Bedeutung spinaler Prostaglandine für die zentrale Sensibilisierung bei akuter und chronischer Kniegelenksarthritis bei Ratten

Das Cyclooxygenase (COX-)-Prostaglandin-System steht schon seit vielen Jahrzehnten im Fokus der Untersuchungen zur Genese des Schmerzes. Elektrophysiologische Arbeitsmethoden bieten dabei eine exzellente Möglichkeit, physiologische und pathophysiologische Aspekte der Schmerzverarbeitung in vivo und in vitro zu untersuchen. Im Allgemeinen unterscheidet man akute von chronischen Schmerzen. Während der akute Schmerz von kurzlebiger Natur ist und dabei die Signal- und Warnfunktion im Vordergrund steht, haben chronische Schmerzen häufig keine offensichtliche biologische Funktion. Häufig liegen persistierende pathologische Bedingungen zugrunde. Jedoch ist nicht immer ein kausaler Zusammenhang gegeben und es kann sich durch komplexe zelluläre Veränderungen ein eigenständiges Krankheitsbild entwickeln. Die Beteiligung der Cyclooxygenasen und Prostaglandine an der Entstehung von Schmerzen ist im Allgemeinen akzeptiert. Neben dem sensibilisierenden Einfluss des COX-Prostaglandin-Systems auf periphere Nozizeptoren ist ebenfalls ein zentraler Effekt auf die Signaltransduktion nachweisbar. Spinale Prostaglandine scheinen maßgeblich an der Entstehung der zentralen Übererregbarkeit von Hinterhornneuronen zu Beginn einer Entzündung beteiligt zu sein. Jedoch ist ihr Einfluss auf die Aufrechterhaltung dieser zentralen Hyperexzitabilität bei weitem noch nicht vollständig geklärt. Besonders bei chronischen Entzündungsstadien sind die vorhandenen Daten noch recht unvollständig. Für die vorliegende Arbeit wurden Experimente an insgesamt 42 männlichen WISTAR-Ratten durchgeführt. Die Daten wurden in vivo mittels extrazellulärer Ableitung von Hinterhornneuronen erhoben. Nach Induktion einer Antigen-induzierten Kniegelenksarthritis wurde das Entladungsverhalten der abgeleiteten Neurone mit Afferenz aus dem entzündeten Kniegelenk auf die spinale Applikation der einzelnen Testsubstanzen zu akuten (Tag 1 und 3) und chronischen (Tag 21) Entzündungsbedingungen quantifiziert. Dabei wurden die Rückenmarksneurone auf nicht noxische und noxische Reizung am Knie- und Sprunggelenk sowie an der Pfote getestet. In unserer Experimenten galt zu klären, wie sich spinal applizierte EP1-, EP2- und EP4-Rezeptor-Agonisten auf die Schmerzverarbeitung am Tag 3 und 21 nach Entzündungsinduktion auswirken. Des Weiteren untersuchten wir, inwieweit der EP3-Rezeptor-Agonist ONO-AE-248 die nozizeptive Signaltransduktion am Tag 3 und 21 nach AI-Induktion beeinflusst und wir verglichen das Antwortverhalten von Rückenmarksneuronen auf spinal applizierte, unselektive COX-Inhibitoren (Indomethacin und Diclofenac) und den selektiven COX-2 Inhibitor (NS-398) am Tag 1, 3 und 21 nach Entzündungsinduktion. Damit einhergehend stellte sich die Frage, ob aus den erhobenen Daten Unterschiede der nozizeptiven Signalverarbeitung zwischen akuten und chronischen Entzündungssituationen abgeleitet werden können. Es zeigte sich, dass spinal applizierte EP1-, EP2- und EP4-Rezeptoragonisten weder im Verlauf der akuten Arthritis (Tag 3) noch unter chronischen Bedingungen (Tag 21) eine Beeinflussung des Antwortverhaltens der getesteten Neurone bewirkte. Bezüglich des EP3-Rezeptor-Agonisten ONO-AE-248 ließ sich zum Zeitpunkt einer fortgeschrittenen akuten Arthritis (Tag 3) keine Änderung der neuronalen Antworten auf Reizung des entzündeten Knies durch die spinale Applikation erzielen. Im Gegensatz dazu kam es zu einem deutlichen Abfall der Entladungen spinaler Neurone unter chronischen Entzündungsbedigungen (Tag 21). Bei der Testung der unselektiven und selektiven COX-Hemmer kamen wir zu dem Ergebnis, dass während der akuten Entzündung (Tag 1) nur der selektive COX-2 Inhibitor NS-398 die Antworten spinaler Neurone dosisabhängig reduzierte, nicht aber der unselektive COX-Hemmer Diclofenac. Drei Tage nach Arthritisinduktion zeigten keine der beiden COX-Hemmer einen Einfluss auf das Entladungsverhalten der Hinterhornneurone, während bei einer chronischen Entzündung (Tag 21) erneut nur der selektive COX-2 Hemmer NS-398 zu einer signifikanten Reduktion der Antworten auf Reizung des entzündeten Kniegelenkes führte. Die Anwendung von Diclofenac blieb wirkungslos. Aus unseren Ergebnissen lässt sich zum einen vermuten, dass die spinale Rezeptorausstattung sowie Enzymexpression des COX-Prostaglandin-Systems in Abhängigkeit vom Entzündungszeitpunkt einem dynamischen Wandel zu unterliegen scheint. Zum anderen scheinen spinale Prostaglandine an der Entstehung zentraler Hyperalgesie und Allodynie beteiligt zu sein. So bewirkt bei naiven Tieren die spinale Applikation von PGE2 oder EP1-, EP2- und EP4-Agonisten ein gesteigertes Entladungsverhalten spinaler Hinterhornneurone, wie es im Rahmen einer peripheren Entzündung der Fall ist. Umgekehrt führen unselektive und selektive COX-Hemmer zu einer reduzierten spinalen Hyperexzitabilität sobald sie vor und während der Entzündungsinduktion verabreicht werden. Allerdings scheint sich die Bedeutung spinaler Prostaglandine im Verlauf einer Entzündung zu ändern. Unter einer etablierten akuten sowie chronischen Entzündungssituation führt die Aktivierung von EP1-, EP2- und EP4-Rezeptoren zu keiner weiteren Aufrechterhaltung der spinalen Hyperexzitabilität, ebenso wie sich diese durch die Applikation von unselektiven COX-Hemmern nicht blockiert lässt. Somit scheinen spinale Prostaglandine an der Aufrechterhaltung der zentralen Übererregbarkeit nicht beteiligt bzw. von untergeordneter Rolle zu sein. Dass jedoch der selektive COX-2 Hemmer zu einer reduzierten spinalen Hyperexzitabilität sowohl unter akuten als auch chronischen Entzündungsbedingungen führt, legt die Interaktion mit anderen zentralen Transmittersystemen nahe. Hinsichtlich dessen sind endogene Cannabinoide schon seit längerem in den Fokus der näheren Betrachtung getreten. Da unter akuten Entzündungsbedingungen ein Zusammenhang zwischen COX-2 Hemmung und Modulation des Endocannabinoidsystems mehrfach gezeigt werden konnte, sind gleichartige bzw. ähnliche Mechanismen unter chronischen Entzündungsbedingungen zu vermuten.

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