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Die Ausprägung dysfunktionaler Verhaltensweisen von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in Abhängigkeit von depressiver Symptomatik
Die Ausprägung dysfunktionaler Verhaltensweisen von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in Abhängigkeit von depressiver Symptomatik
Ziel dieser Arbeit war es, die Borderline-Störung auf unterschiedliche Ausprägungsformen dysfunktionaler Verhaltensweisen hin zu untersuchen, wobei hier der Schweregrad einer vorhandenen Depressivität als abhängige Variable herangezogen wurde. Die zu überprüfende Hypothese war, dass sich bei stärker ausgeprägter depressiver Symptomatik die für Borderline typischen autodestruktiven Verhaltensweisen, ebenso wie ihre Motivationen, eher auf dem passiven Organisationsniveau depressiver Patienten bewegen und sich dabei in einer Form der Passivität manifestieren, die sich angesichts des herkömmlichen Verständnisses der Borderline-Pathologie häufig dem therapeutischen Arbeitsprozess entzieht. Wir interpretierten diese Passivität als unbewusste Reinszenierung eines frühen Bindungstraumas, worauf hin die Eruierung früherer Traumata erfolgte, deren Ergebnisse auf das Bestehen einer Korrelation mit der aktuellen Ausprägung depressiver Symptomatik geprüft wurde., 32 stationär und ambulant behandelte Borderline-Patienten nahmen an der Studie teil. Anhand eines von uns eigens konstruierten Fragebogens wurden diverse dysfunktionale Verhaltensweisen abgefragt, die wiederum in vier Untergruppen eingeordnet wurden: - Aktives dysfunktionales Verhalten (Ritzen, Rauschmittelkonsum, Essstörungen) - passives dysfunktionales Verhalten (Eigenvernachlässigung, Isolation) - aktives dysfunktionales Verhalten in Interaktion mit Dritten (Tätlichkeiten, Streitereien) - passives Verhalten in Interaktion mit Dritten (devotes Verhalten, Zulassen von Grenzüberschreitungen) Des Weiteren wurden Patienten dazu angehalten, ihre Motivationen für dysfunktionale Verhaltensweisen frei zu formulieren. So war es möglich, die jeweiligen Anlässe entsprechenden Untergruppen zuzuschreiben: - Verhaltensweisen, die aus Gründen der Affektregulation auftraten (Druckabbau, depressive Verstimmungen) - Verhaltensweisen, deren Ursache im Selbstkonzept zu finden ist (Selbsthass, Selbstabwertung) - Verhaltensweisen, die aus Gründen der zwischenmenschlichen Interaktion auftraten (Verlustsängste, Abhängigkeitsverhältnisse) Die depressive Symptomatik wurde mittels Hamilton Depression Rating Scale (HAMD) eruiert. Die Schwere erlittener Kindheitstraumata wurde anhand des CTQs bestimmt., Das allgemeine Verteilungsmuster dysfunktionaler Verhaltensweisen ließ ein Überwiegen der passiven dysfunktionalen Verhaltensweisen gegenüber den aktiven dysfunktionalen Verhaltensweisen erkennen. Im Speziellen wurden 51,9% der abgefragten passiven dysfunktionalen Verhaltensweisen bejaht, wobei die Gründe dafür vornehmlich im Selbstkonzept zu finden waren. Etwas höher lagen die Ergebnisse bezüglich der passiven dysfunktionalen Verhaltensweisen in Interaktion mit Dritten, hier wurden 58,3% der Items von Patienten bejaht. Die entsprechenden Motivationen entspringen größendimensionsähnlich sowohl Gründen des Selbstkonzepts als auch denen der zwischenmenschlichen Interaktion. Die Items zu aktivem dysfunktionalem Verhalten wurden zu 49,2% von den Probanden bejaht, wobei derartiges Handeln meist als Versuch einer Affektregulation verstanden werden konnte, aber auch dem Selbstkonzept entsprungene Beweggründe waren in bemerkenswerten Maße zu verzeichnen. Items zu aktiver Selbstschädigung mit Dritten wurden lediglich zu 21% bejaht; auch hier zumeist aus Gründen der Affektregulation. Wohingegen aktive dysfunktionale Verhaltensweisen bei allen Patienten gleichmäßig auftraten, zeigte sich, dass bei Borderline-Patienten die Ausprägung von passiven dysfunktionalen Verhaltensweisen mit der Schwere der Depressivität korreliert. Vor allem die Überprüfung eines Zusammenhangs zwischen dysfunktionalem Verhalten in Interaktion mit Dritten und der Schwere der Depression ergab ein signifikantes Ergebnis (p=0,02). Dieses bestätigt die Hypothese einer unterschiedlichen Ausprägung der Borderline-Symptomatik angesichts einer komorbiden Depression., Berücksichtigt man einerseits, dass passives dysfunktionales Verhalten stark dem Verhalten von Kindern ähnelt, die Opfer eines missbräuchlichen Abhängigkeitsverhältnis waren und andererseits, dass eben diese Missbrauchserfahrungen übermäßig häufig in der Anamnese der Borderline-Betroffenen zu finden sind, kann man hier auch die Hypothese bezüglich eines Fortdauerns der invalidierenden Täter-Opfer-Beziehung gefestigt sehen. Allerdings spielt nicht so sehr die Form des erlittenen Missbrauchs eine Rolle als vielmehr die Beziehungsebene, auf der dieser stattfand., Fazit: Der Borderline-Störung lässt sich kein homogener oder rigider Phänotyp zuordnen, selbst bei augenscheinlicher Gleichheit der äußeren Symptomatik differieren die inneren Beweggründe, deren Aufdeckung und Unterscheidung für die Behandlung der Kernproblematik unumgänglich ist. Zusätzliche Faktoren, die in der nicht selten von Vorurteilen geprägten Standarddiagnose gerne übersehen werden, bestimmen weit mehr die individuelle Ausprägung dieser zunehmend verbreiteten vielschichtigen Persönlichkeitsstörung, als bisher angenommen wurde. Neben der hier im Fokus stehenden Depressivität schlagen wir die Untersuchung weiterer möglicher Einflussgrößen vor, wie individuelle Resilienz, spezifische Persönlichkeitsmerkmale oder Besonderheiten in der Gewichtung von Komorbiditäten. Dies ließe eine präzisere Unterdifferenzierung dieser in ihrer Pathologie komplexen Störung zu und mit ihr die Möglichkeit, sie individueller und damit effizienter zu behandeln.
Borderline-Störung, dysfunktionale Verhaltensweisen, Depressive Symptomatik, Trauma,
Holzamer, Eva Sophia
2015
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Holzamer, Eva Sophia (2015): Die Ausprägung dysfunktionaler Verhaltensweisen von Patienten mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung in Abhängigkeit von depressiver Symptomatik. Dissertation, LMU München: Medizinische Fakultät
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Abstract

