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Intra- und periartikuläre Pathologien als Marker für die zeitliche Erfassung der Anfangsphase der Domestikation von Schaf und Ziege
Intra- und periartikuläre Pathologien als Marker für die zeitliche Erfassung der Anfangsphase der Domestikation von Schaf und Ziege
Im Mittelpunkt dieser Studie stand die Herausarbeitung eines Markers, der auf einer erstmals am Skelett von kleinen Wiederkäuern aufgezeichneten Pathologie basiert und zur Dokumentation der Frühphase des Domestikationsprozesses herangezogen werden kann. Die Pathologie - so die Hypothese - entsteht durch anthropogenen Einfluss bzw. wird in ihrem Ausmaß befördert. Bei dieser pathologischen Veränderung handelt es sich um eine Läsion, die sich im Übergangsbereich zwischen mesokopisch und makroskopisch befindet. Proximale bzw. distale Abschnitte verschiedener Elemente des Extremitätenskeletts waren Hauptbestandteil der Studie. Hierbei lag der Fokus auf der Untersuchung intra- bzw. periartikulärer Läsionen. Exemplarisch für Veränderungen, die generalisiert sowohl an den Vordergliedmaßen, als auch an den Hintergliedmaßen vorkommen, wurde der Talus, der Humerus, der Calcaneus und das Femur untersucht. Bei der Läsion handelt es sich um Veränderungen der Knochenoberfläche, die weder in der archäozoologischen, noch in der human- oder veterinärmedizinischen Literatur bislang beschrieben wurden. Die Ursachenforschung ergab ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Ätiologien. So spielen u.a. vaskulär-ischämische, nutritive, traumatische und genetische Aspekte eine Rolle. Doch auch Klauenerkrankungen und Infektionen mit Parasiten können bei der Entstehung der Läsion mit involviert sein. Der gemeinsame Nenner ist jedoch, dass erst das Halten der Tiere im anthropogenen Lebensraum die gravierenderen Formen der Läsion bedingt und zwar durch starke Einschränkung der Mobilität und durch Mängel in der Hygiene. Grundstein der Studie war die erstmalige Erstellung eines pathologischen Bewertungssystems für jeden der vier zu untersuchenden Skelettelemente in Form einer Klassifizierung mit fünf Stufen. Dieses Bewertungssystem wurde auf Schaf-, Ziegen- und Gazellenpopulationen in erster Linie aus den anatolischen Fundorten des frühen akeramischen Neolithikums sowie auf moderne Populationen von wildlebenden und domestizierten Caprinen angewandt. Aus den Ergebnissen kann geschlossen werden, dass besagte Läsionen sowohl bei freilebenden als auch bei unter menschlicher Obhut gehaltenen Individuen vorkommen. Jedoch stellt die zweithöchste Pathologiestufe (genannt Pat : 3) nachweislich den Übergang von einem physiologischen hin zu einem pathologischen Zustand dar. Ab dieser Stufe ist vermehrt mit biomechanischen Einschränkungen zu rechnen. Ein gehäuftes Auftreten der Pathologiestufe Pat : 3 sowie das Erscheinen der Stufe Pat : 4 in vorgeschichtlichen und modernen Populationen sind somit als Marker für menschliche Einflussnahme zu sehen. Freilebende Populationen können demnach eindeutig von in intensiver Gefangenschaft gehaltenen Artgenossen abgegrenzt werden. Doch auch die Unterscheidung zwischen intensiv und extensiv gehaltenen Populationen ist möglich. Denn eine signifikante Verschlechterung in den Pathologieprofilen tritt vor allem bei kleinen Hauswiederkäuern aus intensiver Haltung auf. Ist ein Gelenk von höhergradigen Läsionen betroffen, hat das auch einen negativen Einfluss auf das allgemeine Wohl der Tiere. Kommt es hingegen zu einer Optimierung der Tierhaltung mit ausreichender Möglichkeit zu physiologischer Bewegung (z.B. extensive Weidewirtschaft), so verschiebt sich die pathologische Verteilung zugunsten niedriger Werte und impliziert somit eine bessere Gelenkgesundheit, selbst wenn Läsionen der Stufe Pat : 3 und Pat : 4 in diesen Populationen weiterhin auftreten. Trotz der Verbesserung der pathologischenVerteilung kann eine extensiv gehaltene Population jedoch aufgrund letzt genannter Läsionen sowohl von einer intensiv gehaltenen als auch von einer freilebenden Population unterschieden werden. Der Talus hat sich als am besten geeignet für diese Art der Analyse herausgestellt. Das lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass dieses Skelettelement in den meisten Archäofaunen wegen seiner Kompaktheit die Lagerung im Boden gut überdauert hat und die Läsion zudem wegen ihrer Lokalisierung auf der Innenfläche in sehr vielen Fällen gut erhalten und daher gut zu beurteilen ist. Zudem erlaubt der Talus mit hoher Trennschärfe die Unterscheidung