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Funktionelle Reorganisation der vestibulo-okulären Reflexe nach einer peripheren vestibulären Läsion: eine tierexperimentelle Studie am Frosch
Funktionelle Reorganisation der vestibulo-okulären Reflexe nach einer peripheren vestibulären Läsion: eine tierexperimentelle Studie am Frosch
Die funktionellen Konsequenzen einer synaptischen Reorganisation nach der Durchtrennung eines Astes des N. VIII (Ramus anterior – Ra) des Frosches wurden in-vivo mit natürlichen Reizen anhand von Antworten der Abduzensnerven untersucht. Durch die Läsion des Ra–Nervenastes wurden die afferenten Signale aus dem Utrikel, dem horizontalen und dem anterioren vertikalen Bogengang inaktiviert, während die Nervenfasern aus dem posterioren vertikalen Bogengang und aus der Lagena, dem vertikalen Otolithenorgan des Frosches, intakt blieben. Akut nach dieser Läsion trat im kontraläsionalen Abduzensnerven bei horizontaler Linearbeschleunigung keine Antwort mehr und bei horizontaler Rotationsbeschleunigung nur noch eine inhibitorische Antwortkomponente auf. Zwei Monate nach der Läsion traten wieder deutlich modulierte Antworten sowohl bei Linear- als auch bei Rotationsbeschleunigungen auf. Diese Erholung beruhte bei einem Teil der Tiere (10 von 20) auf einer Regeneration des Ra–Nervenastes mit einer funktionellen Reinnervierung des utrikulären Sinnesepithels. Bei einem anderen Teil der Tiere (10 von 20) stammten die Signale für die erholten Antworten aus dem Utrikel bzw. aus dem horizontalen Bogengang der intakten Seite. Diese afferenten Signale gelangten nach einer ersten Umschaltung in den vestibulären Kernen über kommissurale Fasern zu vestibulären Kernneuronen auf der ipsiläsionalen Seite. In Übereinstimmung mit den Ergebnissen von elektrophysiologischen Studien am der gleichen Tierart nach der gleichen Läsion war die kommissurale Erregung bei chronischen Ra–Tieren auf der ipsiläsionalen Seite so effizient gesteigert, dass vestibuläre Projektionsneurone aktiviert wurden. Diese Steigerung beruhte auf einer Expansion von Signalen von kommissuralen und intakten afferenten Fasern auf jene vestibuläre Neurone, die durch die Nervenläsion ihre afferente Erregung verloren hatten. Die räumliche Orientierung von Beschleunigungen, die maximale Antworten im Abduzensnerven auslösten, waren im Vergleich zu Kontrolltieren auf der kontraläsionalen aber nicht auf der ipsiläsionalen Seite verändert. Die Orientierung des Antwortvektors des kontraläsionalen Abduzensnerven für lineare Beschleunigungen war durch eine vertikale Beschleunigungskomponente charakterisiert, die im ipsiläsionalen Abduzensnerven ebenso fehlte wie bei Kontrolltieren. Signale aus den vertikalen Bogengängen lösten bei Rotationsbeschleunigungen Antworten im kontraläsionalen Abduzensnerven aus, die bei Kontrolltieren nicht zum Reflex beitrugen. Die Änderung in der Orientierung des Antwortvektors auf der kontraläsionalen Seite waren bei Tieren ohne eine funktionelle Reinnervierung der utrikulären Makula am stärksten ausgeprägt. Bei Tieren mit einer funktionellen Reinnervierung waren diese Änderungen weniger stark vorhanden. Der ipsiläsionale Abduzensnerv hingegen wich bei beiden Gruppen in seinem Antwortverhalten kaum von dem Antwortverhalten in Kontrolltieren ab. Dementsprechend sind die Antworten der beiden Abduzensnerven nicht mehr spiegelsymmetrisch organisiert und kompensatorische Augenbewegungen erfolgen nicht mehr streng konjugiert. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen unterstützen die Hypothese, wonach es nach einer peripheren Nervenläsion zu einer Ausbreitung von Signalen von intakt gebliebenen Fasern kommt. Diese Reaktion ist abhängig von der Aktivität afferenter Eingänge und im Falle einer Reinnervierung reversibel. Da eher das Überleben von einzelnen Nervenzellen als die funktionelle Erholung von Netzwerkeigenschaften im Vordergrund dieser Reaktion stehen, ist das Auftreten von z. T. unerwünschten Konsequenzen nicht überraschend. Analog zum Auftreten von Phantomempfindungen oder gar Phantomschmerzen nach der Amputation einer Extremität oder von Tinnitus nach einer lokalen cochleären Läsion, treten im Rahmen einer vestibulären Kompensation Reflexe auf, die eine inadäquate 3D–Abstimmung aufweisen. Damit zeigen die hier dargestellten Ergebnisse erstmals, dass auch im Rahmen einer vestibulären Kompensation aktivitätsabhängige synaptische Reaktionen mit teils unerwünschten Konsequenzen ablaufen. Die hier beim Frosch beschriebene postläsionale Reorganisation ist dementsprechend weder spezies- noch modalitätsspezifisch, sondern ein generelles biologisches Reaktionsprinzip.
