Spätpaläolithische Landnutzungsmuster in Bayern

Language
de
Document Type
Doctoral Thesis
Issue Date
2018-01-23
Issue Year
2018
Authors
Sauer, Florian
Editor
Abstract

The dissertation focuses on the Late Palaeolithic sites of northern Bavaria. The great number of surface collections, which have been collected since the 1970s, have not been subject to comprehensive scientific analysis. All of the sites investigated here can be assigned to the arch backed point (ABP) or Federmesser groups, which span the Allerød-interstadial and the Younger Dryas stadial towards the end of the last glaciation (c. 12,000 - 9,700 cal BC). The distribution of sites over various environmental landscape units makes them particularly suited for the analysis of the land use patterns of the prehistoric people inhabiting the region. In this dissertation - besides generally publishing basic data on the various assemblages - three major lines of investigation were pursued. The settlement pattern of the Late Palaeolithic foragers was analysed using an archaeological predictive model. This way it was possible to determine topographic factors, which were of significance for site placement by the Late Glacial hunter-gatherers. The settlement pattern analysis demonstrate that sites of the ABP group are typically placed in the immediate vicinity of large watercourses in areas, which allowed a certain level of protection from flooding and cold temperatures. The second line of investigation incorporated the development of a geomorphology-based methodology for estimating potential biodiversity in the catchments of the sites within the study area. The close relationship between topography and abiotic factors relevant for the growth and distribution of different biocenoses was used to assess the bioeconomic opportunities surrounding the sites. Landscapes of expressed topographic variability provide a multitude of different habitats since abiotic factors are distributed heterogeneously. Flat landscapes, in contrast, do not provide a great number of niches, since growth conditions only change little due to the homogeneous geomorphology. This axiom was translated for the application in an open-source geoinformation system. Here, landforms as distinct expressions of local geomorphology with inherit geophysical characteristics were used as an indicator of different habitats. By analysing both the relative diversity and the landform composition of the individual catchments it could be shown that specialized areas of high topographic wetness were favoured by the foragers. This is interpreted as the exploitation of landscape elements, which provide high volume and low variability of resources, which are closely linked to wetlands and waterbodies. As a third line of investigation, the raw material procurement patterns, that could be recognised by the analysis of the different lithic assemblages, were investigated. It could be demonstrated that foragers inhabiting the study area moved between the Danube basin to the south, Bohemia and the Flint Line in the Northern German Plains. The raw materials showed both the use of local and exogeneous toolstones from various regions, which reflected an opportunistic pattern of core reduction. This flexible approach towards the production of tools is typical ABP sites in Central Europe. To conclude, the dissertation comprehensively analyses the land use pattern of Late Palaeolithic foragers in the northern Bavarian Central Uplands. The hunter-gatherers in the regions predominantly exploited landscape elements of low biodiversity along the major river valleys. The raw material use reflects an annual cycle, which extends from the Danube Basin to northern Germany. The dissertation also showed, that surface collections can provide fundamental information for land use pattern analysis, even though the sites do not provide stratigraphic and palaeoenvironmental information.