von freilebenden Schaf- und Ziegenpopulationen und intensiv gehaltenen, sowie von extensiv gehaltenen Tieren. Die Trennung gelingt weniger eindeutig beim Humerus. Die geringere Trennschärfe erklärt sich dadurch, dass die relevante Stelle an der Trochlea exponiert und demnach häufig beschädigt und nicht zu beurteilen ist. Dies gilt auch für den Calcaneus, hier kommt jedoch erschwerend hinzu, dass ganz offensichtlich neben anthropogenen auch exogene Einflüsse Läsionen der Stufe Pat : 4 hervorrufen, sogar bei Wildtieren. Die Pathologieprofile von Humerus und Calcaneus sollten somit lediglich als Stütze für die Ergebnisse am Talus herangezogen werden. Auch für das Femur konnten exogene Faktoren wahrscheinlich gemacht werden. Jedoch hat sich dieser Knochen als eigenständiger Marker erwiesen. Ein vermehrtes Auftreten der gravierenden Läsionen (Pat : 3 und Pat : 4) und eine Verschlechterung der pathologischen Verteilung ist weniger einer rein intensiven Tierhaltung mit wenig Bewegung zuzuschreiben, vielmehr kann dies als Indikator für Hygienemängel gewertet werden. Spezielles Augenmerk lag in dieser Studie auf der akeramischen Siedlung Asıklı Höyük in Zentralanatolien. Im Verlauf der etwa 1000-jährigen Besiedlungsgeschichte nahm die Bedeutung der Kleinviehhaltung enorm zu, während die Jagd gleichermaßen stark in den Hintergrund rückte. Das grundsätzliche Bild konnte bereits aus anderen archäozoologischen Kenndaten (Artenspektrum, Geschlechter- und Altersverteilung) gewonnen werden. Durch die hier etablierte Methode konnten zum einen vorhandene, mittels klassischer archäozoologischer Methoden gewonnene Ergebnisse bestätigt werden, zum anderen gelang es damit auch neue Erkenntnisse zu erlangen. So konnte sowohl das damalige Haltungssystem als auch jene Probleme, mit denen die Kleinviehhalter der ersten Stunde konfrontiert waren (z.B. kranke Tiere, Fehlgeburten und dadurch letztlich Engpässe bei der Fleischversorgung), erfasst werden. Doch auch die Maßnahmen, mit denen sie Rückschlägen erfolgreich begegneten, konnten ergründet werden. Die Ergebnisse aus Asıklı Höyük, die aus diesem innovativen methodischen Ansatz hervorgehen, fallen für Ovis und Capra unterschiedlich aus. Während beim Schaf nicht geklärt werden kann, ob die Schafhaltung mit lokalenWildschafen aus der näheren Umgebung begann oder ob die ersten Siedler bereits Hausschafe im Kulturinventar dabei hatten, kann für die Ziege hingegen postuliert werden, dass sie ausgehend von den Pathologieprofilen in den ältesten Phasen der Besiedlung unter menschlicher Obhut gestanden haben muss. Es konnte plausibel gemacht werden, dass eine viel zu dichte Haltung der Tiere unter unhygienischen Zuständen sowie eine mangelnde Bewegungsmöglichkeit auf nicht adäquatem Untergrund und erhöhte Keimbelastung zu einer Verschlechterung der Gelenkgesundheit führten. Zu leiden hatten aber nicht nur einzig und alleine die Tiere, sondern sicherlich auch die Menschen, etwa unter den bei diesen Umständen entstehenden Zoonosen. Den Siedlern muss es während der jüngeren Besiedlungsphase gelungen sein, ein Weidehaltungssystem zu etablieren, welches den Tieren durch mehr Bewegung, angemessene Ernährung und verbesserter Hygiene insgesamt zur besseren Gesundheit verhalf und sich dadurch positiv auf deren Gelenkgesundheit auswirkte. Letztlich diente das vor allem dem Menschen, da dank der gesünderen Tiere ein durchschnittlich höherer Fleischertrag und eventuell auch sogar bessere Milchgewinnung gewährleistet wurde. Des Weiteren nahm durch einen weiträumigeren Weidegang die Belastung durch Zoonosen ab und die Klauenprobleme gingen zurück. Diese Änderung im Tierhaltesystem war erfolgreich und offensichtlich dauerhaft, wie die Untersuchung der kleinen Hauswiederkäuer aus der mehr als 2000 Jahre jüngeren chalkolithischen unweit von Asıklı Höyük entfernten Siedlung in Güvercinkayası zeigte. Ähnliche Entwicklungen am Übergang vom Jäger-Sammlertum zur produzierendenWirtschaftsweise lassen sich für Südostanatolien nicht mit diesem Detailreichtum nachzeichnen. Dies liegt hauptsächlich daran, dass dort entsprechendes Faunenmaterial mit ähnlich hoher Auflösung und zeitlicher Tiefe wie in Asıklı Höyük (noch) fehlt. Die wenigen Siedlungen, wie etwa Nevalı Çori, die genau in diese Übergangsphase datieren, lieferten bislang zu wenig gut erhaltenes Material, das für eine solche Untersuchung geeignet wäre. Denn in Südostanatolien wird derzeit mit dem Faunenmaterial des Göbekli Tepe und des Gusir Höyük die Ausgangssituation (ohne Tierhaltung) erfasst