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Der Plötzliche Säuglingstod. Untersuchungen eigener Fälle am Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität zu München aus den Jahren 1999 bis 2001
Der Plötzliche Säuglingstod. Untersuchungen eigener Fälle am Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität zu München aus den Jahren 1999 bis 2001
Im Rahmen der multizentrischen BMBF-Studie „Plötzlicher Säuglingstod“ (Leitung Westfälische Wilhelms-Universität Münster) wurden in den Jahren 1999 bis 2001 am Münchener Institut für Rechtsmedizin 93 verstorbene Säuglinge staatsanwaltschaftlich obduziert. 80 der Kinder konnten in die Studie eingeschlossen werden. Von allen Säuglingen wurden epidemiologische Daten erhoben und eine rechtsmedizinische Obduktion wurde durchgeführt. Weiter wurden eine bakteriologische, virologische und toxikologische Untersuchung sowie eine Serumethanolbestimmung und eine Begleitstoffanalyse durchgeführt. Aus im Rahmen der Obduktion entnommenen Gewebsproben wurden umfangreiche histologische Untersuchungen anhand von 80 Präparaten aus 39 verschiedenen Organen bzw. Körperregionen durchgeführt. Nach Abschluß sämtlicher Untersuchungen wurden die Kinder im Rahmen einer „Fallbesprechung“ einer von der Studienzentrale vorgegebene Kategorie von 1 bis 4 zugeordnet, wobei die Kategorien eins und zwei die sog. SIDS (=Sudden Infant Death Syndrome)-Fälle umfaßten, die Kategorien drei und vier die Kinder mit aufgedeckter wahrscheinlicher oder sicherer anderer Todesursache. Die durchgeführten Untersuchungen erbrachten folgende Ergebnisse: Die epidemiologischen Daten wie Alter, Geschlecht, Auffindesituation etc. der verstorbenen Säugling standen weitestgehend mit den in der internationalen Literatur publizierten Daten in Einklang, wobei es nach wie vor für diese „SIDS-typischen“ Verteilungsmuster keine ausreichende Erklärung gibt. Die histologischen Untersuchungen erwiesen sich als sehr bedeutend, was die Feststellung der Todesursache anging. Es konnten bei einem Viertel der Kinder leichte bis schwere Pneumonien nachgewiesen werden, die alle makroskopisch allenfalls vermutet worden waren, und zum Teil durchaus als todesursächlich angesehen werden können. Es ließen sich auch andere bedeutende Befunde wie Myokardinfarkte, Williams-Beuren-Syndrome, Myokarditiden etc. nachweisen, die ohne umfangreiche histologische Untersuchungen unbemerkt geblieben wären. Insgesamt konnten bei über 90% der Kinder pathologische histologische Befunde erhoben werden. Durch die mikrobiologischen Untersuchungen anhand verschiedener Untersuchungsmaterialien im Max-von-Pettenkofer-Institut in München wurden bei 32% der Kinder pathogene Keime nachgewiesen (am häufigsten Staphylokokkus aureus), die in mehreren Fällen sogar Hinweise auf das Vorliegen einer Sepsis gaben. Virologische Untersuchungen wurden in Erlangen durchgeführt, bislang nur an Stuhlproben und Trachealabstrichen. Bei 23% der Kinder wurden pathogene Viren nachgewiesen, am häufigsten Zytomegalieviren bei 15% der Kinder. Die toxikologische Untersuchung ergab, außer zwei positiven Morphinnachweisen ungeklärter Ursache, keine relevanten Hinweise auf Intoxikationen. Im Rahmen der Serumethanolbestimmung und Begleitstoffanalyse fielen bei neun Kindern Ethanolspiegel von mehr als 0,1 Promille auf, so wie in elf Fällen unphysiologisch hohe Serummethanolspiegel von mehr als 2 mg/l. Eine Erklärung für erhöhte Ethanolspiegel konnten wir nicht finden. Die erhöhten Methanolspiegel sind am ehesten, da sie ausschließlich Kinder mit einem Alter von mehr als vier Monaten betrafen, auf eine veränderte