Verteilungsgerechtigkeiten und Eigeninteressen als Handlungsmotive im Gesundheitswesen - Eine psychologische Untersuchung

Distributive justice and self-interest motives in the German health care system

  • In einer Fragebogenstudie (N=484) wurden privat und gesetzlich versicherte Bürgerinnen und Bürger online und klassisch schriftlich über Urteile und Bereitschaften zum Engagement im Handlungsfeld Gesundheitswesen befragt. Wie bedeutsam sind Gerechtigkeitsüberzeugungen im Vergleich zu Eigeninteressen zur Erklärung von Einstellungen gegenüber dem Gesundheitssystem? Gibt es Bereitschaften, sich für ein gerechtes Gesundheitssystem zu engagieren? Wie sind Motivstrukturen von Emotionen, Verantwortungszuschreibungen und Handlungsbereitschaften zu modellieren? Die Arbeit geht in Ergänzung zum dominierenden ökonomischen Eigennutzmodell von einem motivpluralistischen Modell aus, das neben Eigeninteresse Gerechtigkeit und Verantwortung als Triebfedern von Bereitschaftsbildung und Handeln erklärt. Die Befunde bestätigen die zentralen Hypothesen. Bereitschaften, sich für ein gerechtes Gesundheitssystem einzusetzen sind vergleichsweise stark ausgeprägt, wobei die Engagementbereitschaft anderer signifikant unterschätzt wird. Ein erster empirischerIn einer Fragebogenstudie (N=484) wurden privat und gesetzlich versicherte Bürgerinnen und Bürger online und klassisch schriftlich über Urteile und Bereitschaften zum Engagement im Handlungsfeld Gesundheitswesen befragt. Wie bedeutsam sind Gerechtigkeitsüberzeugungen im Vergleich zu Eigeninteressen zur Erklärung von Einstellungen gegenüber dem Gesundheitssystem? Gibt es Bereitschaften, sich für ein gerechtes Gesundheitssystem zu engagieren? Wie sind Motivstrukturen von Emotionen, Verantwortungszuschreibungen und Handlungsbereitschaften zu modellieren? Die Arbeit geht in Ergänzung zum dominierenden ökonomischen Eigennutzmodell von einem motivpluralistischen Modell aus, das neben Eigeninteresse Gerechtigkeit und Verantwortung als Triebfedern von Bereitschaftsbildung und Handeln erklärt. Die Befunde bestätigen die zentralen Hypothesen. Bereitschaften, sich für ein gerechtes Gesundheitssystem einzusetzen sind vergleichsweise stark ausgeprägt, wobei die Engagementbereitschaft anderer signifikant unterschätzt wird. Ein erster empirischer Hinweis, dass Ubiquität von Eigennutz als Motiv empirisch nicht haltbar ist. Weiter urteilen die befragten Bürger differenziert bezüglich unterschiedlicher Gerechtigkeitsaspekte. Es werden zur Beurteilung verschiedene Verteilungsgerechtigkeitsprinzipien angewandt und Gerechtigkeit ist demnach im Plural zu fassen. Hypothesenkonform zeigt sich, dass die Gerechtigkeitsurteile nicht als Rhetoriken eingesetzt werden, um einen etwaigen eigenen Nutzen zu maskieren, sondern vielmehr als eigenständige Motive zu verstehen sind. Hinsichtlich des Erlebens verschiedener gesundheitspolitisch relevanter Emotionen bestätigt sich ein kognitives Emotionsmodell, bei dem Gerechtigkeitsurteile wesentliche Varianzanteile erklären. Ebenso werden über ein Drittel der Varianzanteile der Verantwortungszuschreibung durch die modellierten Variablen vorhergesagt, wobei die zentralen Variablen Verursachungs- und Kontrollattributionen darstellen. Auch zur Erklärung der verschiedenen Engagementbereitschaften sind Gerechtigkeits- und Verantwortungsurteile im Gegensatz zu geringer bzw. fehlender Signifikanz von Eigennutz-Variablen geeignet. Insgesamt: Gerechtigkeitsurteile und Verantwortungszuschreibungen bezogen auf das Gesundheitssystem werden differenziert gefällt und sind für die Einstellungsbildung zentral. Eignnutz - auch in seiner durch Gerechtigkeitsrhetoriken maskierten Form - spielt hingegen nur eine untergeordnete Rolle. Aus den Ergebnissen werden Ableitungen für zukünftige Forschungsarbeiten entwickelt. Darüber hinaus werden drei Empfehlungen formuliert, was aus der Deutung der Daten für die Praxis der Politikberatung folgt: das Ernstnehmen von Gerechtigkeitsüberzeugungen bezogen auf das Gesundheitssystem, die Aufklärung von Bürgern und Entscheidungsträgern sowie die Etablierung fairer Entscheidungsprozesse.show moreshow less