Läsion, Reorganisation, peripher, vestibulär, Frosch
Rohregger, Martin Gregor
2005
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Rohregger, Martin Gregor (2005): Funktionelle Reorganisation der vestibulo-okulären Reflexe nach einer peripheren vestibulären Läsion: eine tierexperimentelle Studie am Frosch. Dissertation, LMU München: Medizinische Fakultät
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Abstract

Die funktionellen Konsequenzen einer synaptischen Reorganisation nach der Durchtrennung eines Astes des N. VIII (Ramus anterior – Ra) des Frosches wurden in-vivo mit natürlichen Reizen anhand von Antworten der Abduzensnerven untersucht. Durch die Läsion des Ra–Nervenastes wurden die afferenten Signale aus dem Utrikel, dem horizontalen und dem anterioren vertikalen Bogengang inaktiviert, während die Nervenfasern aus dem posterioren vertikalen Bogengang und aus der Lagena, dem vertikalen Otolithenorgan des Frosches, intakt blieben. Akut nach dieser Läsion trat im kontraläsionalen Abduzensnerven bei horizontaler Linearbeschleunigung keine Antwort mehr und bei horizontaler Rotationsbeschleunigung nur noch eine inhibitorische Antwortkomponente auf. Zwei Monate nach der Läsion traten wieder deutlich modulierte Antworten sowohl bei Linear- als auch bei Rotationsbeschleunigungen auf. Diese Erholung beruhte bei einem Teil der Tiere (10 von 20) auf einer Regeneration des Ra–Nervenastes mit einer funktionellen Reinnervierung des utrikulären Sinnesepithels. Bei einem anderen Teil der Tiere (10 von 20) stammten die Signale für die erholten Antworten aus dem Utrikel bzw. aus dem horizontalen Bogengang der intakten Seite. Diese afferenten Signale gelangten nach einer ersten Umschaltung in den vestibulären Kernen über kommissurale Fasern zu vestibulären Kernneuronen auf der ipsiläsionalen Seite. In Übereinstimmung mit den Ergebnissen von elektrophysiologischen Studien am der gleichen Tierart nach der gleichen Läsion war die kommissurale Erregung bei chronischen Ra–Tieren auf der ipsiläsionalen Seite so effizient gesteigert, dass vestibuläre Projektionsneurone aktiviert wurden. Diese Steigerung beruhte auf einer Expansion von Signalen von kommissuralen und intakten afferenten Fasern auf jene vestibuläre Neurone, die durch die Nervenläsion ihre afferente Erregung verloren hatten. Die räumliche Orientierung von Beschleunigungen, die maximale Antworten im Abduzensnerven auslösten, waren im Vergleich zu Kontrolltieren auf der kontraläsionalen aber nicht auf der ipsiläsionalen Seite verändert. Die Orientierung des Antwortvektors des kontraläsionalen Abduzensnerven für lineare Beschleunigungen war durch eine vertikale Beschleunigungskomponente charakterisiert, die im ipsiläsionalen Abduzensnerven ebenso fehlte wie bei Kontrolltieren. Signale aus den vertikalen Bogengängen lösten bei Rotationsbeschleunigungen Antworten im kontraläsionalen Abduzensnerven aus, die bei Kontrolltieren nicht zum Reflex beitrugen. Die Änderung in der Orientierung des Antwortvektors auf der kontraläsionalen Seite waren bei Tieren ohne eine funktionelle Reinnervierung der utrikulären Makula am stärksten ausgeprägt. Bei Tieren mit einer funktionellen Reinnervierung waren diese Änderungen weniger stark vorhanden. Der ipsiläsionale Abduzensnerv hingegen wich bei beiden Gruppen in seinem Antwortverhalten kaum von dem Antwortverhalten in Kontrolltieren ab. Dementsprechend sind die Antworten der beiden Abduzensnerven nicht mehr spiegelsymmetrisch organisiert und kompensatorische Augenbewegungen erfolgen nicht mehr streng konjugiert. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen unterstützen die Hypothese, wonach es nach einer peripheren Nervenläsion zu einer Ausbreitung von Signalen von intakt gebliebenen Fasern kommt. Diese Reaktion ist abhängig von der Aktivität afferenter Eingänge und im Falle einer Reinnervierung reversibel. Da eher das Überleben von einzelnen Nervenzellen als die funktionelle Erholung von Netzwerkeigenschaften im Vordergrund dieser Reaktion stehen, ist das Auftreten von z. T. unerwünschten Konsequenzen nicht überraschend. Analog zum Auftreten von Phantomempfindungen oder gar Phantomschmerzen nach der Amputation einer Extremität oder von Tinnitus nach einer lokalen cochleären Läsion, treten im Rahmen einer vestibulären Kompensation Reflexe auf, die eine inadäquate 3D–Abstimmung aufweisen. Damit zeigen die hier dargestellten Ergebnisse erstmals, dass auch im Rahmen einer vestibulären Kompensation aktivitätsabhängige synaptische Reaktionen mit teils unerwünschten Konsequenzen ablaufen. Die hier beim Frosch beschriebene postläsionale Reorganisation ist dementsprechend weder spezies- noch modalitätsspezifisch, sondern ein generelles biologisches Reaktionsprinzip.