Ernährung des Kindes mit obsthaltigen Produkten zurückzuführen. Zur Verifizierung dieser Annahme haben wir auch eine Ethanol- und Methanolbestimmung an elf Babynahrungsprodukten durchgeführt, die unsere Annahme teilweise bestätigten, da die Babynahrungsprodukte verschiedener Firmen sowohl Ethanol als auch Methanol in geringen Mengen enthielten. Nach Abschluß aller dieser Untersuchungen wurden die Kinder kategorisiert. Es konnten nur 5% der Kinder der Kategorie 1 (keinerlei pathologische Befunde in irgendeiner Untersuchung) zugeordnet werden, also als eigentliche SIDS-Fälle per definitionem eingestuft werden. Der Großteil der Kinder (60%) wurde der Kategorie 2 zugeordnet (leichte pathologische Veränderungen oder Auffälligkeiten, die den Tod jedoch nicht erklären können). 13% wurden in Kategorie 3 eingeordnet (pathologische Veränderungen, die durchaus mit dem Todeseintritt in Verbindung stehen können) und in 22% der Fälle konnten wir eine sichere Todesursache nachweisen (Kategorie 4). Durch die Obduktion dieser Kinder, die alle mit der Verdachtsdiagnose „Plötzlicher Säuglingstod“ obduziert wurden, konnten auch vier Tötungsdelikte aufgedeckt werden. Diese Ergebnisse lassen deutlich werden, dass es den plötzlichen Säuglingstod, so wie er im Allgemeinen bekannt ist, nicht gibt. Bei sorgfältiger, umfangreicher Untersuchung kann man vielfach Hinweise auf die Todesursache erhalten, die ohne Obduktion und vor allem histologische und bakteriologische Untersuchungen dem Nachweis entgangen wären. Ohne unsere Untersuchungen wäre fast die Hälfte der in dieser Studie untersuchten Kinder, zum Teil mit gravierenden Konsequenzen (weitere Familienplanung, kriminelle Delikte, weitere Infektionsfälle in der Familie etc.), als SIDS-Fälle fehldiagnostiziert worden.
SID, plötzlicher Säuglingstod, sudden infant death
Zinka, Bettina
2004
Deutsch
Universitätsbibliothek der Ludwig-Maximilians-Universität München
Zinka, Bettina (2004): Der Plötzliche Säuglingstod: Untersuchungen eigener Fälle am Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität zu München aus den Jahren 1999 bis 2001. Dissertation, LMU München: Medizinische Fakultät
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Abstract

Im Rahmen der multizentrischen BMBF-Studie „Plötzlicher Säuglingstod“ (Leitung Westfälische Wilhelms-Universität Münster) wurden in den Jahren 1999 bis 2001 am Münchener Institut für Rechtsmedizin 93 verstorbene Säuglinge staatsanwaltschaftlich obduziert. 80 der Kinder konnten in die Studie eingeschlossen werden. Von allen Säuglingen wurden epidemiologische Daten erhoben und eine rechtsmedizinische Obduktion wurde durchgeführt. Weiter wurden eine bakteriologische, virologische und toxikologische Untersuchung sowie eine Serumethanolbestimmung und eine Begleitstoffanalyse durchgeführt. Aus im Rahmen der Obduktion entnommenen Gewebsproben wurden umfangreiche histologische Untersuchungen anhand von 80 Präparaten aus 39 verschiedenen Organen bzw. Körperregionen durchgeführt. Nach Abschluß sämtlicher Untersuchungen wurden die Kinder im Rahmen einer „Fallbesprechung“ einer von der Studienzentrale vorgegebene Kategorie von 1 bis 4 zugeordnet, wobei die Kategorien eins und zwei die sog. SIDS (=Sudden Infant Death Syndrome)-Fälle umfaßten, die Kategorien drei und vier die Kinder mit aufgedeckter wahrscheinlicher oder sicherer anderer Todesursache. Die durchgeführten Untersuchungen erbrachten folgende Ergebnisse: Die epidemiologischen Daten wie Alter, Geschlecht, Auffindesituation etc. der verstorbenen Säugling standen weitestgehend mit den in der internationalen Literatur publizierten Daten