Ziel dieser Arbeit war es, die Borderline-Störung auf unterschiedliche Ausprägungsformen dysfunktionaler Verhaltensweisen hin zu untersuchen, wobei hier der Schweregrad einer vorhandenen Depressivität als abhängige Variable herangezogen wurde. Die zu überprüfende Hypothese war, dass sich bei stärker ausgeprägter depressiver Symptomatik die für Borderline typischen autodestruktiven Verhaltensweisen, ebenso wie ihre Motivationen, eher auf dem passiven Organisationsniveau depressiver Patienten bewegen und sich dabei in einer Form der Passivität manifestieren, die sich angesichts des herkömmlichen Verständnisses der Borderline-Pathologie häufig dem therapeutischen Arbeitsprozess entzieht. Wir interpretierten diese Passivität als unbewusste Reinszenierung eines frühen Bindungstraumas, worauf hin die Eruierung früherer Traumata erfolgte, deren Ergebnisse auf das Bestehen einer Korrelation mit der aktuellen Ausprägung depressiver Symptomatik geprüft wurde.

Abstract

32 stationär und ambulant behandelte Borderline-Patienten nahmen an der Studie teil. Anhand eines von uns eigens konstruierten Fragebogens wurden diverse dysfunktionale Verhaltensweisen abgefragt, die wiederum in vier Untergruppen eingeordnet wurden: - Aktives dysfunktionales Verhalten (Ritzen, Rauschmittelkonsum, Essstörungen) - passives dysfunktionales Verhalten (Eigenvernachlässigung, Isolation) - aktives dysfunktionales Verhalten in Interaktion mit Dritten (Tätlichkeiten, Streitereien) - passives Verhalten in Interaktion mit Dritten (devotes Verhalten, Zulassen von Grenzüberschreitungen) Des Weiteren wurden Patienten dazu angehalten, ihre Motivationen für dysfunktionale Verhaltensweisen frei zu formulieren. So war es möglich, die jeweiligen Anlässe entsprechenden Untergruppen zuzuschreiben: - Verhaltensweisen, die aus Gründen der Affektregulation auftraten (Druckabbau, depressive Verstimmungen) - Verhaltensweisen, deren Ursache im Selbstkonzept zu finden ist (Selbsthass, Selbstabwertung) - Verhaltensweisen, die aus Gründen der zwischenmenschlichen Interaktion auftraten (Verlustsängste, Abhängigkeitsverhältnisse) Die depressive Symptomatik wurde mittels Hamilton Depression Rating Scale (HAMD) eruiert. Die Schwere erlittener Kindheitstraumata wurde anhand des CTQs bestimmt.