  • In an internet and paper-pencil survey-study 484 citizens (with private or public health care insurance) were asked about their attitudes to and willingness to engage in the German health care system. How significant are justice beliefs in contrast to self-interest to explain attitudes towards the health care system? Is there a willingness to engage for a fair health care system? What are the motives for emotions, attribution of responsibility or willingness to act? The investigation assumes in extension of the dominant economic self-interest model a plurality of motives, such as justice and responsibility, to explain willingness to act and behaviour. The results confirm the central hypotheses. Personal willingness to engage for a fair health care system is strong. Moreover, the willingness of others to engage for a fair health care system is significantly and substantially underrated by respondents. This is firstly evidence that self-interest is not the only motive as the economic behavioural model suggests. Further, respondentsIn an internet and paper-pencil survey-study 484 citizens (with private or public health care insurance) were asked about their attitudes to and willingness to engage in the German health care system. How significant are justice beliefs in contrast to self-interest to explain attitudes towards the health care system? Is there a willingness to engage for a fair health care system? What are the motives for emotions, attribution of responsibility or willingness to act? The investigation assumes in extension of the dominant economic self-interest model a plurality of motives, such as justice and responsibility, to explain willingness to act and behaviour. The results confirm the central hypotheses. Personal willingness to engage for a fair health care system is strong. Moreover, the willingness of others to engage for a fair health care system is significantly and substantially underrated by respondents. This is firstly evidence that self-interest is not the only motive as the economic behavioural model suggests. Further, respondents judge differentially about diverse aspects of justice using multiple principles of distributive justice. Hence, justice is shown to have a plurality of aspects. Furthermore, it can empirically be shown that the justice appraisals are not rhetoric to mask possible self-interest, but are discrete motives. Regarding the experience of different emotions concerning the health care system, a cognitive model can be affirmed in which justice appraisal explains an important part of the variance. Similarly, one third of the variance of the responsibility is explained by the selected variables, in which attributions of cause and control are the main predictors. Justice variables and variables of responsibility alike are the main predictors for willingness to engage, whereas variables of self-interest do not play a decisive role. In sum: In the sample, justice appraisals and attributions of responsibility regarding the German health care system are highly differentiated and crucial to attitudes. Self-interest - also in its form as justice rhetoric - is subordinate. However, further research is required to consolidate these results. Three political recommendations are derived from the study: the justice appraisals concerning the health care system have to be taken seriously; citizens and policy makers have to be made aware of the relative meaning of self-interest; and fair decision processes should be established.show moreshow less

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Metadaten
Author:Kärcher, Juliane
URN:urn:nbn:de:bvb:824-opus-439
Advisor:Univ.-Prof. Dr. Kals, Elisabeth
Document Type:Doctoral thesis
Language of publication:German
Online publication date:2007/09/18
Publishing Institution:Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt
Awarding Institution:Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt, Philosophisch-Pädagogische Fakultät
Date of final examination:2007/07/25
Release Date:2007/09/18
Tag:German health care system; distributive justice; self-interest
GND Keyword:Gerechtigkeit <Motiv>; Verteilungsgerechtigkeit; Eigennutz; Gesundheitswesen
Faculty:Philosophisch-Pädagogische Fakultät / Psychologie
Dewey Decimal Classification:1 Philosophie und Psychologie / 15 Psychologie / 150 Psychologie
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