in Einklang, wobei es nach wie vor für diese „SIDS-typischen“ Verteilungsmuster keine ausreichende Erklärung gibt. Die histologischen Untersuchungen erwiesen sich als sehr bedeutend, was die Feststellung der Todesursache anging. Es konnten bei einem Viertel der Kinder leichte bis schwere Pneumonien nachgewiesen werden, die alle makroskopisch allenfalls vermutet worden waren, und zum Teil durchaus als todesursächlich angesehen werden können. Es ließen sich auch andere bedeutende Befunde wie Myokardinfarkte, Williams-Beuren-Syndrome, Myokarditiden etc. nachweisen, die ohne umfangreiche histologische Untersuchungen unbemerkt geblieben wären. Insgesamt konnten bei über 90% der Kinder pathologische histologische Befunde erhoben werden. Durch die mikrobiologischen Untersuchungen anhand verschiedener Untersuchungsmaterialien im Max-von-Pettenkofer-Institut in München wurden bei 32% der Kinder pathogene Keime nachgewiesen (am häufigsten Staphylokokkus aureus), die in mehreren Fällen sogar Hinweise auf das Vorliegen einer Sepsis gaben. Virologische Untersuchungen wurden in Erlangen durchgeführt, bislang nur an Stuhlproben und Trachealabstrichen. Bei 23% der Kinder wurden pathogene Viren nachgewiesen, am häufigsten Zytomegalieviren bei 15% der Kinder. Die toxikologische Untersuchung ergab, außer zwei positiven Morphinnachweisen ungeklärter Ursache, keine relevanten Hinweise auf Intoxikationen. Im Rahmen der Serumethanolbestimmung und Begleitstoffanalyse fielen bei neun Kindern Ethanolspiegel von mehr als 0,1 Promille auf, so wie in elf Fällen unphysiologisch hohe Serummethanolspiegel von mehr als 2 mg/l. Eine Erklärung für erhöhte Ethanolspiegel konnten wir nicht finden. Die erhöhten Methanolspiegel sind am ehesten, da sie ausschließlich Kinder mit einem Alter von mehr als vier Monaten betrafen, auf eine veränderte Ernährung des Kindes mit obsthaltigen Produkten zurückzuführen. Zur Verifizierung dieser Annahme haben wir auch eine Ethanol- und Methanolbestimmung an elf Babynahrungsprodukten durchgeführt, die unsere Annahme teilweise bestätigten, da die Babynahrungsprodukte verschiedener Firmen sowohl Ethanol als auch Methanol in geringen Mengen enthielten. Nach Abschluß aller dieser Untersuchungen wurden die Kinder kategorisiert. Es konnten nur 5% der Kinder der Kategorie 1 (keinerlei pathologische Befunde in irgendeiner Untersuchung) zugeordnet werden, also als eigentliche SIDS-Fälle per definitionem eingestuft werden. Der Großteil der Kinder (60%) wurde der Kategorie 2 zugeordnet (leichte pathologische Veränderungen oder Auffälligkeiten, die den Tod jedoch nicht erklären können). 13% wurden in Kategorie 3 eingeordnet (pathologische Veränderungen, die durchaus mit dem Todeseintritt in Verbindung stehen können) und in 22% der Fälle konnten wir eine sichere Todesursache nachweisen (Kategorie 4). Durch die Obduktion dieser Kinder, die alle mit der Verdachtsdiagnose „Plötzlicher Säuglingstod“ obduziert wurden, konnten auch vier Tötungsdelikte aufgedeckt werden. Diese Ergebnisse lassen deutlich werden, dass es den plötzlichen Säuglingstod, so wie er im Allgemeinen bekannt ist, nicht gibt. Bei sorgfältiger, umfangreicher Untersuchung kann man vielfach Hinweise auf die Todesursache erhalten, die ohne Obduktion und vor allem histologische und bakteriologische Untersuchungen dem Nachweis entgangen wären. Ohne unsere Untersuchungen wäre fast die Hälfte der in dieser Studie untersuchten Kinder, zum Teil mit gravierenden Konsequenzen (weitere Familienplanung, kriminelle Delikte, weitere Infektionsfälle in der Familie etc.), als SIDS-Fälle fehldiagnostiziert worden.