und mit Siedlungen wie Mezraa-Teleilat und Gürcütepe erst wieder jene Phase, in der bereits Kleinviehhaltung und Weidewirtschaft in erheblichem Umfang praktiziert wurde und somit die Gelenkprobleme nicht mehr in herausragender Deutlichkeit auftraten. Die hier beschriebenen Läsionen stellen die unmittelbare Reaktion des Organismus auf eine Beeinträchtigung dar. Denn die menschliche Einflussnahme ruft diese Läsion noch in derselben Generation hervor. So kann postuliert werden, dass solche (peri-) artikulären Pathologien immer und überall nachgewiesen werden können, sobald die hier beschriebenen Ursachen und Begleitfaktoren auftreten. Schließlich dürften die hier vorgestellten Läsionen auch bei anderen Herbivoren unter den entsprechenden Umständen auftreten und somit auch bei diesen als Marker für den menschlichen Einfluss in anderen Domestikationsregionen, sei es Süd- bzw. Südostasien oder Südamerika, verwendet werden., The main focus of this study was the development of a novel marker on the skeleton of small ruminants. It is based on a pathology that can be used to document the early stages of the domestication process. According to the hypothesis, the pathology is created resp. aggravated by an anthropogenic influence. Thus, resulting in a lesion somewhere between mesoscopic and macroscopic. The study is composed of proximal or distal sections of several skeletal elements, which enable the examination of intra and periarticular lesions. The talus, humerus, calcaneus, and femur were examined as examples of lesions that occur on the forelimbs as well as on the hind limbs. The lesion is an alteration of the bone surface that has not yet been described in archeozoological, veterinary or human medicine literature. The analysis revealed a complex interaction of several etiologies, including among others vascular-ischemic, nutritive, traumatic, and genetic aspects. Additionally, claw diseases and parasitic infections may have been involved in the development of the lesion. However, keeping animals in an anthropogenic habitat under conditions of reduced mobility as well as deficiencies in hygiene is the common denominator, evoking the heavier forms of the lesions. The starting point was the novel development of a pathological scoring system comprised of five levels. This classification system was applied to sheep, goat, and gazelle populations, primarily from the Anatolian sites of the early Aceramic Neolithic as well as to modern populations of wild and domestic caprines. From the results, it can be concluded that the lesions occur in both wild and domestic individuals. However, the second heaviest pathology stage (Pat : 3) represents the transition from a physiological to a pathological condition. Beginning from the aforementioned pathology stage, the severity of biomechanical restrictions can be increased. In prehistoric and modern populations a higher occurrence of the pathology stage Pat : 3 and the appearance of stage Pat : 4 are thus to be seen as markers for human influence. Wild living animals can, therefore, be clearly distinguished from domestic individuals. However, differentiation between intensively and extensively kept populations is also possible. This is due to the occurrence of a significant deterioration in the pathology profiles, especially in small domestic ruminants from intensive posture. If a joint is affected by lesions of heavier stages, it also has a negative impact on the welfare of the animal as a whole. On the other hand, if animal husbandry is optimized through adequate possibility for physiological movement (e.g., extensive pasture), then the pathological distribution shifts in favor of low stages (Pat : 0 - Pat : 2). This implicates good joint health, even if Pat : 3 and Pat : 4 lesions continue to occur in these populations. Nevertheless, the presence of the two last-mentioned lesions in an extensively kept population can be used to distinguish it from both intensive and wild living populations, even if there is an improvement of the pathological distribution. The most suitable skeletal element for this type of analysis turned out to be the talus. In most archeofaunas, this skeletal element has survived the embedment in the soil very well thanks to its compactness. Furthermore, the lesion to be examined is located on the inner surface and thus well preserved and easily evaluable. In addition, the talus allows with a high degree of selectivity to distinguish between wild living sheep and goat populations and intensively