Mikrostrukturelle Analyse des anterioren Cingulum-Bündels mittels Polarized Light Imaging (PLI)

Das Cingulum ist eine Assoziationsfaserbahn der weißen Substanz des menschlichen Gehirns, die den Gyrus cinguli mit dem Hippocampus verbindet. Wegen der Zwischenstellung zwischen Neokortex und limbischem System wird diese Hirnregion als Brücke zwischen Emotionen, Verhalten und Denken diskutiert. Aus diesem Grund ist das Cingulum Gegenstand zahlreicher neuroanatomischer Studien. Neuere Untersuchungen konnten Zusammenhänge zwischen Veränderungen des Gyrus cinguli und der Pathogenese neuropsychiatrischer Erkrankungen wie der Schizophrenie und bipolaren Störungen aufzeigen (Wang et al. 2007, Wang et al. 2008). Auch dem anterioren Cingulum wurde diesbezüglich in verschiedenen Arbeiten eine wesentliche Rolle zugeschrieben, sodass wissenschaftliche Erkenntnisse zum Faserverlauf in dieser Hirnregion von hohem klinischem Interesse sind. Auch im Hinblick auf Forschungsprojekte wie dem menschlichen Konnektom, welches neuroarchitektonische Aspekte und neuronale Funktionen integriert, ist die Erhebung neuroanatomischer Daten wissenschaftlich bedeutsam. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Analyse und der detaillierten Darstellung der Faserorientierung im anterioren Cingulum des menschlichen Gehirns mittels Polarized Light Imaging (PLI). Mit dieser Methode kann die Faserorientierung in jedem Voxel eines Dünnschnittpräparates berechnet werden und damit der Verlauf von Fasersystemen und Nervenbahnen hochauflösend dargestellt werden. Die physikalische Grundlage für dieses Verfahren bilden die doppelbrechenden Eigenschaften der myelinisierten Nervenfasern. Das Polarized Light Imaging ermöglicht somit eine detaillierte Abbildung der Faserorientierung der weißen Substanz im menschlichen Gehirn mit einer Auflösung im Mikrometerbereich. In der vorliegenden Arbeit wurden sechs in formalinhaltiger Lösung konservierte menschliche Gehirne in ihre Hemisphären geteilt, die Region des anterioren Gyrus cinguli präpariert und anschließend seriell geschnitten. Diese 100 Mikrometer starken Schnitte wurden mithilfe einer eigens entwickelten Polarisationsoptik, einer Digitalkamera und eines PCs digitalisiert und archiviert. Durch standardisierte Anordnungen des Polarisationsfilters in der Polarisationsoptik mit und ohne Viertelwellenplatte entstanden 18 Einzelbilder je Hirnschnitt. Aus über 85.000 Einzeldatensätzen wurden mittels MATLAB-Algorithmus Intensitäts-, Neigungs- und Richtungskarten erstellt und schließlich farbkodierte Faserorientierungskarten (FOM) des anterioren Cingulum berechnet. Für die genaue anatomische Beschreibung und zum Vergleich der Ergebnisse wurde die topografische Einteilung des anterioren Cingulum in einen supracallosalen, prägenualen und subgenualen Abschnitt gewählt. In der vorliegenden Arbeit stellt sich der supracallosale Abschnitt des Cingulums im anterioren Bereich als kompaktes Faserbündel dar, welches entlang des Corpus callosum zieht. Im posterioren Anteil sind Faservermischungen mit Strukturen der angrenzenden kortikalen Areale sichtbar. Der prägenuale Abschnitt präsentiert sich als gleichmäßiges Faserbündel ohne Faserein- oder Faserausstrahlungen, das von supracallosal um das Genu des Corpus callosum verläuft. In der subgenualen Region sind diffuse Vermischungen der Faserzüge mit Ausstrahlungen vor allem in die orbitofrontale Region und in Richtung des Limen insulae sichtbar. Die Darstellung der neuronalen Strukturen gelingt mit einer Auflösung von 64μm x 64μm x 100μm. Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit komplettieren die Erkenntnisse zur Faseranatomie des anterioren Cingulum aus anderen Studien (Devinsky et al. 1995, Palomero-Gallagher et al. 2009, Vogt 2005). Ein wesentlicher Vorteil des PLI liegt in der hohen Auflösung der Faserdarstellung und der Möglichkeit, sowohl sehr kleine neuronale Abschnitte als auch lange Faserzüge abbilden zu können. Die Datenerhebung ist nicht in vivo möglich und bedarf gegenüber magnetresonanzbasierten Methoden eines hohen Arbeits- und Zeitaufwandes. Dennoch vermögen die mesodimensionalen Daten, die mittels PLI gewonnen werden, die Lücke zwischen Makro- und Mikroebene zu schließen. PLI stellt eine unabhängige Methode zur Validierung der Ergebnisse magnetresonanzbasierter Verfahren dar und leistet, auch in Anbetracht der Möglichkeit zur dreidimensionalen Rekonstruktion, einen unverzichtbaren Beitrag zur Erstellung des menschlichen Konnektoms.

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