Das Fragile-X-Syndrom und andere Ursachen mentaler Retardierung: Analysen zur Optimierung der klinischen und molekularen Differentialdiagnostik

Mentale Retardierung ist ein bedeutendes Gesundheitsproblem, dessen Ätiologie auch heutenoch in vielen Fällen unklar bleibt. Unter den mental retardierten männlichen Patienten ist das Fragile-X-Syndrom eine der häufigsten und bekanntesten Diagnosen. Dennoch führt die Testung auf ein Fragiles-X-Syndrom in vielen Fällen zu negativen Ergebnissen. Mithilfe publizierter Screening-Scores sollte im Rahmen dieser Arbeit ein Score anhand eines Patientenkollektivs optimiert werden, um das klinische Screening auf ein Fragiles-X-Syndrom zu verbessern. Zusätzlich sollten die molekularen Grundlagen der Phänotypen ausgewählter Patienten durch weiterführende Labordiagnostik genauer aufgeklärt werden. Es wurden klinische und molekulargenetische Befunde von 110 Patienten ausgewertet, die zuvor im Institut für Humangenetik auf das Vorliegen eines Fragilen-X-Syndroms untersucht worden waren. Bei 21 dieser Patienten wurde ein Fragiles-X-Syndrom mittels Southern-Blot nachgewiesen, die übrigen 89 Patienten zeigten unauffällige Befunde. Aus den vorliegenden Scores wurde ein Befundbogen erarbeitet mit dessen Hilfe die relevanten klinischen Daten gezielt ausgewertet wurden. Zusätzlich wurden einige Fachärzte, die in der klinischen Diagnostik mental retardierter Patienten erfahren sind, anhand eines Fragebogens nach ihrer Einschätzung bezüglich der Wichtigkeit der einzelnen Merkmale für den klinischen Verdacht auf ein Fragiles-X-Syndrom befragt. Im Anschluss wurde bei ausgewählten Fällen eine weiterführende Labordiagnostik durchgeführt. Von den Patienten mit nachgewiesenem Fragilen-X-Syndrom wurden fünf Patienten mit besonders stark oder mild ausgeprägtem Phänotyp oder auch atypischen Befunden auf zusätzliche Aberrationen getestet. Vier dieser Patienten wurden mittels Array-CGH auf zusätzliche Mikrodeletionen und –duplikationen untersucht. Bei einem Patienten wurde eine methylierungsspezifische PCR durchgeführt, um das zusätzliche Vorliegen eines Prader- Willi-Syndroms auszuschließen. Außerdem wurden bei 27 Patienten mit negativen Ergebnissen in der Testung auf ein Fragiles-X-Syndrom zusätzliche diagnostische Schritte eingeleitet. Bei fünf Patienten wurde eine Array-CGH durchgeführt. Zusätzlich wurden die Ergebnisse von 28 weiteren Patienten, bei denen im Rahmen der Routinediagnostik bereits eine Array-CGH durchgeführt worden war, mit ausgewertet. 19 Patienten mit besonders ausgeprägter Sprachentwicklungsverzögerung wurden mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung auf eine Mikrodeletion in 16p11.2 untersucht. Außerdem wurden drei Patienten auf das Vorliegen eines atypischen Prader-Willi-Syndroms getestet und die Ergebnisse von vier weiteren Patienten, bei denen im Rahmen der Routinediagnostik bereits eine Testung auf ein Prader-Willi-Syndrom durchgeführt worden war, mit ausgewertet. Es wurde ein Sechs-Merkmals-Score (Große und/oder dysplastische Ohren, positive Familienanamnese für mentale Retardierung, Sprachentwicklungsverzögerung, hyperaktives Verhalten, autistische Verhaltensweisen, Konzentrationsprobleme) erarbeitet, der sich als signifikant bezüglich positiver Testergebnisse für ein Fragiles-X-Syndrom erwies. Die zusätzliche Labordiagnostik bei den 59 Patienten, bei denen mittels Southern-Blot kein Fragiles-X-Syndrom nachgewiesen werden konnte, erbrachte in sieben Fällen auffällige Ergebnisse. Mittels Array-CGH konnten folgende Veränderungen nachgewiesen werden: eine familiäre Mikroduplikation 1q21.1, zwei bekannte Mikrodeletionen in 16p11.2 und 22q13.3, sowie zwei Mikrodeletionen in 10p12.2 und 18p11.2 und eine Mikroduplikation in 3q11.2, die bislang noch nicht im Zusammenhang mit einem Phänotyp, der dem des Fragilen-XSyndroms ähnelt, beschrieben wurden. Bei einem weiteren Patienten konnte mittels Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung eine Mikrodeletion in 16p11.2 nachgewiesen werden. Ein atypisches Prader-Willi-Syndrom lag bei keinem der untersuchten Patienten vor. Es konnten auch keine zusätzlichen Aberrationen bei den fünf Patienten, bei denen ein Fragiles-X-Syndrom vorlag, nachgewiesen werden. Zusammenfassend stellt diese Arbeit einen vereinfachten Sechs-Merkmals-Score für das klinische Screening auf ein Fragiles-X-Syndrom vor und zeigt, dass sich die Symptome submikroskopischer chromosomaler Aberrationen mit denen eines Fragilen-X-Syndroms überschneiden können.

In mentally retarded males Fragile X syndrome is one of the most common diagnoses. However to our experience in most patients testing for Fragile X syndrome is negative. Based on published screening programms [38-41] we tried to adapt a clinical checklist for routine testing mentally retarded children for Fragile X syndrome. Additionally we screened several mentally retarded patients with negative Fragile X results for submicroscopic deletions and duplications using Array-CGH and FISH. The adapted six-feature-score (large/dysplastic ears, positive family history of mental retardation, hyperactivity, attention deficit, autistic like behaviour und delayed development of speech) turned out to be significant with regard to positive Fragile X test and should be further tested in a prospective setting. By applying Array-CGH and FISH 7 out of 56 patients tested showed microdeletions with assumed correlation to the phenotype. Among those were two well described deletions, del(16p11.2) [MIM 611913] and del(22q13.3) [MIM 606232]. Moreover we detected microdeletions in 10p12.2 and 18p11.2 and a microduplication in 3q11.2 that have not been described yet in combination with a Fragile X phenotype. Additionally a familial aberration (microduplication 1q21.1) was found. We propose a new simplified six-feature-score for clinical screening for Fragile X syndrome and demonstrate that submicroscopic chromosome aberrations can overlap with symptoms of Fragile X syndrome.

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