as well as extensively kept animals. For the humerus, the separation is less clear. This can be explained by the fact that the relevant region on the trochlea is exposed and therefore often damaged and not evaluable. This also applies to the calcaneus, but this is compounded by the addition of exogenous factors. Along with the anthropogenic influences, they provoke lesions of stage Pat : 4 even in wild living animals. Pathology profiles of the humerus and calcaneus should therefore only be used to underline the results of the talus. Concerning the femur, exogenous factors could also play a role. However, the femur has proved to be an independent marker. An increased appearance of heavier lesions (Pat : 3 and Pat : 4) and a worsening of the pathological distribution is less ascribable to purely intensive animal husbandry with little movement, but rather considered as an indicator of hygiene deficiencies. Special attention has been paid to the Aceramic settlement Asıklı Höyük in central Anatolia. Throughout the approximately 1000 years of settlement history, the importance of small animal husbandry grew enormously while at the same time hunting likewise moved into the background. Fundamental results could already be obtained from other archeozoological methods (e.g., species diversity, sex, and age distribution). On the basis of the newly presented method, it was possible to confirm the existing results of classical archaeozoology. But more importantly, it also succeeded in obtaining completely new insights, such as in the prehistoric housing system as well as in the problems the early animal owners faced (e.g., sick animals, abort and thus shortage in the meat supply). Furthermore, it was possible to fathom the measures with which they successfully met setbacks. The results obtained in Asıklı Höyük using the innovative methodological approach differ between sheep and goat. For sheep, it is not possible to determine whether the settlers of Asıklı Höyük started husbandry practices with local wild sheep from the surrounding environment or whether they had already arrived with domestic sheep. For goats, it can be postulated that they had already been under anthropogenic influence in the oldest settlement phases. The overcrowded posture of animals under unhygienic conditions, increased bacterial load, inadequate underground as well as lacking mobility led to a deterioration in joint health. But not only did the animals have to suffer, even the humans had to deal with zoonoses arising in such circumstances. During the younger settlement phase, the settlers must have succeeded in setting up a grazing system that offered the animals increased mobility, adequate nutrition, and improved hygiene. This led to better health and thereby affected their joint health positively. In the end, this improvement in animal health primarily benefited the settlers, considering that healthier animals guarantee on average better meat income and higher milk supply. Due to the extensive pasture time, the exposure to zoonoses decreased, as well as the claw problems. This change in the animal husbandry system has been successful and long lasting, as shown by the study of the small domestic ruminants of the Chalcolithic settlement, Güvercinkayası. Similar developments in the transition from a hunter-gatherer to an agriculture society cannot be traced in detail in Southeast Anatolia, since there is a lack of a settlement with a similar history and structure as in Asıklı Höyük. The few settlements, such as Nevalı Çori, which date back to the transitional period (i.e., transition from wild living to domestic animals), have not provided enough well-preserved material. In this study, the earliest excavation sites (Göbekli Tepe and Gusir Höyük) in Southeastern Anatolia date to before the transitional period, while settlements such as Mezraa-Teleilat and Gürcütepe comprise animal populations in which grazing was already practiced. The lesion in focus represents the immediate response of the organism to an impairment; thus, the lesion is already obvious in the same generation. Therefore, it can be postulated that such (peri-)articular pathologies are always and everywhere detectable as long as the already discussed causes and factors are evident. Finally, it can be assumed that the lesion is present also in other herbivores and thus can also be used as a proxy for human interference in other regions where domestication took place, such as South resp. Southeast Asia, and South America.
