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Hofmannsthals Turm und Paul Claudel

Hofmannsthal’s Turm and Paul Claudel

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Der Aufsatz untersucht die Auseinandersetzung Hugo von Hofmannsthals mit Denken und Werk des französischen Dichters Paul Claudel am Beispiel einiger Spuren im Turm-Text. Hofmannsthals von der Forschung bislang kaum beachtete Hochachtung für Claudels Schaffen wirkte sich auch auf andere Texte aus. Sie ist für die Frage nach den stilistischen und dramaturgischen Standpunkten Hofmannsthals sowie für seine spezifische Mythologie und die kritische Analyse von Heroismen ab ca. 1917 sehr aufschlussreich.

Abstract

The article analyzes Hugo von Hofmannsthal’s examination of the French writer Paul Claudel. Hofmannsthal’s admiration for Claudel’s works and style leaves it’s mark especially in the play Der Turm. In this text, one can find a lot of reminiscences as well as transgressing citation of two early plays of Claudel, Tête D’Or and La Ville. But the esteem for the work of Claudel also influenced other texts of Hofmannsthal. This configuration illuminates some dramaturgical and philosophical questions, for example concerning time and heroism, Hofmannsthal dealt with after the war.

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Notes

  1. Hugo von Hofmannsthal, Briefwechsel mit dem Insel-Verlag 1901–1929, hrsg. Gerhard Schuster, Frankfurt a.M. 1985, Nr. 833, 774.

  2. Hofmannsthal charakterisiert das Numinose der oberen Mächte oder ›Hinterwelten‹ wohlgemerkt ›nur‹ mit dem Namen »Notwendigkeit«, während es Claudel spätestens im III. Akt seines Dramas La Ville im Sinne der katholischen »Wahrheit« als göttliche Vorsehung denkt. Die Formulierung »Welt hinter der Welt« entnehme ich der Erinnerung Kassners an ein Gespräch mit Hofmannsthal über Claudel. Vgl. Rudolf Kassner, »Hofmannsthal und Rilke. Erinnerung«, in: Ders., Sämtliche Werke, im Auftrag der Rudolf Kassner Gesellschaft hrsg. Ernst Zinn, Klaus E. Bohnenkamp, Pfullingen 1991, X, 307–321, hier: 313f.: »[…] Hofmannsthal glaubte in Paul Claudels ›Tausch‹, der damals in Wien gespielt wurde, das gefunden zu haben: die Welt hinter der Welt, und hielt mir das vor.« Den Begriff »Karma« in der Bedeutung von »innere Planauswicklung« des Individuums verwendet Hofmannsthal mehrfach in seinen Aufzeichnungen zu Reden in Skandinavien; ich gehe unten noch einmal auf beide Aspekte ein.

  3. Hugo von Hofmannsthal – Walter Brecht, Briefwechsel. Mit Briefen von Hugo von Hofmannsthal an Erika Brecht, hrsg. Christoph König, David Oels, Göttingen 2005, 131. Vgl. auch ebd., Anm. 6, 135 sowie 188: In einem von Brecht in Deutsche Allgemeine Zeitung vom 25. Dezember 1929 mitgeteilten »Gespräch über die Ägyptische Helena« soll Hofmannsthal gesagt haben: »Der Sigismund ist eine mythische Figur, wie schon der Abenteurer damals, und der byzantinische Kaiser. Der ›Turm‹ ist kein historisches Drama«.

  4. Vgl. zuletzt die Ergebnisse der 18. Internationalen Tagung der Hugo von Hofmannsthal-Gesellschaft im September 2014 in Basel, die sich dem Turm-Komplex widmete, dokumentiert im Hofmannsthal Jahrbuch 24 (2016), z.B.: Roland Innerhofer, »›Der Turm‹« im Kontext der zeitgenössischen österreichischen Dramatik«, ebd., 269–288 sowie als Einleitung: Sabine Schneider, »Hofmannsthals ›Turm‹-Dramen. Politik, Wissenschaft und Kunst in der Zwischenkriegszeit. Eine Einführung«, in: ebd., 169–178.

  5. Hofmannsthals Auseinandersetzung mit Claudel im Rahmen der Arbeit am Salzburger Großen Welttheater dokumentiert die vom Freien Deutschen Hochstift veranstaltete Kritische Ausgabe seiner Sämtlichen Werke, in Folgendem zitiert unter Angabe des Bandes und der Seitenzahl mit der Sigle SW, hier: SW X. Vgl. zu den Anregungen, die Hofmannsthal für Die ägyptische Helena aus Claudels Protée (1913) zog: Eva-Maria Lenz, Hugo v. Hofmannsthals mythologische Oper »Die ägyptische Helena«, Tübingen 1972, 43–50. Claudels La Ville beeinflusste offenbar auch Hofmannsthals Dramenentwürfe Herbstmondnacht und Die Kinder des Hauses. Vgl. SW XIX, 337ff. u. 482. Eine umfassende Untersuchung der vielen Claudel-Bezüge in Hofmannsthals Werk ist ein Desiderat.

