Wer wird Pflegender, wer nicht? Eine motivationspsychologische Antwort. Die Rolle von Persönlichkeit und Beziehungsgestaltung im Übergang zur Pflege

Language
de
Document Type
Doctoral Thesis
Issue Date
2012-06-01
Issue Year
2012
Authors
Rohr, Margund K.
Editor
Abstract

Empirical literature thoroughly proves the burden and negative consequences on health that accompany caregiving. However, more recent findings point to existing between-person differences in care experiences highlighting the necessity for a closer look onto underlying processes and dynamics. With this in mind the current thesis offers a motivational perspective to the context of care adopting the Rubicon-deadline model of motivation (Heckhausen & Heckhausen, 2006). In doing so, the dissertation addresses three candidates that account for the heterogeneity in care experiences, namely caregivers’ personality, individual gain-loss-expectations, and the care relationship. Furthermore, the thesis concentrates on the transition into care which comes with regulative challenges and serves as crucial starting point of the caregiving career. Based on an action-theoretical understanding of individuals as active (co-)producers of their development three complementary empirical approaches were applied: After reviewing current research on caregiving the second study, a longitudinal approach, uses representative data of the German Socio-economic Panel (GSOEP, N = 14,495) to explore the role of personality in the transition to care. Results showed that more neurotic people tend to select into care contexts and emphasizes the heightened vulnerability of female care entrants. Study 3 is a web-based, quasi-experimental study (N = 485) focusing on gain-loss-expectations associated with the care context and the changing relationship within the transition to care. Results illustrate that anticipated care benefits and losses discriminate between potential caregivers and those who are undecided or unwilling to care. Likewise, these groups differ in their perception and their engagement for the relationship. More specifically, the closer people feel and the more they are prone to regulate unbalanced exchanges, the more likely they are willing to invest in the continuity of the relationship despite facing care-related challenges and take over care responsibility. Results prove the vital role of expected care gains and losses and relationship regulation efforts as antecedent of care decisions. Finally, in study 4 the role of relationship characteristics is considered in an in-terview study with 50 older adults with health impairments and their potential caregiving spouses (N = 100). Findings underline the importance of emotional closeness and perceived reciprocity as predictors for relationship outcomes. In addition, differential regulation patterns for potential caregivers and care receivers suggest that already in early periods of the transition adaptation processes accrue. Taken together, the results of the three empirical studies confirm the applicability of the motivational approach in order to outline the active role of individuals within this transition. Additionally, the thesis highlights the necessity to focus more deeply on the interplay of individual and contextual dynamics with a specific focus of the dyadic relationship processes to explain existing heterogeneity in care experiences and to offer new approaches for researchers and practitioners alike.

Abstract

Eine Vielzahl empirischer Befunde belegt die mit der Pflegeaufgabe einhergehende Belastung und die negativen Konsequenzen für das Wohlbefinden und die körperliche Gesundheit von Pflegenden. Gleichwohl berichten neuere Forschungsarbeiten von erlebten Positiva und Gewinnen in der Pflege und verweisen somit auf die Vielgestaltigkeit des Pflegeerlebens. Als mögliche Ursachen für die beobachtete Heterogenität werden insbesondere interindividuelle Unterschiede und Beziehungscharakteristika in den Blick genommen. Während deren Einfluss auf die Gestaltung und Bewertung der Pflegetätigkeit durch eine Reihe von Studien belegt ist, bleibt bis dato unklar, wie die beiden Aspekte im Übergang zur Pflege wirken. Hier wird häufig eine deskriptive Perspektive eingenommen, den Akteuren eine eher passive Rolle zugeschrieben und damit motivationale Prozesse nur wenig beleuchtet. Die vorliegende Arbeit versucht diese Lücke zu schließen, indem sie sich dem Übergang in die Pflege aus motivationspsychologischer Sicht nähert. Dazu wurde das Rubikon-Fristen-Modell der Motivation (Heckhausen & Heckhausen, 2006) auf den Kontext der Pflege übertragen und dessen Anwendbarkeit anhand dreier, sich ergänzender empirischer Studien untersucht: Nachdem zunächst in einer ersten Studie ein Überblick über die empirische Befundlage gegeben wird, widmet sich die zweite Studie der Frage, ob sich Individuen aufgrund ihrer Persönlichkeit in Pflegekontexte selektieren und wie der Übergang in die Pflege seinerseits die Persönlichkeitsentwicklung beeinflusst. Dazu greift die Studie auf repräsentative Längsschnittdaten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP, N = 14 495) zurück. Die Ergebnisse verweisen auf die bedeutende Rolle von Neurotizismus bei der Wahl und Gestaltung des Pflegekontexts. Außerdem wird deutlich, dass insbesondere weibliche Pflegeneulinge durch die Übernahme der Pflegeverantwortung belastet sind. Auf Grundlage dieser Befunde untersucht eine dritte, webbasierte Studie (N = 485) unter Verwendung eines quasiexperi-mentellen Zugangs, ob individuelle Gewinn-Verlust-Erwartungen als Antezedenten der Pflegebereitschaft fungieren. Zuerst werden pflege-, danach beziehungsspezifische Gewinne und Verluste in den Blick genommen. Es zeigt sich, dass die Gewinn-Verlust-Dynamiken zwischen Potentiell Pflegenden, Unentschiedenen und Pflegeunwilligen differenzieren und entsprechend gruppenspezifische beziehungsregulative Bemühungen nach sich ziehen. Im Vergleich zu Pflegeun-willigen etwa fühlen sich Pflegewillige der potentiell zu pflegenden Person näher und schätzen die Beziehung als ausgewogener ein. Gleichzeitig sind sie bereit, trotz pflegebedingter Herausforderungen stärker in die Aufrechterhaltung einer wechselseitigen Beziehung zu investieren. Schließlich erweitert die vierte Studie den Blick, in dem sie den Beziehungskontext als eine der wichtigsten Rahmenbedingungen in den Fokus der Betrachtung rückt. In einer Interviewstudie mit 50 älteren, gesundheitlich beeinträchtigten Personen und ihren potentiell pflegenden (Ehe-)Partnern (N = 100) werden dyadische Aushandlungsprozesse in der Wahrnehmung des Miteinanders und der Beziehungsgestaltung untersucht. Die Ergebnisse belegen dabei die Rolle subjektiver Nähe und wahrgenommener Reziprozität als grundlegende Charakteristika im Übergang zur Pflege. Zudem verweisen sie darauf, dass bereits in frühen Phasen der Pflegekarriere erste Anpassungsprozesse stattfinden, welche die unterschiedlichen Anforderungen und Chancen der beiden Akteure widerspiegeln. Die Ergebnisse der drei empirischen Studien unterstreichen die Anwendbarkeit des Rubikon-Fristen-Modells auf den Kontext der Pflege. Die motivationspsychologische Perspektive öffnet dabei den Blick für die aktive Rolle des Individuums und bereichert dadurch die gegenwärtige Befundlage, welche häufig soziodemografische und strukturelle Aspekte stark betont. Ziel zukünftiger Forschung muss es sein, das Zusammenspiel individueller und kontextueller Dynamiken noch besser zu verstehen und darüber Rückschlüsse auf zugrundeliegende Mechanismen und Prozessen zu erhalten.

DOI
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