Pathologie, Domestikation, Haustierhaltung, Zentralanatolien, Südostanatolien, Neolithikum, Schaf, Ziege
Zimmermann, Michaela Isabell
2019
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Zimmermann, Michaela Isabell (2019): Intra- und periartikuläre Pathologien als Marker für die zeitliche Erfassung der Anfangsphase der Domestikation von Schaf und Ziege. Dissertation, LMU München: Tierärztliche Fakultät
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Abstract

Im Mittelpunkt dieser Studie stand die Herausarbeitung eines Markers, der auf einer erstmals am Skelett von kleinen Wiederkäuern aufgezeichneten Pathologie basiert und zur Dokumentation der Frühphase des Domestikationsprozesses herangezogen werden kann. Die Pathologie - so die Hypothese - entsteht durch anthropogenen Einfluss bzw. wird in ihrem Ausmaß befördert. Bei dieser pathologischen Veränderung handelt es sich um eine Läsion, die sich im Übergangsbereich zwischen mesokopisch und makroskopisch befindet. Proximale bzw. distale Abschnitte verschiedener Elemente des Extremitätenskeletts waren Hauptbestandteil der Studie. Hierbei lag der Fokus auf der Untersuchung intra- bzw. periartikulärer Läsionen. Exemplarisch für Veränderungen, die generalisiert sowohl an den Vordergliedmaßen, als auch an den Hintergliedmaßen vorkommen, wurde der Talus, der Humerus, der Calcaneus und das Femur untersucht. Bei der Läsion handelt es sich um Veränderungen der Knochenoberfläche, die weder in der archäozoologischen, noch in der human- oder veterinärmedizinischen Literatur bislang beschrieben wurden. Die Ursachenforschung ergab ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Ätiologien. So spielen u.a. vaskulär-ischämische, nutritive, traumatische und genetische Aspekte eine Rolle. Doch auch Klauenerkrankungen und Infektionen mit Parasiten können bei der Entstehung der Läsion mit involviert sein. Der gemeinsame Nenner ist jedoch, dass erst das Halten der Tiere im anthropogenen Lebensraum die gravierenderen Formen der Läsion bedingt und zwar durch starke Einschränkung der Mobilität und durch Mängel in der Hygiene. Grundstein der Studie war die erstmalige Erstellung eines pathologischen Bewertungssystems für jeden der vier zu untersuchenden Skelettelemente in Form einer Klassifizierung mit fünf Stufen. Dieses Bewertungssystem wurde auf Schaf-, Ziegen- und Gazellenpopulationen in erster Linie aus den anatolischen Fundorten des frühen akeramischen Neolithikums sowie auf moderne Populationen von wildlebenden und domestizierten Caprinen angewandt. Aus den Ergebnissen kann geschlossen werden, dass besagte Läsionen sowohl bei freilebenden als auch bei unter menschlicher Obhut gehaltenen Individuen vorkommen. Jedoch stellt die zweithöchste Pathologiestufe (genannt Pat : 3) nachweislich den Übergang von einem physiologischen hin zu einem pathologischen Zustand dar. Ab dieser Stufe ist vermehrt mit biomechanischen Einschränkungen zu rechnen. Ein gehäuftes Auftreten der Pathologiestufe Pat : 3 sowie das Erscheinen der Stufe Pat : 4 in vorgeschichtlichen und modernen Populationen sind somit als Marker für menschliche Einflussnahme zu sehen. Freilebende Populationen können demnach eindeutig von in intensiver Gefangenschaft gehaltenen Artgenossen abgegrenzt werden. Doch auch die Unterscheidung zwischen intensiv und extensiv gehaltenen Populationen ist möglich. Denn eine signifikante Verschlechterung in den Pathologieprofilen tritt vor allem bei kleinen Hauswiederkäuern aus intensiver Haltung auf. Ist ein Gelenk von höhergradigen Läsionen betroffen, hat das auch einen negativen Einfluss auf das allgemeine Wohl der Tiere. Kommt es hingegen zu einer Optimierung der Tierhaltung mit ausreichender Möglichkeit zu physiologischer Bewegung (z.B. extensive Weidewirtschaft), so verschiebt sich die pathologische Verteilung zugunsten niedriger Werte und impliziert somit eine bessere Gelenkgesundheit, selbst wenn Läsionen der Stufe Pat : 3 und Pat : 4 in diesen Populationen weiterhin auftreten. Trotz der Verbesserung der pathologischenVerteilung kann eine extensiv gehaltene Population jedoch aufgrund letzt genannter Läsionen sowohl von einer intensiv gehaltenen als auch von einer freilebenden Population unterschieden werden. Der Talus hat sich als am besten geeignet für diese Art der Analyse herausgestellt. Das lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass dieses Skelettelement in den meisten Archäofaunen wegen seiner Kompaktheit die Lagerung im Boden gut überdauert hat und die Läsion zudem wegen ihrer Lokalisierung auf der Innenfläche in sehr vielen