  6. Einen ersten Überblick über Person, Werk, Kontexte und Forschung bietet die informative Website der »Société Paul Claudel«: http://www.paul-claudel.net (15.01.2018). Zwei Forschungsüberblicke über die ältere Forschung: Julius Wilhelm, »Paul Claudel in Deutscher Darstellung und Forschung«, in: Deutsch-Französisches Institut Ludwigsburg (Hrsg.), Paul Claudel zu seinem hundertsten Geburtstag, Stuttgart 1970, 37–58 sowie: André Espiau De la Maëstre, »Bilan de la critique claudéliene de la langue française 1908/1968«, in: ebd., 16–36. Espiau De la Maëstre betont, dass jeder Claudel-Deutung eine wichtige Entscheidung zugrunde liege: Nimmt man Claudels Bekehrung als totalen Bruch mit dem Vorhergehenden oder legt man die Kontinuitäten und damit die Brüche und Widersprüche offen: das Nebeneinander vom Glauben an das religiöse Wunder einerseits, die nihilistische Faszination, die Verlockung zur Revolte andererseits. Einen guten Überblick über die französische Forschung zur Poetik und Ästhetik von Claudels politischem Denken, v.a. auch in Bezug auf die beiden frühen Dramen Tête D’Or und La Ville, bietet der Sammelband: Pascal Lécroart (Hrsg.), Claudel politique. Actes du colloque international de l’Université de Franche-Comté (12, 13 et 14 juin 2003), Lons-le-Saunier 2009. Die Frage nach den politischen Dimensionen von Claudels Werk wurde angestoßen durch: Christopher Flood, Pensée politique et imagination historique dans l’œuvre de Paul Claudel, Paris 1991, zu La Ville, ebd., 35–58.

  7. Die literarische Welt, Nr. II, 2. Jg., Berlin, Freitag, 12. März 1926 [Kraus Reprint 1973], 3. Die Premiere fand am 08. März 1926 statt.

  8. Claudel formuliert die Herausforderung einer Hinwendung zum Glauben an vielen Stellen seines Werks mithilfe der Semantik von Heldentum, Hingabe an die Revolution, Opfer. In Die Literarische Welt erschien ebenfalls am 12. März 1926 unter dem Titel »Eine Bekehrung« eine Übersetzung zweier Briefe, die zwischen Paul Claudel und Jacques Rivière gewechselt wurden. Letzterer wandte sich in seinem verzweifelten Ringen um Glauben an Claudel. In Claudels Antwortbrief vom 3. März 1907 heißt es diesbezüglich: »Glauben Sie denen nicht, die da sagen werden, daß die Jugend geschaffen ist, sich zu vergnügen; die Jugend ist keineswegs fürs Vergnügen geschaffen, sondern für das Heldentum. Es ist wahr, der junge Mensch bedarf des Heldentums, um sich den Versuchungen, die ihn umgeben, zu entziehen, um ganz allein an eine verachtete Doktrin zu glauben, ohne einen Fingerbreit zurückzuweichen, um gegen den Inhalt, gegen die Gotteslästerung, gegen den Spott, die die Bücher, die Straßen, die Zeitungen füllen, Front zu machen, um seiner Familie und seinen Freunden zu widerstehen, um allein gegen alle zu sein, um allen gegenüber treu zu bleiben.« (ebd.) In dem am 10. Oktober 1913 in Revue des Jeunes erstmals veröffentlichten Text »Ma Conversion« zitiert Claudel eine Wendung Arthur Rimbauds: »Der geistige Kampf ist ebenso brutal wie das Schlachtgetümmel der Menschen. Harte Nacht! Noch dampft das getrocknete Blut auf meinem Gesicht!« Vgl. Paul Claudel, »Meine Bekehrung«, in: Ders., Gesammelte Werke, hrsg. Edwin Maria Landau, Heidelberg 1962, VI, 9–15. Ich zitiere Claudel im Folgenden auf Deutsch nach dieser Ausgabe unter Angabe des Bandes und der Seitenzahl mit der Sigle GW und auf Französisch nach seiner Dramensammlung »L’Arbre«, Paris 1901. Vgl. auch: Paul Claudel, »Brief an Madame D’A«, Mai 1931, GW VI, 17f.: Um an »Freude und Wahrheit« teilhaben zu können, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein: »Diese Bedingungen sind Ordnung und Opfer«. Das Opfer sei das »Opfer unseres Willens«, es werde Hingabe genannt und meine: »Gott Raum schaffen« in uns. Die »Ordnung« meine die Forderung, sich »an die Stelle« zu begeben, die dem Menschen von Gott vorgeschrieben sei. »Notwendige Bedingungen, um Ordnung und Opfer zu erlernen« sind nach Claudel: »Gehorsam«, »Achtsamkeit« und »Mut, eine Art Revolution und Staatsstreich in uns«. Die »ewige Erneuerung« komme »von Seiten Gottes«. Herrschaft wird bei Claudel, wie in der Bibel, mit Schönheit parallelisiert. Herrscherblut verkündet sich durch ein schönes Gesicht oder das Königszeichen auf der Stirn. In diesem Sinne ist m.E. auch die Relation von Ordnung, Opfer und Schönheit zu verstehen, die in einer Figurenrede in La Ville konstatiert wird und die Hofmannsthal sich in seinen Vorarbeiten zum Turm mehrfach notiert: »Die Ordnung/ Beruht auf dem Opfer; das Opfer muß schön erscheinen.« (Claudel, La Ville, GW II, 234).

