Netzwerkanalysen und semantische Datenmodellierung als heuristische Instrumente für die historische Forschung

Language
de
Document Type
Doctoral Thesis
Issue Date
2019-07-01
Issue Year
2019
Authors
Wintergrün, Dirk
Editor
Abstract

Today we are facing a transition from the age of information to the age of the networks. The conse- quence is a revolutionary change in the organisation of knowledge and the structures of its preservati- on. This process is simultaneously a challenge to researchers working in computer science and in the humanities. Promising answers to these challenges can increasingly be found in two approaches: the semantic modelling of data and the mathematical analysis of networks. The problem is that until now these approaches have been mostly explored separately, although both aim to formalise knowledge structure and systems of knowledge diffusion so that these can be analysed with methods developed by computer scientists. This thesis brings these two approaches together and outlines a theory for a combined network analysis and model-based description of historical knowledge structures (NMD). Starting from the approach of historical epistemology, this theory introduces three interconnected layers of networks: the semantic network, describing the structures of knowledge; the semiotic network, representing the physical and formal representation of knowledge; and finally the social network of actors, which are indispensable for the structuring and restructuring of knowledge. Part One of this thesis introduces the theoretical underpinning of the thesis, based on mathematics, graph-theory and modelling, and grounded in the history of science, which is necessary in order to be able to apply these approaches to research in this area. Part Two is devoted to the concrete realisation of this approach, and introduces four case studies. Drawing on examples from four different historical periods, and addressing four different research questions, it is demonstrated which tools can be used to answer these questions and which consequences follow from NMD for interdisciplinary historical research. The case studies are projects researching a) the history of general relativity (GR), b) the history of the Max Plank Society (GMPG), c) the construction of the Cuppola of the Florentine Cathedral, and d) the Sphaera of Sacrobosco. The process of designing a workflow for data transformation and data modelling is at the center of both the project on the history of general relativity (GR) and the study based on data from the project on the history of the Max Planck Society (GMPG). This workflow allows to bring together different data sets based on semantic modelling, so that this data can be analysed using the tools of social network analysis. The conceptual relations between semiotic, semantic and social network are then discussed, based on the example of bibliometric studies and social networks in the case study of GR. The case study on GR also focuses in particular on the effects of missing or uncertain data in the results of network analysis. The case study GMPG highlights how institutions (in this case commissions) can be interpreted as elements of a semiotic networks in this theoretical framework. The studies on the cuppola of the Florentine cathedral and the sphere of Sacrobosco focus on the connection of semiotic networks (represented by archival materials and books), the semantic network, and partially the social network. An ontology which supports this approach is presented here. In conclusion, the approach presented here is highly useful for making computational methods more accessible to humanists. Quantitative data also becomes more understandable for researchers who are predominantly interested in the qualitative interpretation of data.

Abstract

Stand das 20. Jahrhundert mit dem Aufkommen der elektronischen Medien und dem Internet als Massenphänomen für eine grundlegende Umwälzung der Informationsvermittlung und -organisation, so befinden wir uns nun in einer Umbruchphase vom Informations- zum Netzwerkzeitalter. Diese konfrontiert uns mit einer grundlegenden Veränderung der Organisation des Wissens und den Struk- turen seiner Speicherung. Dieser Umbruch ist eine Herausforderung an die Informatik und an die Geisteswissenschaften gleichermaßen. Vielversprechende Antworten auf diese Herausforderungen ergeben sich aus meiner Sicht vor allem aus zwei Ansätzen - der semantischen Modellierung und der mathematischen Analyse von Netzwerken. Diese methodischen Ansätze werden jedoch bisher zumeist getrennt voneinander behandelt, obwohl beide Ansätze dazu eingesetzt werden, Wissen zu strukturieren und zugleich maschinenlesbar zu machen. Wissensstrukturen werden damit einer Auswertung mit Mitteln der Informatik zugänglich. Die Verbindung dieser beiden Ansätze ist der Leit- gedanke dieser Arbeit. Notwendig ist eine Theorie zur netzwerk- und modellierungstheoretischen Beschreibung (NMB) historischer Wissenssysteme. Diese Theorie basiert ausgehend vom wissen- schaftshistorischen Ansatz der historischen Epistemologie auf drei miteinander verschränkten Netz- werkebenen: dem semantische Netz, das die Wissensbasis beschreibt, dem semiotischen Netz, das die Kodierung von Wissen repräsentiert, und schließlich dem Netz der sozialen Akteure, ohne die Entstehung und Organisation von Wissen nicht stattfinden kann. In Teil I der Arbeit wird in die mathe- matischen, graphentheoretischen und modellierungstheoretischen Ansätze soweit eingeführt, dass die Umsetzung in konkrete Anwendungen verständlich ist, gleiches gilt für den notwendigen Hinter- grund von Seiten der Wissenschaftsgeschichte. Teil II der Arbeit ist der konkreten Umsetzung in vier Fallstudien gewidmet. Anhand von Beispielen aus unterschiedlichen historischen Zeitabschnitten verbunden mit unterschiedlichen Fragestellungen wird aufgezeigt, welche Hilfsmittel eingesetzt werden können, um diese Fragestellungen zu beant- worten, und welche Konsequenzen sich aus dem Ansatz der NMB für die interdisziplinäre historische Forschung ergeben. Im Zentrum stehen bei den Fallstudien zur Geschichte der Allgemeinen Relativi- tätstheorie (ART) und dem Teilprojekt aus dem Projekt zur Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft (GMPG) der Aufbau einer Infrastruktur, die auf Grundlage einer semantischen Modellierung unter- schiedliche Datenbestände zusammenbringt und diese dann einer soziale Netzwerkanalyse zugäng- lich macht. Als Beispiel für die Verbindung von semiotischem, semantischem und sozialen Netz wird in der Fallstudie zur ART die Verbindung zwischen bibliometrischer Analyse und dem Kooperations- netzwerk der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vorgestellt. Wir untersuchen hier zugleich die Auswirkungen von historischen Annahmen sowie ungenauer oder fehlender Daten auf die Ergebnisse der Netzwerkanalyse. In der Fallstudie zur GMPG schauen wir darüber hinaus dar- auf wie Gremien (in diesem Falle Kommissionen), als semiotische Netzwerke verstanden werden können. Die Studien zum Bau der Kuppel des Florentiner Doms und der Sphaera des Sacrobosco legen den Schwerpunkt auf die Verbindung von semiotischem Netz repräsentiert durch Schriftzeug- nisse in Archiven und semantischem Netz. Es wird eine beispielhafte Ontologie vorgestellt, die dieses unterstützt. Die Ergebnis dieser Arbeit verdeutlichen, dass der dargestellte Ansatz dabei hilft, Methoden der In- formatik für die geisteswissenschaftliche Forschung zugänglicher zu machen, quantitative Datenaus- wertung wird dadurch besser verständlich auch für vorrangig an qualitativen Ergebnissen interessier- ten Forscherinnen und Forschern aus den Geisteswissenschaften. Es ist mit vertretbarem Aufwand möglich historische Datenbestände mit Methoden der NMB aufzubereiten und Fragen an diese Da- ten, wie etwa nach Abhängigkeitsbeziehungen oder der Relevanz einzelner Personen in historischen Prozessen zu stellen und zu beantworten. Die Arbeit zeigt, dass dazu keine monolithische neue In- frastruktur notwendig ist, sondern dass durch flexible Kombination existierender Methoden und deren Übertragung auf neue Anwendungsbereiche bereits erhebliche Fortschritte und neue Erkenntnisse erzielt werden können.

DOI
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