Analyse der Cadherin-Expression im Cortex cerebri und der Amygdala in der Reeler-Mausmutante

Das Gehirn ist ein komplexes Organ, an dessen Entwicklung verschiedene morphogenetische Prozesse beteiligt sind. Die Fähigkeit einzelner Zellen, spezifisch und stark an andere Zellen zu binden, ist eine Schlüsselfunktion in der Evolution multizellulärer Organismen. Diesen Bindungen zwischen Zellen liegt der Mechanismus der Zell-Zell-Adhäsion zu Grunde, in dem die Molekülfamilie der Cadherine involviert ist. Cadherine sind multifunktionelle Adhäsionsmoleküle und stellen Ca2+-abhängige, transmembrane Glycoproteine mit über 100 Subtypen dar. Sie spielen eine entscheidende Rolle in der Entwicklung des Nervensystems von Vertebraten. Durch ihre überwiegend homophilen Bindungen sind sie an vielen morphogenetischen Prozessen während der neuronalen Entwicklung beteiligt, wie z.B. an Zellproliferation, Migration, Axonlenkung, Neuritenwachstum, Bildung neuronaler Schaltkreise und Synaptogenese. Frühere Studien der Arbeitsgruppe Redies zeigten, dass Cadherine als Schichtenmarker im cerebralen Cortex dienen können (Krishna-K et al., 2009). Die Zellmigration ist ein wichtiger Entwicklungsmechanismus auf dem Weg zu einem ausgereiften Nervensystem. Reelin, ein extrazelluläres Glykoprotein, ist maßgeblich an der radialen Migration von Nervenzellen beteiligt. Mutationen des Reelin-Gens führen zu Störungen der neuronalen Migration, beispielsweise im cerebralen Cortex, im Hippocampus und im Cerebellum. Die Reeler-Mausmutante dient daher als Modell für das Studium der Corticogenese. In der vorliegenden Arbeit untersuchte ich, in wie weit die Reeler-Mutation Einfluss auf die Expression von Cadherinen im cerebralen Cortex hat. Dieselbe Frage stellte ich für die Amygdala, einem funktionell und morphogenetisch hoch komplexen Kerngebiet, das an der Ausbildung von Emotionen und sozialem Verhalten beteiligt ist. Die Expressionsanalyse von 13 Cadherinen mit Hilfe der In-situ-Hybridisierung wurde in drei neocorticalen Arealen (primärer somatosensorischer Cortex, motorischer Cortex und cingulärer Cortex) zu drei verschiedenen Entwicklungszeitpunkten (E18, P5, adult) sowie in einer allocorticalen Region, dem adulten Hippocampus, untersucht. Der cerebrale Cortex der Wildtypmaus weist ein schichtspezifisches Expressionsmuster der Cadherine auf. Jede corticale Schicht zeigt dabei eine Expression mehrerer Cadherine. Diese überlappende Expression ist mit der Hypothese vereinbar, dass Cadherine einen kombinatorischen adhäsiven Code für die corticalen Schichten und Areale liefern. Die Verteilungsmuster der Cadherine in der Reeler-Maus zeigen, dass in den verschiedenen Regionen des cerebralen Cortex die Schichtung aufgehoben ist und teilweise durch rundliche Aggregate von Zellen (Patches), die das gleiche Cadherin exprimieren, ersetzt ist. Das spezifische Vorkommen einzelner Cadherine in den verschiedenen corticalen Regionen ist jedoch nicht verändert. Die Ergebnisse dieser Arbeit sind insofern überraschend, als man bisher davon ausging, dass die Schichtung des cerebralen Cortexes in der Reeler-Mutante invertiert ist. Ähnliche Untersuchungen führte ich in der Amygdala durch. Die Amygdala ist ein komplexes Kerngebiet des Telencephalons, deren Entwicklung und funktionelle Verbindungen bis heute noch nicht vollständig verstanden sind. Die Analyse von 13 Cadherinen in der Amygdala der Wildtyp-Maus erlaubte es mir, mehrere neue Unterbereiche innerhalb der Amygdala zu definieren, die bislang von morphologischen Studien her nicht bekannt waren. Da Reelin auch in den corticalen Gebieten der Amygdala exprimiert ist (Remedios et al., 2007), untersuchte ich, ob die Mutation des Reelin-Gens in diesem Hirnareal ebenfalls mit einer Störung der Morphologie einhergeht. Meine Ergebnisse zeigen, dass die morphologische Organisation der corticalen amygdaloiden Gebiete in der Reeler-Mutante stark verändert ist, während tiefe palliale Strukturen und subpalliale Kerne nicht betroffen sind. Die Veränderungen der morphologischen Organisation sowohl des cerebralen Cortex als auch der Amygdala in der Reeler-Mutante führen möglicherweise auch zu Veränderungen in der Ausbildung neuraler Schaltkreise. In diesem Zusammenhang wird die Rolle von Reelin in einigen entwicklungsabhängigen, psychischen Erkrankungen, wie z. B. der Schizophrenie, den bipolaren Störungen und dem Autismus diskutiert.

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