Fällen gut erhalten und daher gut zu beurteilen ist. Zudem erlaubt der Talus mit hoher Trennschärfe die Unterscheidung von freilebenden Schaf- und Ziegenpopulationen und intensiv gehaltenen, sowie von extensiv gehaltenen Tieren. Die Trennung gelingt weniger eindeutig beim Humerus. Die geringere Trennschärfe erklärt sich dadurch, dass die relevante Stelle an der Trochlea exponiert und demnach häufig beschädigt und nicht zu beurteilen ist. Dies gilt auch für den Calcaneus, hier kommt jedoch erschwerend hinzu, dass ganz offensichtlich neben anthropogenen auch exogene Einflüsse Läsionen der Stufe Pat : 4 hervorrufen, sogar bei Wildtieren. Die Pathologieprofile von Humerus und Calcaneus sollten somit lediglich als Stütze für die Ergebnisse am Talus herangezogen werden. Auch für das Femur konnten exogene Faktoren wahrscheinlich gemacht werden. Jedoch hat sich dieser Knochen als eigenständiger Marker erwiesen. Ein vermehrtes Auftreten der gravierenden Läsionen (Pat : 3 und Pat : 4) und eine Verschlechterung der pathologischen Verteilung ist weniger einer rein intensiven Tierhaltung mit wenig Bewegung zuzuschreiben, vielmehr kann dies als Indikator für Hygienemängel gewertet werden. Spezielles Augenmerk lag in dieser Studie auf der akeramischen Siedlung Asıklı Höyük in Zentralanatolien. Im Verlauf der etwa 1000-jährigen Besiedlungsgeschichte nahm die Bedeutung der Kleinviehhaltung enorm zu, während die Jagd gleichermaßen stark in den Hintergrund rückte. Das grundsätzliche Bild konnte bereits aus anderen archäozoologischen Kenndaten (Artenspektrum, Geschlechter- und Altersverteilung) gewonnen werden. Durch die hier etablierte Methode konnten zum einen vorhandene, mittels klassischer archäozoologischer Methoden gewonnene Ergebnisse bestätigt werden, zum anderen gelang es damit auch neue Erkenntnisse zu erlangen. So konnte sowohl das damalige Haltungssystem als auch jene Probleme, mit denen die Kleinviehhalter der ersten Stunde konfrontiert waren (z.B. kranke Tiere, Fehlgeburten und dadurch letztlich Engpässe bei der Fleischversorgung), erfasst werden. Doch auch die Maßnahmen, mit denen sie Rückschlägen erfolgreich begegneten, konnten ergründet werden. Die Ergebnisse aus Asıklı Höyük, die aus diesem innovativen methodischen Ansatz hervorgehen, fallen für Ovis und Capra unterschiedlich aus. Während beim Schaf nicht geklärt werden kann, ob die Schafhaltung mit lokalenWildschafen aus der näheren Umgebung begann oder ob die ersten Siedler bereits Hausschafe im Kulturinventar dabei hatten, kann für die Ziege hingegen postuliert werden, dass sie ausgehend von den Pathologieprofilen in den ältesten Phasen der Besiedlung unter menschlicher Obhut gestanden haben muss. Es konnte plausibel gemacht werden, dass eine viel zu dichte Haltung der Tiere unter unhygienischen Zuständen sowie eine mangelnde Bewegungsmöglichkeit auf nicht adäquatem Untergrund und erhöhte Keimbelastung zu einer Verschlechterung der Gelenkgesundheit führten. Zu leiden hatten aber nicht nur einzig und alleine die Tiere, sondern sicherlich auch die Menschen, etwa unter den bei diesen Umständen entstehenden Zoonosen. Den Siedlern muss es während der jüngeren Besiedlungsphase gelungen sein, ein Weidehaltungssystem zu etablieren, welches den Tieren durch mehr Bewegung, angemessene Ernährung und verbesserter Hygiene insgesamt zur besseren Gesundheit verhalf und sich dadurch positiv auf deren Gelenkgesundheit auswirkte. Letztlich diente das vor allem dem Menschen, da dank der gesünderen Tiere ein durchschnittlich höherer Fleischertrag und eventuell auch sogar bessere Milchgewinnung gewährleistet wurde. Des Weiteren nahm durch einen weiträumigeren Weidegang die Belastung durch Zoonosen ab und die Klauenprobleme gingen zurück. Diese Änderung im Tierhaltesystem war erfolgreich und offensichtlich dauerhaft, wie die Untersuchung der kleinen Hauswiederkäuer aus der mehr als 2000 Jahre jüngeren chalkolithischen unweit von Asıklı Höyük entfernten Siedlung in Güvercinkayası zeigte. Ähnliche Entwicklungen am Übergang vom Jäger-Sammlertum zur produzierendenWirtschaftsweise lassen sich für Südostanatolien nicht mit diesem Detailreichtum nachzeichnen. Dies liegt hauptsächlich daran, dass dort entsprechendes Faunenmaterial mit ähnlich hoher Auflösung und zeitlicher Tiefe wie in Asıklı Höyük (noch) fehlt. Die wenigen Siedlungen, wie etwa Nevalı Çori, die genau in diese Übergangsphase datieren, lieferten bislang zu wenig gut erhaltenes Material, das für eine solche Untersuchung geeignet wäre. Denn in Südostanatolien wird derzeit mit dem Faunenmaterial des Göbekli