Indizes einer autonomen Dysfunktion bei ADHS im Erwachsenenalter

Der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung wird eine multifaktoriell durch Gen-Umwelt-Interaktionen bedingte neurobiologische Entwicklungsstörung mit charakteristischen hirnstrukturellen und neuropsychologischen Veränderungen zugrunde gelegt (Alm und Sobanski 2008). Hirnareale wie der präfrontale Kortex als auch Strukturen des limbischen Systems spielen für das ADHS-typische Verhalten und die kognitive Funktionstüchtigkeit eine zentrale Rolle und sind zudem an der Modulation des kardiovaskulären Systems beteiligt (Resstel et al. 2004, Ferreira-Junior et al. 2011, Verberne und Owens 1998, Thayer und Brosschot 2005), weshalb auch Veränderungen im Bereich autonomer Funktionen zu erwarten sind (Börger et al. 1999). Die Messung der Herzratenvariabilität (HRV) stellt ein sensitives Verfahren dar, um die Aktivität des autonomen Nervensystems zu erfassen. Sie repräsentiert die Herzfrequenzschwankungen um den Mittelwert und wir durch übergeordnete autonome Kontrollzentren reguliert. Dabei spiegelt sich in der HRV das Zusammenspiel sympathischer und parasympathischer Modulationen am Herzen wider. Um die HRV zu erfassen verwendeten wir sowohl lineare Parameter der zeit- und frequenzbasierten Analyse als auch nichtlineare Komplexitätswerte. Ein weiteres etabliertes Verfahren zur Untersuchung autonomer Funktionen ist die Analyse der Baroreflexsensitivität (BRS). Der Barorezeptorreflex stellt den wichtigsten kurzfristigen Regulationsmechanismus des arteriellen Blutdrucks dar und sorgt für eine schnelle Gegenregulation, um größere Blutdruckschwankungen zu verhindern. Zur Bestimmung der BRS wählten wir die Sequenzmethode. Ziel unserer Studie war die erstmalige Untersuchung autonomer Veränderungen bei erwachsenen unmedizierten ADHS-Patienten in Ruhe. Dazu führten wir bei 23 Patienten und 23 gesunden Kontrollprobanden mithilfe des Task Force® Monitors eine 30-minütige, simultane Messung von Herzfrequenz und Blutdruck unter Aufnahme eines Elektrokardiogramms durch und berechneten daraus die HRV, die BRS sowie die Blutdruckvariabilität. Die Ergebnisse unserer Messungen zeigen keine signifikanten Veränderungen der Herzfrequenz und des Blutdrucks der ADHS-Patienten im Vergleich zu den gesunden Kontrollprobanden auf. Die SDNN (standard deviation of all NN intervals) als Maß der Gesamtvariabilität und der RMSSD (root mean squared of successive difference) als parasympathischer Parameter der linearen Analyse der HRV waren hingegen signifikant erniedrigt. Desweiteren weisen die nichtlineare Kompressionsentropie (Hc) sowie die Shannon- und Renyi-Entropie der Symbolischen Dynamik auf eine verminderte Komplexität der HRV hin. Zudem zeigte sich, dass der Barorezeptorreflex bei den ADHS-Patienten weniger sensitiv reagiert. Unsere Ergebnisse deuten auf eine kardiovaskuläre Dysregulation bei erwachsenen ADHS-Patienten hin, welche aus einem psychisch und physisch erhöhten Stresslevel resultieren könnte. Über die übergeordneten zentralen Veränderungen, die der autonomen Dysfunktion zugrundeliegen, kann derzeit nur spekuliert werden. Jedoch ist bekannt, dass Strukturen des limbischen Systems, des Hypothalamus und des präfrontalen Kortex Einfluss auf zentrale autonome Kerne nehmen können, sodass wir hier zugrundeliegende Veränderungen erwarten. Die von uns nachgewiesene verminderte kardiale vagale Modulationsfähigkeit bei erwachsenen ADHS- Patienten scheint Schwierigkeiten der emotionalen Regulation, der Kognition sowie des Stresserlebens widerzuspiegeln, welche als wesentliche Merkmale der Psychopathologie des ADHS angesehen werden. Zudem bewirkt der erniedrigte parasympathische Einfluss eine erhöhte Vulnerabilität des Herzens gegenüber sympathischer Stimulation, welche zu einem gesteigerten kardiovaskulären Risiko in dieser Patientengruppe beitragen könnte.

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