  9. Pascalle Alexandre, »Tête D’Or«, in: http://www.paul-claudel.net/oeuvre/tete-d-or (15.01.2018): »On y retrouve la crise morale et philosophique d’une époque, marquée par l’histoire (la guerre de 1870, la Commune, les débuts difficiles de la troisième république) et par le positivisme de Renan.«

  10. Vgl. Claudel, Tête D’Or, GW II, 98: »Heut ist der Tag gekommen, da ich zeigen muß, wer ich bin! ich bin da! es muß sein! […] entweder sterbe ich, oder ich will mein eigenes Reich errichten!«

  11. Die Umrisse dieser angestrebten Erneuerung bleiben sehr vage: Es gelte die Schwäche der Unwissenheit, die Schwäche der irdischen Liebe zum Weib, die Schwäche der Redegewandtheit und Zungenfertigkeit zu überwinden und männlich durch Tat, Gewalt und Besitz die Welt zu erobern.

  12. Vgl. ebd., 108 u. 116: Goldhaupt nennt sich »König der Menschen« und behauptet: »Ich habe euch alle gerettet! wie ein Mensch, der einen andern in seinen Armen hält.«

  13. Vgl. ebd., 147 u. 162: Von seinen Anhängern gefragt, wer denn nun das Recht einsetze unter den Völkern, »das auf die Kraft sich stützt«, antwortet er: »Wahrlich, mein Versprechen hab ich nicht eingelöst! Was kümmert’s mich. – Ich will, ich will…« »Mag ich verlassen sterben!/ Von neuem Flammengleich/ Rollt in meiner Brust ein großes Sehnen!«

  14. Ebd., 129f.

  15. Claudel, La Ville, GW II, 185.

  16. Ebd., 236 u. 240.

  17. Ebd., 244.

  18. Vgl. ebd., 245: »Glaube nicht, dass ich ein Mittel bringe und dass Übereinkunft und Gerechtigkeit unter den Menschen/ Auf der Kraft irgendeiner von selbst sich ergebenden Ordnung beruhe.« Diese Stelle strich sich Hofmannsthal in seiner »L’Arbre«-Ausgabe an.

  19. Vgl. ebd., 246f.: »O mein Sohn, als ich ein Dichter war unter den Menschen,/ Erfand ich den Vers, der weder Reim hat noch Metrum,/ Und umschrieb ihn im Verborgensten meines Herzens als jene doppelte, wechselseitige Atmung,/ Durch welche der Mensch das Leben einsaugt und im erhabenen Akt der Ausatmung es wiedererstattet/ Als geisterfülltes Wort./ So ist auch das Leben in der Gemeinschaft nichts anderes als der doppelte Vers der Danksagung oder des Lobgesangs,/ In dem die Menschheit ihren Ursprung einatmet und dessen Abbild wiedererstattet.« Alexandre unterstreicht, dass mit Ivors ein Wesen, geboren aus der Verbindung von Poesie (Cœuvre) und Gnade (Lâla), zum König gekrönt wurde; vgl.: Pascalle Alexandre, »La Ville«, in: http://www.paul-claudel.net/oeuvre/la-ville (15.01.2018): »C’est aussi une quête de soi et une interrogation sur la poésie qui se mènent dans cette œuvre complexe. Conçus comme des figures symboliques, les personnages ne sont pas seulement le support d’un débat sur des valeurs politiques ou spirituelles. Ils peuvent être compris comme les instruments d’un dialogue conflictuel mettant aux prises les facettes opposées d’un moi pluriel: conservatisme politique (Lambert) contre révolte anarchiste (Avare), savoir scientifique (Besme) contre connaissance poétique (Cœuvre). Les dialogues qui confrontent les personnages deux à deux sont nombreux dans la pièce: ils sont le moteur d’une dialectique faisant progresser vers une vérité qui passe par l’union de la poésie et de la foi.«