Abstract

Das Spätpaläolithikum in Nordbayern stellt ein typisches Forschungsdesiderat dar. Im Raum zwischen der Donau und dem Thüringisch-Fränkischen Mittelgebirge ist eine große Zahl von Fundstellen bekannt, die aufgrund der Typologie der in den Inventaren vorhandenen Werkzeugformen eindeutig den Federmessergruppen zugewiesen werden können. Seit den siebziger Jahren wurde, vor allem durch den ehrenamtlichen Heimatpfleger Werner Schönweiß aus Coburg, die Auseinandersetzung mit den Oberflächenaufsammlungen vorangetrieben. Demgegenüber stehen, besonders in den letzten Jahren, nur wenige Publikationen. Daher sollte in dieser Arbeit auch dem archäologischen Wert der Fundlandschaft besondere Rechnung getragen werden. Die spätglazialen Fundstellen im Arbeitsgebiet sind nahezu ausschließlich Oberflächenaufsammlungen ehrenamtlicher Sammler. Die wenigen ausgegrabenen Plätze wurden vorwiegend zu Beginn des letzten Jahrhunderts untersucht, was leider einen relativ schlechten Dokumentationsstand zur Folge hatte. So existieren keine Informationen zu Vegetationsparametern im Untersuchungsgebiet zur Zeit des Allerød-Interstadials und zur Jüngeren Dryas. Es verbleiben damit die zum Teil beträchtlichen Silex-Inventare und die Raumdaten für die archäologische Auswertung. Aus diesen Grenzen erwuchsen drei Frageansätze, die in der vorliegenden Dissertation verfolgt werden. Zum ersten sollte das Siedlungsmuster der spätpaläolithischen Jäger- und Sammler in Nordbayern untersucht werden. Dabei wurden die topographischen Faktoren bewertet, die möglicherweise für die Positionierung des Lagers an dem jeweiligen Ort verantwortlich gewesen sind. Die Analyse wurde mit Hilfe eines Archäoprognoseansatzes durchgeführt, der die statistische Bewertung der unterschiedlichen Lagefaktoren erlaubt und gleichzeitig eine gute visuelle Darstellung ermöglicht. Die Siedlungsmusteranalyse ergab dabei, dass die Lagerplätze vor allem im unmittelbaren Umfeld der größeren Flüsse im Untersuchungsgebiet angelegt wurden. Lokale Faktoren, die den Schutz vor zu hoher Feuchtigkeit und Kälte in den Flussauen andeuten, waren ebenfalls von großer Wichtigkeit. Zeigt die Siedungsmusteranalyse bereits, dass die Nähe zu großen Flussläufen der wichtigste Faktor für die Lagerplatzierung war, sollte als zweiter Frageansatz auch die Verfügbarkeit und mögliche Nutzung organischer Ressourcen im Umfeld der Fundstellen bewertet werden. Da jedoch nicht auf die üblichen Hilfsvariablen wie Pollendaten oder Faunenüberreste zurückgegriffen werden konnte, wurde in dieser Dissertation eine Methodik entwickelt, die es erlaubt, aufgrund der Landschaftsmorphologie Daten zu modellieren, die ersatzweise genutzt werden können. Hierzu wurde die aus der Biogeographie bekannte, sogenannte „Physiographic Plant Geography“ verwendet, die die große Wichtigkeit topographischer Bedingungen für die Ausbildung der Umweltbedingungen analysiert, die für Zusammensetzung und Präsenz unterschiedlicher Pflanzengesellschaften in der Landschaft relevant sind. Der Grundgedanke ist, dass eine heterogen aufgebaute Landschaft mit zahlreichen Hügeln und Tälern eine größere Zahl unterschiedlicher Biotope hervorbringt, als eine ebenmäßige. Für die Untersuchung wurde ein landformbasierender GIS-Ansatz verfolgt, der nach einer Klassifizierung der Landschaft in elf unterschiedliche Klassen morphologischer Ausprägung erlaubt, die Zusammensetzung der Fundstellenterritorien sowohl im Hinblick auf die potentielle Biodiversität, als auch in Bezug auf die mit den verschiedenen Landformen verbundenen Wachstumsbedingungen zu bewerten. Ein Ergebnis der Auswertung war, dass die Jäger und Sammler des Spätglazials vor allem die spezialisierteren Landschaftsteile bevorzugten. Signifikante Ergebnisse waren dabei auf das unmittelbare Umfeld der Fundstellen beschränkt. Es war augenscheinlich Ziel der Menschen, die die Lagerplätze in der Landschaft aufschlugen, eine vergleichsweise geringe Bio- und Ressourcendiversität in geringer Entfernung zu ihrem Lager vorzufinden. Die Ressourcen fanden sich dabei vor allem in feuchten Milieus wie breiten Tälern, Sümpfen und entlang der Flüsse. Die kombinierten Ergebnisse der Bioressourcenmodellierung und der Siedlungsmusteranalyse zeigen, dass aquatische Ressourcen eine bedeutende Rolle bei der Versorgung mit organischen Rohstoffen gespielt haben. Als dritter und letzter Teil der Arbeit wurde die Nutzung und der Bezug der unterschiedlichen lithischen Rohmaterialien untersucht. Nach einer umfangreichen merkmalanalytischen Aufnahme mehrerer Inventare aus dem nordbayerischen Raum, die die Bestimmung der Silextypen und deren Aufschlüsse beinhielt, konnte belegt werden, dass die Fundstellen der Federmessergruppen in einem ausgedehnten Kontaktsystem liegen. Das außerordentlich ausgedehnte Schweifgebiet der spätglazialen Jäger und Sammler reichte dabei vom Donauraum, repräsentiert durch die dort vorkommenden Plattenhornsteine, über Böhmen, wo die Quellregion der verwendeten Quarzite verortet werden konnte, bis nach Sachsen in das Gebiet der Feuersteinlinie, die als nähester Sekundäraufschluss der Kreidefeuersteine bestimmt wurde. Die Rohmaterialien wurden zum Teil sehr unterschiedlich genutzt. Während der hochqualitative und lokal umfänglich vorhandene Jurahornstein intensiv verwendet und schnell verworfen wurde, wurden die ebenfalls in geringer Entfernung vorkommenden Chalzedone nur zur opportunistischen Auffrischung der Rohmaterialbestände aufgelesen. Die Kernabbautechnik und die Nutzung für die Werkzeugherstellung unterschied sich wiederum kaum unter den verschiedenen Kieselbildungen. Lediglich der Jurahornstein zeigte distanzabhängige Muster in der Nutzung zur Werkzeugherstellung. Alles in allem unterstreichen die Ergebnisse zur Ausbeutung die bereits aus anderen archäologischen Kernregionen, wie dem Pariser Becken oder dem Mittelrheingebiet, bekannte opportunistische Verwendung lithischer Rohmaterialien. Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit die Nutzung aquatischer Ressourcen entlang der breiteren Flussläufe durch die hochmobilen Jäger und Sammler des Spätglazials. In der im Rahmen der Wiedererwärmung nach dem letzten Kältemaximum der letzten Eiszeit wiederbewaldeten Landschaft wurden große Schweifgebiete genutzt. Dabei gelangten die Jäger und Sammler in unterschiedlichste landschaftliche und ökologische Regionen mit variierenden Rohstoffangeboten. Obwohl es sich bei den Fundstellen, die in dieser Dissertation zur Auswertung herangezogen wurden, ausschließlich um Oberflächenaufsammlungen handelt, die nach gängiger Meinung nur geringe Aussagekraft für archäologische Fragestellungen haben, konnte mit Hilfe verschiedener Methoden der Forschungsstand in Nordbayern dennoch beträchtlich erweitert werden.

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