Herkunftsassoziierte Lehrkrafturteile und -erwartungen: Soziale Kognitionen und Urteilsbildungsprozesse im Kontext einer ethnisch und sozial heterogenen Schülerschaft

  • Basierend auf empirischen Befunden zu Disparitäten im Bildungsverlauf und -erfolg von Schüler(inne)n unterschiedlicher ethnischer und sozialer Herkunft (z. B. Braun & Mehringer, 2010; Stubbe, Bos & Euen, 2012) stellt sich die Frage nach den Ursachen für das schlechtere Abschneiden von Schüler(inne)n mit (v. a. türkischem) Migrationshintergrund und/oder niedrigem sozioökonomischem Status (vgl. Mehringer, 2013; Müller & Ehmke, 2013). Diese herkunftsassoziierten Disparitäten können nicht ausschließlich durch geringere Fähigkeiten oder Leistungen erklärt werden. So erhalten Schüler(innen) mit Migrationshintergrund und/oder niedrigem sozioökonomischem Status im Vergleich zu Schüler(inne)n ohne Migrationshintergrund und mit hohem sozioökonomischem Status, auch unter Kontrolle der tatsächlichen Leistungen und Fähigkeiten, schlechtere Zensuren sowie seltener Empfehlungen für das Gymnasium (z. B. Arnold, Bos, Richert & Stubbe, 2007; Merkens & Wessel, 2002). Angenommen werden multikausaleBasierend auf empirischen Befunden zu Disparitäten im Bildungsverlauf und -erfolg von Schüler(inne)n unterschiedlicher ethnischer und sozialer Herkunft (z. B. Braun & Mehringer, 2010; Stubbe, Bos & Euen, 2012) stellt sich die Frage nach den Ursachen für das schlechtere Abschneiden von Schüler(inne)n mit (v. a. türkischem) Migrationshintergrund und/oder niedrigem sozioökonomischem Status (vgl. Mehringer, 2013; Müller & Ehmke, 2013). Diese herkunftsassoziierten Disparitäten können nicht ausschließlich durch geringere Fähigkeiten oder Leistungen erklärt werden. So erhalten Schüler(innen) mit Migrationshintergrund und/oder niedrigem sozioökonomischem Status im Vergleich zu Schüler(inne)n ohne Migrationshintergrund und mit hohem sozioökonomischem Status, auch unter Kontrolle der tatsächlichen Leistungen und Fähigkeiten, schlechtere Zensuren sowie seltener Empfehlungen für das Gymnasium (z. B. Arnold, Bos, Richert & Stubbe, 2007; Merkens & Wessel, 2002). Angenommen werden multikausale Einflussfaktoren (z. B. Stubbe & Bos, 2008), wobei insbesondere die Grundschule (u. a. durch ihre Selektionsfunktion) und auch die Lehrkraft eine besondere Verantwortung für Bildungsverläufe von Schüler(inne)n trägt (vgl. Ditton, 2016). Theoretische Modelle betonen v.a. die Bedeutung von akkuraten Lehrkrafturteilen und herkunftsunabhängigen Erwartungen für einen adaptiven Unterricht (z. B. Helmke, 2009; Schrader & Helmke, 2001). Jedoch konnten empirische Studien meist nur eine moderat ausgeprägte diagnostische Kompetenz von Lehrkräften feststellen (z. B. Südkamp, Kaiser & Möller, 2012) sowie herkunftsassoziierte Unterschiede in Lehrkrafturteilen und erwartungen aufdecken (z. B. Dunkake & Schuchart, 2015; Glock, 2016). Bislang ist jedoch nicht geklärt, ob diese herkunftsassoziierten Urteilsunterschiede Ausdruck negativ verzerrter Lehrkrafturteile bei Schüler(inne)n mit Migrationshintergrund und/oder niedrigem sozioökonomischem Status sind oder positiv verzerrte Urteile bei Schüler(inne)n ohne Migrationshintergrund und mit hohem sozioökonomischem Status darstellen. Die ersten Befunde für den deutschsprachigen Raum, die sich mit dieser Frage befassen, stammen von Kaiser, Südkamp und Möller (2016) und deuten auf eine akkurate Einschätzung von Schüler(inne)n mit Migrationshintergrund hin. Darauf aufbauend stellt sich die Frage nach den zugrundeliegenden kognitiven Prozessen, die herkunftsassoziierte Urteile und Erwartungen von Lehrkräften erklären könnten. Anzunehmen ist, dass der soziale Informationsverarbeitungsprozess durch bereits bestehende mentale Strukturen, wie z. B. Einstellungen und Stereotype, beeinflusst wird (z. B. Fiske & Neuberg, 1990; Hamilton, Sherman & Ruvolo, 1990). Dabei weisen Lehrkräfte und Lehramtsstudierende negativere Einstellungen gegenüber Kindern mit Migrationshintergrund im Vergleich zu Kindern ohne Migrationshintergrund sowie negativere Einstellungen gegenüber Kindern mit niedrigem sozioökonomischem Status im Vergleich zu Kindern mit hohem sozioökonomischem Status auf (z. B. Glock & Karbach, 2015; Glock, Krolak-Schwerdt & Hörstermann, 2016). Basierend auf dem Kontinuum Modell der Eindrucksbildung (Fiske & Neuberg, 1990) stellt sich die Frage, ob bei der Beurteilung von Schüler(inne)n unterschiedlicher Herkunft diese mentalen Strukturen wirksam sind und sich für manche Schülergruppen eine eher kategoriebasierte oder eher individuumsbasierte Informationsverarbeitung zeigt. Die vorliegende Arbeit setzt an diesen Fragen an und geht ihnen in zwei empirischen Untersuchungen nach. In einer experimentellen Online Studie mit N = 237 erfahrenen Grundschullehrkräften konnten unter dem Einsatz von Fallvignetten (männlicher Schüler; Manipulation der ethnischen und sozialen Herkunft) zunächst herkunftsassoziierte Urteils und Erwartungsunterschiede von Lehrkräften für Leistungen bestätigt und für leistungsrelevante Schülermerkmale aufgedeckt werden. Dabei deuten die Befunde auf eine akkurate Einschätzung von Schülern mit Migrationshintergrund und niedrigem sozioökonomischem Status sowie auf eine positive Urteilsverzerrung bei Schülern ohne Migrationshintergrund und mit hohem sozioökonomischem Status hin. In einer zweiten experimentellen Studie mit N = 45 Lehramtsstudierenden wurden ebenfalls Fallvignetten eingesetzt und die ethnische und soziale Herkunft von männlichen Schülern manipuliert. Durch die Erfassung okulomotorischer Daten mit einem Eye Tracker konnten Rückschlüsse auf die Informationsverarbeitung gezogen werden. Die Ergebnisse verweisen auf eine höhere kognitive Aktivierung bei der Urteilsbildung über Schüler mit Migrationshintergrund und niedrigem sozioökonomischem Status und eine geringere kognitive Aktivierung bei der Bildung von Urteilen über Schüler ohne Migrationshintergrund und mit hohem sozioökonomischem Status. Entsprechend kann eine eher kontrollierte Informationsverarbeitung bei Schülern mit Migrationshintergrund und niedrigem sozioökonomischem Status und eine eher automatisierte Informationsverarbeitung bei Schülern ohne Migrationshintergrund und mit hohem sozioökonomischem Status angenommen werden. Unter Berücksichtigung der impliziten ethnischen Einstellungen von Lehramtsstudierenden zeigte sich zudem, dass eine eher automatisierte Informationsverarbeitung bei der Beurteilung von Schülern ohne Migrationshintergrund und mit hohem sozioökonomischem Status, v. a. bei Studierenden mit starken positiven Assoziationen gegenüber Personen ohne Migrationshintergrund auftritt.show moreshow less

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Metadaten
Author:Anita TobischGND
URN:urn:nbn:de:bvb:384-opus4-638356
Frontdoor URLhttps://opus.bibliothek.uni-augsburg.de/opus4/63835
Advisor:Markus Dresel
Type:Doctoral Thesis
Language:German
Year of first Publication:2019
Publishing Institution:Universität Augsburg
Granting Institution:Universität Augsburg, Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät
Date of final exam:2017/11/20
Release Date:2019/10/28
GND-Keyword:Ausländischer Schüler; Soziale Wahrnehmung; Schülerbeurteilung
Institutes:Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät
Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät / Psychologie
Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät / Psychologie / Lehrstuhl für Psychologie
Forschungsprojekte
Forschungsprojekte / Lehrerprofessionalität im Umgang mit Heterogenität (LeHet)
Dewey Decimal Classification:1 Philosophie und Psychologie / 15 Psychologie / 150 Psychologie
Licence (German):Deutsches Urheberrecht