  20. Neben dem oben bereits genannten Titel zu den Claudel-Bezügen in Hofmannsthals Libretto Die ägyptische Helena fand ich nur die Darstellung Billeter-Zieglers zu den Claudel-Zitaten im Turm: Marianne Billeter-Ziegler, »Hofmannsthal und Claudel«, Hofmannsthal Blätter III (1977), H. 17/18, 311–325. Billeter-Ziegler kommt das Verdienst zu, noch vor Erscheinen der kritischen Ausgabe, die wichtigsten Claudel-Bezüge im Turm identifiziert zu haben. In ihrem Fazit betont sie, Hofmannsthal übernehme »im wesentlichen sprachliche Elemente«, die v.a. der »metaphorischen Belebung oder Verdichtung des Dialogs« dienten. Sie fügt hinzu, dass sich in einzelnen Zügen auch »eine gedankliche Nähe des ›Turms‹ zum dramatischen Frühwerk Claudels erkennen« lasse, ohne diese gedankliche Nähe jedoch zu spezifizieren (ebd., 324).

  21. Vgl. Hofmannsthal, Bibliothek, SW XL, 133–140.

  22. Hugo von Hofmannsthal – Rudolf Pannwitz, Briefwechsel 1907–1926, hrsg. Gerhard Schuster, mit einem Essay von Erwin Jaeckle, Frankfurt a.M. 1993, 136. Vgl. auch Pannwitz an Hofmannsthal, Plomberg am Mondsee, 6.7.[=8.]18, ebd., 265: »Kennen Sie ›Goldhaupt‹ von Claudel? es kommt für Ihre Semiramis sehr in betracht..«. Beim Auffinden einiger der folgenden Äußerungen Hofmannsthals unterstützte mich Katja Kaluga vom Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt mit kundiger Hilfsbereitschaft.

  23. Diese theater- und schauspielästhetisch avantgardistische Inszenierung, an der Claudel – neben Adolphe Appia und Martin Buber – mitwirkte, fand er selbst »unvergleichlich« schön. Sie prägte seine weitere szenisch-dramaturgische Ästhetik. Vgl. Edwin Maria Landau, Paul Claudel auf deutschsprachigen Bühnen, München 1986, 40–57. Die Wirkung von Claudels Werk auf die Dichter und Intellektuellen aus dem Hellerauer Umkreis bleibt noch zu untersuchen. Vgl. etwa Paul Adler, »Schriftstellerkolonien VI. Hellerau«, Das literarische Echo 24 (1913), 1687–1691 und Robert Grosche, Paul Claudel, Hellerau 1918 (ich danke Claus Zittel für den Hinweis auf Paul Adler). Willy Haas’ kurzen Bericht über Jacob Hegners nach dem Kriege weitergeführte Hellerauer Claudel-Ausgabe in Die literarische Welt, Nr. 36 vom 3. Sept. 1926, lobte Hofmannsthal als »das Einzige Gute, Bündige – das ich je in deutscher Sprache über diesen großen Autor gelesen habe.« Vgl. Hofmannsthal an Willy Haas, Bad Aussee 17 IX 26, in: Hugo von Hofmannsthal – Willy Haas, Ein Briefwechsel, Berlin 1968, 68f.

  24. Landau (Anm. 23), 57–61.

  25. Vgl. ebd., 68. Laut Oskar Maurus Fontana fand der Regisseur Albert Heine nicht die richtige theaterästhetische Formensprache für Claudels Drama. Er hielt sich offenbar zu sehr an die Ästhetik des Naturalismus und den traditionellen Burgtheaterstil.

