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Zwang durch Freiheit. über den Todestrieb der praktischen Vernunft
Zwang durch Freiheit. über den Todestrieb der praktischen Vernunft
Zwangsneurotiker haben ein überzogenes Verantwortungsgefühl, oder sie überbewerten die Kraft ihrer Gedanken. Diese und weitere Phänomene listet die aktuelle Forschung in Psychologie, Psychiatrie sowie Medizin auf und kategorisiert sie. Es werden zwar die biophysiologischen sowie die verhaltenstheoretischen Grundlagen erforscht, doch die anthropologisch-philosophischen bleiben ungeklärt. Angesichts der Ubiquität und Vieldeutigkeit von Zwangsneurosen ist eine philosophisch-psychoanalytische Begründung angebracht und das Ziel ist, eine interdisziplinäre Theorie der Zwangsneurose zu erbringen. Zuerst wird der aktuelle Forschungsstand der Psychologie, Psychiatrie sowie Medizin dargestellt. Es folgt eine kleine Einführung in die Geschichte der Zwangsneurose. Die dritte Perspektive führt in den Begriff des Mythos ein. Hier erfolgt eine erste Hinführung zur Anthropologie. Im letzten Abschnitt „Die Zwangsneurose aus philosophischer Perspektive“ wird dieser Aspekt wieder aufgenommen und vertieft. Da Zwangsneurotiker den Stoff ihrer „dysfunktionalen Überzeugungen“ nicht selten aus den Mythen entnehmen, ist eine Einführung in die Funktion der Mythen geboten. Anschließend, in einer vierten Perspektive, wird der Begriffsapparat der Freudschen Theorie erklärt, sofern sie dem Verständnis der Zwangsneurose dient. Die Fallbeschreibungen der zwei berühmten Zwangspatienten Freuds, Rattenmann sowie Wolfsmann, sollen im nächsten Schritt, die Theorie mit Leben füllen. Der Begriff Freiheit wird im darauffolgenden sechsten Abschnitt erklärt. Dieser Abschnitt hat den kantischen Freiheitsbegriff im Fokus. Der letzte Abschnitt stellt den Kern dieser Schrift dar und trägt den Titel: „Die Zwangsneurose aus philosophischer Perspektive“. Die Leitfrage: Begünstigt praktische Vernunft die Entstehung von Zwangsneurosen und hat sie etwas an sich, das den Zwangskranken in dieser Neurose hält? Beim moralischen Wert einer Handlung komme es nicht drauf an, was man sieht, sondern auf innere Prinzipien derselben, die man nicht sehe. Haben die Handlungen eines Zwangsneurotikers einen moralischen Wert? Wieviel Freiheit steckt in Zwangshandlungen? Was zeichnet Zwangshandlungen aus? Sind sie abergläubische Reproduktionen aus dem Stoff der Ahnenzeit oder greifen sie aus dem Material eines höheren Sinns? Mit Rekurs auf Freuds und Kants Theorien ist das Ergebnis folgendes: In der Zwangsneurose gehen Vernunft und Todestriebe eine unheilvolle Verbindung ein. Zum Beispiel ist der Wiederholungszwang ausgelöst von einem Trauma in der Kindheit. Dabei lösen sich die Todestriebe vom Eros und Beide verfolgen ihre Ziele auf je eigenem Weg. Das Wirken des Todestriebes führt zu den bekannten Wiederholungszwängen der Zwangsneurotiker. Die Angst, die vor dem unbewusst gebliebenen Grund des Traumas wirkt, wird mittels abergläubischen Riten beschwichtigt, die die Angst lindern und zugleich verstärken und daher wiederholt werden müssen. In den Riten wirkt ein problematischer Imperativ. Ein anderer Aspekt der Verbindung Todestriebe mit Vernunft ist das, der Grausamkeit. Der sadistische Todestrieb traktiert das nichtsahnende Ich und treibt es in die Angst. Die Vernunft wird zu rationalisieren versuchen, und mit einem starken Schuldgefühl reagieren. Dabei wird eine Verbindung von Schuld und Vergehen hergestellt, die sich in Sühneleistungen und Vorkehrungen verliert oder, wenn eine allwissende mithin grausame Macht vorgestellt wird, sie zu beschwichtigen versucht. So können wir von der Antinomie des Zwangsneurotikers sprechen: Entweder wird die Zeit durch wiederholende Schöpfung annulliert oder es gibt ein Jenseits. Entweder können wir an der Schöpfung durch Wiederholung teilhaben oder es gibt einen allmächtigen Gott. Die Tragik der Freiheit ist zugleich die Tragik des Zwangsneurotikers.
