Reizbedingungen. In einem dritten Experiment wurden diese Reize schließlich so präsentiert, dass sie keinen voll ausgeprägten Bewusstheitseindruck hervorrufen konnten. Dies geschah durch ihre sehr kurze Darbietung einschließlich eines unmittelbar darauf folgenden zweiten Reizes, der den Eindruck des ersten zeitlich überlagerte. Trotz dieser erschwerten Sehbedingungen zeigten Versuchspersonen im Erkennen der Reizkategorien Unterschiede, die mit der bevorzugten Verarbeitung besonders bedrohlicher Gesichter – Ärgerausdrücke mit direktem und Angstausdrücke mit abgewandtem Blick – kompatibel sind. Zusätzlich wurde in diesem dritten Experiment die Beteiligung verschiedener Hirnstrukturen untersucht. Für die Amygdala zeigte sich ein uneinheitlicher Befund: Während Ärgerausdrücke die Amygdala unabhängig von einem bewussten Seheindruck zu aktivieren schienen, waren Angstausdrücke offenbar auf einen solchen angewiesen. Dieses zweite Ergebnis passt zu Befunden anderer Forscher, die eine Aktivierung der Amygdala durch beobachtete Angst (im Gegensatz zu Ärger) mit der aufmerksamkeitsbasierten Lokalisation möglicher Gefahren in Verbindung bringen. Somit legt diese Arbeit nahe, dass zumindest für Ärgerausdrücke der Einfluss der Blickrichtung auf ihre Verarbeitung auf der Funktionsweise eines spezialisierten Moduls zur Bedrohungsermittlung beruht. Blickrichtungseinflüsse auf die Angstwahrnehmung hingegen scheinen anteilig auf bewusster Reizverarbeitung zu beruhen, auch wenn diese ebenfalls zu gesteigerter Bedrohlichkeit führen kann. Für die funktionale Rolle der Amygdala muss dies kein Widerspruch sein, da sie eine komplexe Struktur ist und daher an unterschiedlichen Hirnfunktionen beteiligt sein kann.

The literature reports an interaction effect of facial expression (anger/fear) and gaze direction (direct/averted) on perceptual (detection scores), affective (ratings), and neurophysiological (BOLD response of the amygdala) measures: direct-gaze angry and averted fearful faces are particularly salient. The purpose of this work was to assess, to what extent this effect is mediated by threat. This was done by examining startle potentiation by the overt (experiment 1/2), as well as signal detection and brain activation by the covert (backward masked) presentation of affective faces with varying in gaze direction. The results suggest the advantage of direct-gaze anger (vs. averted) to be mediated by threat. Regarding fear the situation is twofold: fast perceptual effects (detection despite masking) seem to have occurred, but they are not mediated by activation of the amygdala. The latter was observed, but only after perceptual learning had taken place. This finding relates amygdalar activation by fearful faces to the processing of the more general self-relevance of these stimuli. Therefore the data suggest the amygdala to be involved in both: the specific detection of threat as well as the more general processing of biological or social significance.

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