  26. Kassner (Anm. 2). Vgl. auch: Ders., »Im Gespräch mit Hugo von Hofmannsthal«, in: ebd., 374–384, hier: 377: »Hofmannsthal und ich konnten uns nicht über Claudel einigen. Er hielt den ›Tausch‹ für groß oder doch für sehr gut, weil, wie er sich ausdrückte, Mächte hinter den Menschen stünden, worauf es im Letzten ankäme. Ich glaubte ihm entgegenhalten zu dürfen, dass diese Mächte nichts anderes wären als Claudels Eigensinn, starker Bauernwille und Verstand, die alle zusammen gewiß manches zustande brächten und nur vor der Peripetie, der Konversion versagten wie alle Rhetorik.« Auch Musil äußerte sich anlässlich der Aufführung von L’Échange in Wien über Claudel. Vgl. Hartmut Cellbrot, »›Vom Felsengrund allgemeiner Ideen‹: Musil und Kassner als Leser Paul Claudels«, in: Wilhelm Kühlmann, Roman Luckscheiter (Hrsg.), Moderne und Antimoderne: der Renouveau catholique und die deutsche Literatur. Beiträge des Heidelberger Colloquiums vom 12. bis 16. September 2006, Freiburg 2008, 433–446.

  27. Christiane von Hofmannsthal, Tagebücher 1918–1923 und Briefe des Vaters an die Tochter 1903–1929, hrsg. Maya Rauch, Gerhard Schuster, Frankfurt a.M. 21991, 44.

  28. Christiane von Hofmannsthal, Ein nettes kleines Welttheater. Briefe an Thankmar Freiherr von Münchhausen, hrsg. Claudia Mertz-Rychner in Zusammenarbeit mit Maya Rauch, Frankfurt a.M. 1995, 53f.; vgl. auch die Anm., ebd., 173 zu »Seckendorf u. Marwitz«: Es handelt sich um den Briefwechsel von zwei im Ersten Weltkrieg gefallenen jungen Deutschen: Bernhard von der Marwitz, Eine Jugend in Dichtung und Briefen an G. v. Seckendorff, J. v. Winterfeldt u.a., hrsg. Otto Grautoff, Dresden 1923. Hofmannsthal las das Buch im Herbst 1923.

  29. Klaus E. Bohnenkamp, Sophie Levie (Hrsg.), La rivista »Commerce« e Marguerite Caetani. I: Briefwechsel mit deutschsprachigen Autoren, Rom 2012, 102–105, hier: 103.

  30. Hofmannsthal an Charles Du Bos, 13.05.1929, zitiert nach: Martin E. Schmid, Hugo von Hofmannsthal. Brief-Chronik. Regest-Ausgabe, Bd. 2 (1912–1929), Heidelberg 2003, 2858.

  31. Vgl. Hofmannsthal an Paul Zifferer, Bad Aussee d 5/10 27, in: Hugo von Hofmannsthal – Paul Zifferer, Briefwechsel, hrsg. Hilde Burger, Wien 1983, 223.

  32. Vgl. André Espiau De La Maëstre, »L’initiation de Paul Claudel à la pensée de Schopenhauer et de Nietzsche. Le Beethoven de Richard Wagner (1870) et la Revue Wagnérienne (Paris, 1885/1888)«, Les Études Classiques 69 (2011), 269–304.

  33. 1879 wurde der Thomismus von Papst Leo XIII zur offiziellen Philosophie der kath. Kirche erklärt. Hofmannsthal las für seine Arbeit am Salzburger Großen Welttheater die Darstellung der thomistischen Philosophie von P. Fr. R. Garrigou-Lagrange, Dieu. Son Existence et sa Nature. Solution Thomiste des Antinomies Agnostiques, Paris 1919.

  34. Ernst Robert Curtius, Die literarischen Wegbereiter des neuen Frankreich, Potsdam 1918, 260. Aufschlussreich hierzu: Jeanne Bem, André Guyaux (Hrsg.), Ernst Robert Curtius et l’idée d’Europe. Actes du Colloque de Mulhouse et Thann des 29, 30 et 31 janvier 1992, Paris 1995; vgl. auch: Ernst Robert Curtius, »Zu Hofmannsthals Gedächtnis (1929)/George, Hofmannsthal und Calderon (1934)«, in: Ders., Kritische Essays zur Europäischen Literatur [1950], Frankfurt a.M. 1984, 158–201.

  35. Curtius, Die literarischen Wegbereiter (Anm. 34), 115.

  36. Ebd.

  37. Ebd., 160.

  38. An Jella Oppenheimer schreibt Hofmannsthal: »Das Gräßliche« – »wie in der Gestalt des Olivier« – »schafft den Raum, worin das Große zur Sichtbarkeit kommen kann. (So in der französischen, in der russischen Revolution; nur daß wir von den Erscheinungen des Seelischen in der letzteren noch wenig wissen).« Vgl. Rudolf Hirsch, Beiträge zum Verständnis Hugo von Hofmannsthals, Frankfurt a.M. 1995, 165–168 (»Unbekannte Äußerungen Hofmannsthals zum ›Turm‹«), hier: 168.