Abstract

Das allgemeine Verteilungsmuster dysfunktionaler Verhaltensweisen ließ ein Überwiegen der passiven dysfunktionalen Verhaltensweisen gegenüber den aktiven dysfunktionalen Verhaltensweisen erkennen. Im Speziellen wurden 51,9% der abgefragten passiven dysfunktionalen Verhaltensweisen bejaht, wobei die Gründe dafür vornehmlich im Selbstkonzept zu finden waren. Etwas höher lagen die Ergebnisse bezüglich der passiven dysfunktionalen Verhaltensweisen in Interaktion mit Dritten, hier wurden 58,3% der Items von Patienten bejaht. Die entsprechenden Motivationen entspringen größendimensionsähnlich sowohl Gründen des Selbstkonzepts als auch denen der zwischenmenschlichen Interaktion. Die Items zu aktivem dysfunktionalem Verhalten wurden zu 49,2% von den Probanden bejaht, wobei derartiges Handeln meist als Versuch einer Affektregulation verstanden werden konnte, aber auch dem Selbstkonzept entsprungene Beweggründe waren in bemerkenswerten Maße zu verzeichnen. Items zu aktiver Selbstschädigung mit Dritten wurden lediglich zu 21% bejaht; auch hier zumeist aus Gründen der Affektregulation. Wohingegen aktive dysfunktionale Verhaltensweisen bei allen Patienten gleichmäßig auftraten, zeigte sich, dass bei Borderline-Patienten die Ausprägung von passiven dysfunktionalen Verhaltensweisen mit der Schwere der Depressivität korreliert. Vor allem die Überprüfung eines Zusammenhangs zwischen dysfunktionalem Verhalten in Interaktion mit Dritten und der Schwere der Depression ergab ein signifikantes Ergebnis (p=0,02). Dieses bestätigt die Hypothese einer unterschiedlichen Ausprägung der Borderline-Symptomatik angesichts einer komorbiden Depression.

Abstract

Berücksichtigt man einerseits, dass passives dysfunktionales Verhalten stark dem Verhalten von Kindern ähnelt, die Opfer eines missbräuchlichen Abhängigkeitsverhältnis waren und andererseits, dass eben diese Missbrauchserfahrungen übermäßig häufig in der Anamnese der Borderline-Betroffenen zu finden sind, kann man hier auch die Hypothese bezüglich eines Fortdauerns der invalidierenden Täter-Opfer-Beziehung gefestigt sehen. Allerdings spielt nicht so sehr die Form des erlittenen Missbrauchs eine Rolle als vielmehr die Beziehungsebene, auf der dieser stattfand.

Abstract

Fazit: Der Borderline-Störung lässt sich kein homogener oder rigider Phänotyp zuordnen, selbst bei augenscheinlicher Gleichheit der äußeren Symptomatik differieren die inneren Beweggründe, deren Aufdeckung und Unterscheidung für die Behandlung der Kernproblematik unumgänglich ist. Zusätzliche Faktoren, die in der nicht selten von Vorurteilen geprägten Standarddiagnose gerne übersehen werden, bestimmen weit mehr die individuelle Ausprägung dieser zunehmend verbreiteten vielschichtigen Persönlichkeitsstörung, als bisher angenommen wurde. Neben der hier im Fokus stehenden Depressivität schlagen wir die Untersuchung weiterer möglicher Einflussgrößen vor, wie individuelle Resilienz, spezifische Persönlichkeitsmerkmale oder Besonderheiten in der Gewichtung von Komorbiditäten. Dies ließe eine präzisere Unterdifferenzierung dieser in ihrer Pathologie komplexen Störung zu und mit ihr die Möglichkeit, sie individueller und damit effizienter zu behandeln.