Einfluss aktivitätsabhängiger Prozesse auf endogene neurale Stammzellen im Gyrus dentatus nach photochemisch induzierten Hirninfarkten

Lange Zeit ging man davon aus, dass die zelluläre Plastizität im adulten Gehirn nur auf der Ebene von Dendriten und Synapsen stattfindet und die Bildung neuer Nervenzellen lediglich dem embryonalen Gehirn vorbehalten ist. Diese Vorstellung wurde durch neuere Untersuchungen zumindest zum Teil wiederlegt. So weiß man heute, dass auch das adulte Gehirn zur Neurogenese fähig ist. Unter Neurogenese versteht man die Bildung neuer Nervenzellen aus teilungsaktiven endogenen neuralen Stammzellen. Nach derzeitigen Kenntnissen gibt es im adulten Gehirn zwei Regionen, in denen Neurogenese stattfindet. Das ist die Subgranulärzone (SGZ) des Gyrus dentatus im Hippocampus und die Subventrikulärzone (SVZ), welche die Seitenventrikel umgibt. Weiterhin ist bekannt, dass Neurogenese im adulten Gehirn sowohl unter physiologischen als auch unter pathophysiologischen Bedingungen abläuft und dass sie durch verschiedene exogene und endogene Faktoren moduliert werden kann, wobei die zugrundeliegenden Mechanismen noch weitgehend ungeklärt sind. Zahlreiche Studien beschäftigten sich in den vergangenen Jahren mit dem aktivitätsabhängigen Einfluss auf die Neurogenese unter physiologischen Bedingungen. Dagegen ist über die aktivitätsabhängige Modulation neuer Nervenzellen unter pathophysiologischen Bedingungen nur wenig bekannt. Der Schlaganfall, ein häufiges neurologisches Krankheitsbild, zählt mit zu den Hauptursachen für Langzeitbehinderungen, wobei die therapeutischen Möglichkeiten limitiert sind. Ziel der vorliegenden Arbeit war die Untersuchung der Frage, ob sich die hippocampale Neurogenese nach fokalen kortikalen Hirninfarkten aktivitätsabhängig beeinflussen lässt und inwieweit sich daraus neue Behandlungsstrategien für die Schlaganfalltherapie ergeben. Die Untersuchungen wurden tierexperimentell an der Ratte durchgeführt. Mit Hilfe des Photothrombosemodells wurden engumschriebene kortikale Hirninfarkte im sensomotorischen Vorderpfotenkortex induziert. Scheinoperierte Tiere dienten als Kontrollen. Vom 2. bis 6. postoperativen Tag erfolgte die Applikation des Proliferationszellmarkers Bromodesoxyuridin (BrdU). Das Studiendesign umfasste drei verschiedene Aktivitätsgruppen, wobei ein Teil der Tiere unter Standardbedingungen gehalten wurde, ein Teil war in einer reizreichen Umgebung untergebracht und ein Teil erhielt tägliches, wenige Minuten andauerndes Greiftraining der beeinträchtigten Vorderpfote. Zur Analyse der funktionellen Auswirkungen wurden zwei Verhaltenstests in die Untersuchung integriert. Der Sprossen-Lauf-Test diente zur Evaluierung sensomotorischer Fertigkeiten und das Wasserlabyrinth nach Morris als ein kognitiver Test zur Bewertung der räumlichen Lernfähigkeit. Nach einem Beobachtungszeitraum von 42 Tagen wurde das Gewebe immunhistochemisch aufgearbeitet. Dabei zeigte sich, dass sowohl tägliches Greiftraining als auch die Unterbringung in einer reizreichen Umgebung die Neurogenese im Gyrus dentatus nach fokalen Hirninfarkten erhöhte. Interessanterweise steigerte tägliches sensomotorisches Vorderpfotentraining bei Tieren ohne einen Hirninfarkt die Neurogenese am deutlichsten. Das durch Aktivität geförderte neurogene Potential scheint demnach unter ischämischen Bedingungen limitiert zu sein. Die Verhaltensanalysen zeigten im Wasserlabyrinth nach Morris eine gute Korrelation der Zahl der neuen Nervenzellen mit dem Lernerfolg. Im Sprossen-Lauf-Test waren die Tiere aus der reizreichen Umgebung dem Greiftraining motorisch tendenziell überlegen. Zusammengenommen legen unsere Befunde nahe, dass sich die hippocampale Neurogenese nach Hirninfarkten aktivitätsabhängig steigern lässt und die physiotherapeutische Behandlungsstrategie nicht nur positiv auf die neuronale Plastizität sondern auch auf die funktionelle Erholung auswirkt. Aus den Untersuchungen ergeben sich aber auch die Fragen, warum motorische Aktivität zu einer gesteigerten Neurogenese gerade im Hippocampus, einer Struktur mit vornehmlich kognitiven Funktionen, führt und welche Mechanismen diesem Prozess zugrunde liegen. Weiterführende Studien sind notwendig, um die Mechanismen und die funktionellen Auswirkungen der Stammzellproliferation nach Hirninfarkten besser zu verstehen und daraus neue Therapiestrategien abzuleiten.

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