  39. Vgl. Anm. 8.

  40. In seiner Rede Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation (1927) wertet Hofmannsthal die Französische Revolution nicht als Umsturz des Bestehenden, sondern als eine »aufrüttelnde« »Entladung« der hohen sprachlichen, sozialen und skeptischen Kultur der Grande Nation. Diese quietistische Perspektive auf die Französische Revolution als heilsame »Entladung« scheint mir für Hofmannsthals ideellen Begriff einer produktiven Revolution paradigmatisch, weil sie das Kontinuum betont und damit seinen Begriff einer ›konservativen Revolution‹ als Prozess der Synthetisierung qua Form vorbereitet. In Hofmannsthals Aufzeichnungen zu Reden in Skandinavien (Nachlass, 1916) erklingt demgemäß die Forderung nach einem »geläuterten Freiheitsbegriff« der, sowohl die »Ordnung« der Nation bedinge als auch das »Gesetz« oder das »Karma« im Individuum realisiere (SW XXXIV, 290–324). Vgl. auch Hofmannsthal, Preussen und Oesterreich (Nachlass, 1917), in: SW XXXIV, 339, N4: »Auf Revolution hin kann man nicht existieren – Verjüngung der menschlichen Gesellschaft hiezu können wir beitragen« sowie: Hofmannsthal, Buch der Freunde, SW XXXVII, 45, Nr. 389 (1918): »Hinter den Rücken des Geldwesens zu gelangen, ist vielleicht der Sinn der moralischen und sogar religiösen Revolution, in der wir zu stehen scheinen.«

  41. Curtius, Die literarischen Wegbereiter (Anm. 34), 125.

  42. Vgl. die barocke Verankerung des ›Dramas‹ in der Religion bei Paul Claudel, z.B. in: Position et Proposition II, zitiert nach: Ders., Der Strom. Ausgewählte Prosa, aus dem Französischen von Edwin Maria Landau, Berlin 1955, 48: »Wir sind die Schauspieler eines äußerst interessanten Dramas, das von einem unendlich weisen und guten Autor geschrieben wurde und in dem wir eine entscheidende Rolle spielen, aber in dem es uns unmöglich gemacht wird, zum vornherein auch nur die unbedeutendste Lösung zu erraten. […] Der letzte Akt ist, wie Pascal sagt, stets blutig, aber er ist auch immer herrlich, da die Religion das Drama nicht nur mitten ins Leben gestellt hat, nein, sie hat auch an sein Ende durch den Tod die höchste Ausdrucksform des Dramas gestellt: für jeden wahren Jünger unsres Göttlichen Meisters besteht sie im Opfer

  43. Hofmannsthal, Aufzeichnungen, SW XXXVIII, 710 (Nr. 1460); vgl. auch ebd., 699 (Nr. 1429): »Reflexion über die Prosa. (Lecture eines guten Autors: Claudel)«.

  44. Hofmannsthal, Letzter Aufsatz (Ein Buch »Oesterreich«), Rodaun, 2.VI.1917 (Nachlass), SW XXXIV, 339f.

  45. Hofmannsthal, Aufzeichnungen, SW XXXVIII, 812 (Nr. 1659).

  46. Ebd., 869 (Nr. 1800). Vgl. N1 zum Salzburger Großen Welttheater.

  47. Claudel, La Ville, GW II, 242 bzw. Claudel, »L’Arbre«, Paris 1901, 419.

  48. Curtius spricht hinsichtlich der Wirkung von Calderons Werken auf Hofmannsthal von dessen »integrierender Phantasie«; vgl. Ders., »George, Hofmannsthal und Calderon« (Anm. 34), 185.

  49. Vgl. Gerhard Neumanns poetologische Lektüre des Prosastücks Die Wege und die Begegnungen (1907), in: Gerhard Neumann, »›L’inspiration qui se retire‹. Musenanruf, Erinnern und Vergessen in der Poetologie der Moderne«, in: Anselm Haverkamp, Renate Lachmann, Reinhart Herzog (Hrsg.), Memoria. Vergessen und Erinnern, München 1993 [Poetik und Hermeneutik 15], 433–455, hier: 445: »Während der junge Hofmannsthal als genialer Assimilator seine Texte gleichsam ›ganz aus Zitaten zusammensetzt‹, bezeichnet der sogenannte ›Chandos‹-Brief das Versagen solcher zitierender Sprache, und zwar als die Erfahrung, daß die Worte ›wie modrige Pilze‹ im Munde zerfallen; das poetologische Experiment der ›Wege und Begegnungen‹ schließlich imaginiert die Wiedergeburt der schöpferischen Sprache aus dem ›vergessenen Zitat‹ und der Bilderflucht einer visionären Psycho-Memoria.«