Tepe und des Gusir Höyük die Ausgangssituation (ohne Tierhaltung) erfasst und mit Siedlungen wie Mezraa-Teleilat und Gürcütepe erst wieder jene Phase, in der bereits Kleinviehhaltung und Weidewirtschaft in erheblichem Umfang praktiziert wurde und somit die Gelenkprobleme nicht mehr in herausragender Deutlichkeit auftraten. Die hier beschriebenen Läsionen stellen die unmittelbare Reaktion des Organismus auf eine Beeinträchtigung dar. Denn die menschliche Einflussnahme ruft diese Läsion noch in derselben Generation hervor. So kann postuliert werden, dass solche (peri-) artikulären Pathologien immer und überall nachgewiesen werden können, sobald die hier beschriebenen Ursachen und Begleitfaktoren auftreten. Schließlich dürften die hier vorgestellten Läsionen auch bei anderen Herbivoren unter den entsprechenden Umständen auftreten und somit auch bei diesen als Marker für den menschlichen Einfluss in anderen Domestikationsregionen, sei es Süd- bzw. Südostasien oder Südamerika, verwendet werden.

Abstract

The main focus of this study was the development of a novel marker on the skeleton of small ruminants. It is based on a pathology that can be used to document the early stages of the domestication process. According to the hypothesis, the pathology is created resp. aggravated by an anthropogenic influence. Thus, resulting in a lesion somewhere between mesoscopic and macroscopic. The study is composed of proximal or distal sections of several skeletal elements, which enable the examination of intra and periarticular lesions. The talus, humerus, calcaneus, and femur were examined as examples of lesions that occur on the forelimbs as well as on the hind limbs. The lesion is an alteration of the bone surface that has not yet been described in archeozoological, veterinary or human medicine literature. The analysis revealed a complex interaction of several etiologies, including among others vascular-ischemic, nutritive, traumatic, and genetic aspects. Additionally, claw diseases and parasitic infections may have been involved in the development of the lesion. However, keeping animals in an anthropogenic habitat under conditions of reduced mobility as well as deficiencies in hygiene is the common denominator, evoking the heavier forms of the lesions. The starting point was the novel development of a pathological scoring system comprised of five levels. This classification system was applied to sheep, goat, and gazelle populations, primarily from the Anatolian sites of the early Aceramic Neolithic as well as to modern populations of wild and domestic caprines. From the results, it can be concluded that the lesions occur in both wild and domestic individuals. However, the second heaviest pathology stage (Pat : 3) represents the transition from a physiological to a pathological condition. Beginning from the aforementioned pathology stage, the severity of biomechanical restrictions can be increased. In prehistoric and modern populations a higher occurrence of the pathology stage Pat : 3 and the appearance of stage Pat : 4 are thus to be seen as markers for human influence. Wild living animals can, therefore, be clearly distinguished from domestic individuals. However, differentiation between intensively and extensively kept populations is also possible. This is due to the occurrence of a significant deterioration in the pathology profiles, especially in small domestic ruminants from intensive posture. If a joint is affected by lesions of heavier stages, it also has a negative impact on the welfare of the animal as a whole. On the other hand, if animal husbandry is optimized through adequate possibility for physiological movement (e.g., extensive pasture), then the pathological distribution shifts in favor of low stages (Pat : 0 - Pat : 2). This implicates good joint health, even if Pat : 3 and Pat : 4 lesions continue to occur in these populations. Nevertheless, the presence of the two last-mentioned lesions in an extensively kept population can be used to distinguish it from both intensive and wild living populations, even if there is an improvement of the pathological distribution. The most suitable skeletal element for this type of analysis turned out to be the talus. In most archeofaunas, this skeletal element has survived the embedment in the soil very well thanks to its compactness. Furthermore, the lesion to be examined is located on the inner surface and thus well preserved and easily evaluable. In addition, the talus allows with a high degree of selectivity to distinguish between wild living