Vernunftkritik Psychoanalyse Freud Kant Todestrieb
Machnik-Kiss, Angelika
2017
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Machnik-Kiss, Angelika (2017): Zwang durch Freiheit: über den Todestrieb der praktischen Vernunft. Dissertation, LMU München: Sozialwissenschaftliche Fakultät
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Abstract

Zwangsneurotiker haben ein überzogenes Verantwortungsgefühl, oder sie überbewerten die Kraft ihrer Gedanken. Diese und weitere Phänomene listet die aktuelle Forschung in Psychologie, Psychiatrie sowie Medizin auf und kategorisiert sie. Es werden zwar die biophysiologischen sowie die verhaltenstheoretischen Grundlagen erforscht, doch die anthropologisch-philosophischen bleiben ungeklärt. Angesichts der Ubiquität und Vieldeutigkeit von Zwangsneurosen ist eine philosophisch-psychoanalytische Begründung angebracht und das Ziel ist, eine interdisziplinäre Theorie der Zwangsneurose zu erbringen. Zuerst wird der aktuelle Forschungsstand der Psychologie, Psychiatrie sowie Medizin dargestellt. Es folgt eine kleine Einführung in die Geschichte der Zwangsneurose. Die dritte Perspektive führt in den Begriff des Mythos ein. Hier erfolgt eine erste Hinführung zur Anthropologie. Im letzten Abschnitt „Die Zwangsneurose aus philosophischer Perspektive“ wird dieser Aspekt wieder aufgenommen und vertieft. Da Zwangsneurotiker den Stoff ihrer „dysfunktionalen Überzeugungen“ nicht selten aus den Mythen entnehmen, ist eine Einführung in die Funktion der Mythen geboten. Anschließend, in einer vierten Perspektive, wird der Begriffsapparat der Freudschen Theorie erklärt, sofern sie dem Verständnis der Zwangsneurose dient. Die Fallbeschreibungen der zwei berühmten Zwangspatienten Freuds, Rattenmann sowie Wolfsmann, sollen im nächsten Schritt, die Theorie mit Leben füllen. Der Begriff Freiheit wird im darauffolgenden sechsten Abschnitt erklärt. Dieser Abschnitt hat den kantischen Freiheitsbegriff im Fokus. Der letzte Abschnitt stellt den Kern dieser Schrift dar und trägt den Titel: „Die Zwangsneurose aus philosophischer Perspektive“. Die Leitfrage: Begünstigt praktische Vernunft die Entstehung von Zwangsneurosen und hat sie etwas an sich, das den Zwangskranken in dieser Neurose hält? Beim moralischen Wert einer Handlung komme es nicht drauf an, was man sieht, sondern auf innere Prinzipien derselben, die man nicht sehe. Haben die Handlungen eines Zwangsneurotikers einen moralischen Wert? Wieviel Freiheit steckt in Zwangshandlungen? Was zeichnet Zwangshandlungen aus? Sind sie abergläubische Reproduktionen aus dem Stoff der Ahnenzeit oder greifen sie aus dem Material eines höheren Sinns? Mit Rekurs auf Freuds und Kants Theorien ist das Ergebnis folgendes: In der Zwangsneurose gehen Vernunft und Todestriebe eine unheilvolle Verbindung ein. Zum Beispiel ist der Wiederholungszwang ausgelöst von einem Trauma in der Kindheit. Dabei lösen sich die Todestriebe vom Eros und Beide verfolgen ihre Ziele auf je eigenem Weg. Das Wirken des Todestriebes führt zu den bekannten Wiederholungszwängen der Zwangsneurotiker. Die Angst, die vor dem unbewusst gebliebenen Grund des Traumas wirkt, wird mittels abergläubischen Riten beschwichtigt, die die Angst lindern und zugleich verstärken und daher wiederholt werden müssen. In den Riten wirkt ein problematischer Imperativ. Ein anderer Aspekt der Verbindung Todestriebe mit Vernunft ist das, der Grausamkeit. Der sadistische Todestrieb traktiert das nichtsahnende Ich und treibt es in die Angst. Die Vernunft wird zu rationalisieren versuchen, und mit einem starken Schuldgefühl reagieren. Dabei wird eine Verbindung von Schuld und Vergehen hergestellt, die sich in Sühneleistungen und Vorkehrungen verliert oder, wenn eine allwissende mithin grausame Macht vorgestellt wird, sie zu beschwichtigen versucht. So können wir von der Antinomie des Zwangsneurotikers sprechen: Entweder wird die Zeit durch wiederholende Schöpfung annulliert oder es gibt ein Jenseits. Entweder können wir an der Schöpfung durch Wiederholung teilhaben oder es gibt einen allmächtigen Gott. Die Tragik der Freiheit ist zugleich die Tragik des Zwangsneurotikers.