  50. Claudel, Tête D’Or, GW II, 41.

  51. Ebd.

  52. Ebd., 49f.

  53. Vgl. Claudel, »L’Arbre«, 71: »Tu parles de choses cachées qu’il dégoûte la langue épaisse de dire,/ Des histoires sans raison, du sang qui coule comme de la salive!«

  54. Vgl. Claudel, La Ville, GW II, 232: »Fluch über das Menschenwerk!/ Denn es schafft den Betrug,/ Indem er die Augen vermauert mit dem, was nicht ist./ Und ich habe sie zerstört unter meinen Füßen./ Daß dieser Schutt Ansehen bewahre und der Modergeruch weiter anhalte!«

  55. Vgl. Schneider (Anm. 4), 174.

  56. Auf Deutsch: Claudel, Tête D’Or, GW II, 53: »Ein Geist hat über mich hingeweht, und ich erbebe wie ein Pfahl!/ – Cébès, eine Kraft wurde mir gegeben, streng und wild!/ Das ist der grimme Zorn des Männlichen, und nichts vom Weibe ist in mir.« […] »Hoffe nicht, dass du mehr erfahrest, als ich zu sagen gewillt bin.« Der letzte Satz des Claudel-Zitats aus N94 findet sich wieder in einer Variante zum IV. Aufzug, in der Sigismund zu Olivier sagt: »Bilde dir nicht ein, dass du darüber mehr erfahren wirst als ich willens bin dir zu sagen« (SW XVI.1, 322, IV/2H2).

  57. Vgl. Hofmannsthal, Turm, SW XVI.2, 76 u. 181.

  58. Vgl. Hofmannsthal, Turm, SW XVI.1, 9 u. 16. Eine andere Quelle Hofmannsthals, Konrad Burdachs Kommentar zum Ackermann aus Böhmen (1917), hob die Verschränkung von Adam mit der Simsongestalt hervor. Vgl. Christoph König, Ein moderner Dichter unter den Philologen, Göttingen 2001, 327–329.

  59. Vgl. André Espiau de La Maëstre, Das göttliche Abenteuer. Paul Claudel und sein Werk, Salzburg 1968, 158–217 (Die Frau: ein Mysterium und die Alternative Gottes), hier: 159: »Die Frau, als Quintessenz des kosmisch sichtbaren, versinnbildlicht und verkörpert das ganze Drama der Welt und die ›göttliche Katastrophe‹.« In Tête D’Or unterstreicht Goldhaupt selbst seine Androgynität, wenn er sich im zweiten Akt »eine unbändig wilde Jungfrau« nennt. Als im Moment seiner Machtergreifung eine Frau ihn bittet: »Sprecht, General, was habt ihr zu sagen?«, ruft er aus: »Wer ist das hier? Schafft mir dies Weiberpack zur Tür hinaus!/ Wer hat nur diese Stuten springen lassen? Fort damit! Hinaus!« (GW II, 101). Vgl. hierzu den IV. Aufzug in Hofmannsthals Turm, in dem die Weiber »herein wollen, Sigismunds Füsse küssen«: »EIN ANDERER: Jagt sie fort, die Stuten! Sie sind es nicht wert, sein Gesicht zu sehen« (SW XVI.1, 113).

  60. Vgl. Claudel, La Ville, GW II, 248.

  61. Das frz. Zitat aus: Claudel, »L’Arbre«, 416 lautet auf Deutsch: »Denn was fehlt der Frau, um der erschöpfende Gegenstand unserer Liebe zu sein/ Wem anders als der Gattin erstatten wir in der geheiligten Umarmung/ Das Leben wieder, das wir der Mutter verdanken?/ Warum also ist es uns nicht verstattet, Befriedigung zu finden in der Frau?« (Claudel, La Ville, GW II, 239).

  62. Der Kommentar der Sämtlichen Werke verweist auf Wilhelm Michel, »Tolstois Entscheidung«, Der Neue Merkur, 7. Jg., Bd. 1, Oktober 1923, 39–50, auf Otto Weiniger und J. J. Bachofens Das Mutterrecht.