sheep and goat populations and intensively as well as extensively kept animals. For the humerus, the separation is less clear. This can be explained by the fact that the relevant region on the trochlea is exposed and therefore often damaged and not evaluable. This also applies to the calcaneus, but this is compounded by the addition of exogenous factors. Along with the anthropogenic influences, they provoke lesions of stage Pat : 4 even in wild living animals. Pathology profiles of the humerus and calcaneus should therefore only be used to underline the results of the talus. Concerning the femur, exogenous factors could also play a role. However, the femur has proved to be an independent marker. An increased appearance of heavier lesions (Pat : 3 and Pat : 4) and a worsening of the pathological distribution is less ascribable to purely intensive animal husbandry with little movement, but rather considered as an indicator of hygiene deficiencies. Special attention has been paid to the Aceramic settlement Asıklı Höyük in central Anatolia. Throughout the approximately 1000 years of settlement history, the importance of small animal husbandry grew enormously while at the same time hunting likewise moved into the background. Fundamental results could already be obtained from other archeozoological methods (e.g., species diversity, sex, and age distribution). On the basis of the newly presented method, it was possible to confirm the existing results of classical archaeozoology. But more importantly, it also succeeded in obtaining completely new insights, such as in the prehistoric housing system as well as in the problems the early animal owners faced (e.g., sick animals, abort and thus shortage in the meat supply). Furthermore, it was possible to fathom the measures with which they successfully met setbacks. The results obtained in Asıklı Höyük using the innovative methodological approach differ between sheep and goat. For sheep, it is not possible to determine whether the settlers of Asıklı Höyük started husbandry practices with local wild sheep from the surrounding environment or whether they had already arrived with domestic sheep. For goats, it can be postulated that they had already been under anthropogenic influence in the oldest settlement phases. The overcrowded posture of animals under unhygienic conditions, increased bacterial load, inadequate underground as well as lacking mobility led to a deterioration in joint health. But not only did the animals have to suffer, even the humans had to deal with zoonoses arising in such circumstances. During the younger settlement phase, the settlers must have succeeded in setting up a grazing system that offered the animals increased mobility, adequate nutrition, and improved hygiene. This led to better health and thereby affected their joint health positively. In the end, this improvement in animal health primarily benefited the settlers, considering that healthier animals guarantee on average better meat income and higher milk supply. Due to the extensive pasture time, the exposure to zoonoses decreased, as well as the claw problems. This change in the animal husbandry system has been successful and long lasting, as shown by the study of the small domestic ruminants of the Chalcolithic settlement, Güvercinkayası. Similar developments in the transition from a hunter-gatherer to an agriculture society cannot be traced in detail in Southeast Anatolia, since there is a lack of a settlement with a similar history and structure as in Asıklı Höyük. The few settlements, such as Nevalı Çori, which date back to the transitional period (i.e., transition from wild living to domestic animals), have not provided enough well-preserved material. In this study, the earliest excavation sites (Göbekli Tepe and Gusir Höyük) in Southeastern Anatolia date to before the transitional period, while settlements such as Mezraa-Teleilat and Gürcütepe comprise animal populations in which grazing was already practiced. The lesion in focus represents the immediate response of the organism to an impairment; thus, the lesion is already obvious in the same generation. Therefore, it can be postulated that such (peri-)articular pathologies are always and everywhere detectable as long as the already discussed causes and factors are evident. Finally, it can be assumed that the lesion is present also in other herbivores and thus can also be used as a proxy for human interference in other regions where domestication took place, such as South resp. Southeast Asia, and South America.