  63. Claudel, »L’Arbre«, 140f.; auf Deutsch: Claudel, Tête D’Or, GW II, 148f.: »Sie neigt sich! Sie neigt sich! Sie sinkt herab! Taucht ein in den untersten Abgrund!/ Die Sonne ist es nicht, o nein, die Flammenzitadelle unserer Zuversicht! […] Und als ein König soll ich nicht dich küssen, Friedensgöttin!/ König nicht durch den Zufall, nein, durch die Kraft und die Wahrheit,/ O Land! o Land, das ich nicht zu greifen vermag!« Vgl. hierzu auch: Hofmannsthal, Turm, N247, in: SW XVI.1, 435f.

  64. Vgl. Günther Erken, Hofmannsthals dramatischer Stil. Untersuchungen zur Symbolik und Dramaturgie, Tübingen 1967, 139–151, hier: 148; vgl. Hugo von Hofmannsthal, »Die Ironie der Dinge«, in: Ders., Reden und Aufsätze II. 1914–1924, hrsg. Bernd Schoeller, Frankfurt a.M. 1979, 145.

  65. Das Thema »Erneuerung« wird auch durch die Phönix- und Lerchenmotivik dargestellt, die Hofmannsthal ebenfalls bei Claudel variiert fand. Vgl. Hofmannsthal, Turm, SW XVI.1., 132 u. 137 sowie Claudel, Tête D’Or, GW II, 107.

  66. Vgl. Claudel, »L’Arbre«, 20f. (von Hofmannsthal markiert): »Cébès. – Eh bien! autre chose que ce que tu peux dire, c’est cela que je te demande.«

  67. Aufschlussreich hierzu ist Hofmannsthals, auch von Benjamins Aufsatz Goethes Wahlverwandtschaften inspirierte, Überlegung in Notiz N274 zum V. Aufzug der ersten Fassung vom 10. November 1923: »Es handelt sich um das Ideelle an u. für sich im didaktischen wie in jedem andern Sinne auch. Dabei darf das Ideelle nicht in den (während polit. Katastrophen um sich greifenden) Scheinbegriff des Programmatischen verfallen, sondern es muß sich auswirken als das Mythische des heroischen Menschen überhaupt u. in seiner Wirkung innerhalb der Zeit nicht messbar noch lesbar sein sondern völlig bestehen in der großen dramatischen Haltung des Helden gegen die Gewalt der Umstände. (Les circonstances ont été toujours plus fortes que moi). Das eigentlich Siegreiche u. Ergreifende liegt dabei in dem ›Dennoch‹ in dem offensichtlichen Handeln u. Beständig-bleiben um eines höheren Auftrages willen; wobei in der Haltung des Helden wie in dem Vorhandensein dieses höhern Auftrags das ›obere Leitende‹ in doppelte Erscheinung tritt – nämlich als das Schicksal des Helden wie als seine von Gegenmächten bedingte Wirkung in der Zeit – und zwischen diesen beiden Polen eben jene dramatische Spannung entsteht die seiner Figur durchaus eignet« (SW XVI.I, 465f.).

  68. Claudel, La Ville, GW II, 245; »L’Arbre«, 422f.

  69. Symbolik und Metaphorik sind bei Claudel weltanschaulich, metaphysisch begründet: Wenn die Einzeldinge durch ein gemeinsames Fluidum verbunden sind und somit ein Ding ein anderes vertreten oder bezeichnen kann, kann auch das Opfer des einen dem anderen zum Tod bzw. zu neuem Leben verhelfen. Vgl. Curtius, Die literarischen Wegbereiter (Anm. 34), 125. Vgl. zur mythisch-mystischen Funktion des Dichters als Lautwerdung der göttlichen Stimme v.a. Claudels L’Art poétique (1907) sowie Curtius, Die literarischen Wegbereiter (Anm. 34), 123.

  70. Zwei häufige Turm-Deutungen sind nach König (Anm. 58), 325: 1. Der »Geist« (Symbol: Sigismund) unterliegt der Gewalt, bleibt aber als Geist intakt (»Gebt Zeugnis: ich war da«), 2. Der »Geist« tritt in die Sphäre von Macht und Politik, verunreinigt sich, kann seine Autonomie also nicht behaupten und will das auch nicht. Beide Deutungen zweifeln nicht an, dass hier ein »Geist«, heroisch auftretend, Gemeinschaft begründen soll.

  71. Vgl. etwa auch Innerhofer (Anm. 4), 288: »Die Überwindung der Dichotomie von absoluter Souveränität vs. restloser Auslöschung des Subjekts und die daraus resultierenden Möglichkeiten teilsouveränen politischen Handelns sind Perspektiven, die ›Der Turm‹ wenn überhaupt bloß ex negativo eröffnet.«

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Wokalek, M. Hofmannsthals Turm und Paul Claudel. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 92, 63–87 (2018). https://doi.org/10.1007/s41245-018-0054-6

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