Das Verständnis zu Pathophysiologie und Ursachen von Immundefekten hat sich in den vergangenen 20 Jahren eindrucksvoll erweitert. Eine höhere Aufmerksamkeit unter primär versorgenden und spezialisierten Ärzten sowie erhebliche Fortschritte der immunologischen und molekulargenetischen Technologien haben wesentlich dazu beigetragen, genetische Ursachen von immunologischen Störungen zunehmend zu identifizieren. Für Defekte verantwortliche Mutationen weisen klinisch erhebliche phänotypische Unterschiede auf. Nicht selten umfasst das Krankheitsbild ein Kontinuum von Immunregulationsstörungen über den vollständigen Ausfall eines Immunmechanismus bis hin zur Autoimmunität/-inflammation oder gar malignen Entartung. Trotz des enormen Wissenszuwachses ist die frühe Detektion einer immunologischen Störung wegen der erheblichen Variabilität der klinischen Manifestationen nicht unbedingt einfacher geworden. Wissenschaftliche Fachgesellschaften, Selbsthilfeorganisationen und Initiativen (u. a. Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Immunologie [API], Deutsche Gesellschaft für Immunologie [DGfI], Deutsche Selbsthilfe Angeborene Immundefekte [DSAI] und die Initiative FIND-ID – Netzwerk für Angeborene Immundefekte) haben sich daher gerade im deutschsprachigen Raum in den vergangenen Jahren intensiv darum bemüht, das Bewusstsein für immunologische Erkrankungen bei Kinderärzten und Ärzten anderer Fachrichtungen zu schärfen. Im Ergebnis dieser Aktivitäten spielen primäre Immundefekterkrankungen in Kinderarztpraxen und -kliniken eine größere Rolle als in den letzten Jahrzehnten. In den USA wird inzwischen jedes Neugeborene auf diese Erkrankungen anhand der Guthrie-Trockenblutkarte gescreent. Auch in Deutschland ist ein nationales Screeningprogramm auf primäre Immundefekte in Vorbereitung. Für KinderärztInnen ist es wichtig, sich mit dem Thema „immunologische Störungen“ auseinanderzusetzen sowie die aktuellen Grundlagen der Diagnostik zu kennen. Wir freuen uns sehr, dass es gelungen ist, für das Leitthema der vorliegenden Ausgabe der Monatsschrift Kinderheilkunde herausragende Experten der pädiatrischen Immunologie zu gewinnen, um Ihnen ein Update zur aktuellen Entwicklung auf dem Gebiet der Immundefekterkrankungen zu geben.

Bewusstsein für und Wissen über immunologische Erkrankungen müssen bei Ärzten weiter geschärft werden

Ulrich Baumann, Hannover, zeigt auf, wie anhand geeigneter klinischer Zeichen auch aus den vielen, vielen Kindern in Ambulanzen und Praxen diejenigen herausgefiltert werden können, bei denen ein dringender Verdacht auf eine primäre Immundefekterkrankung besteht. Der Beitrag gibt praktische Hinweise, um frühe Symptome von Immundefekterkrankungen zu erkennen, und beschreibt auf hervorragende Weise Handlungspfade dazu, wie der Arzt häufige von seltenen Erkrankungen – und hierzu zählen die Immundefekte – abgrenzen kann. Er vermittelt einen spannenden Einblick in die Entwicklungsgeschichte der klinischen Warnzeichen für Immundefekte und fördert damit deren Verständnis. Behandelt werden unerwartete Infektionen/Erreger (z. B. Pneumocystis oder Aspergillus), Erregergruppen (z. B. bekapselte Erreger) und syndromale Erkrankungen, bei denen Immundefekte besonders häufig auftreten. Baumann betont den Wert der Leitlinie „Diagnostik von primären Immundefekten“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), die unter der Federführung der API 2011 erstmals veröffentlicht wurde, und diskutiert die wichtigen Akronyme ELVIS (Erreger, Lokalisation, Verlauf, Intensität, Summe) und GARFIELD (Granulome, Autoimmunität, rezidivierendes Fieber, ungewöhnliche Ekzeme, Lymphoproliferation, chronische Darmentzündung) [1].

Im nachfolgenden Beitrag beschreibt Gregor Dückers, Krefeld, auf prägnante und klare Art und Weise, den Weg vom Symptom (Cave: Warnzeichen) zur Diagnose Immundefekt. Dies ist von erheblicher klinischer Relevanz, weil bei einigen Kindern „die Uhr tickt“ und die späte Diagnosestellung mit schwerwiegenden Komplikationen einhergeht. Mit der Diagnosestellung darf auch deshalb nicht zu lange gewartet werden, weil für einige Immundefekte eine kurative Behandlungsoption in Form der Stammzelltransplantation besteht. Die Arbeit führt in die klinischen Leitsymptome und Laboruntersuchungen ein, die als initiale Screeninguntersuchungen geeignet sind, und erläutert anhand der etablierten Klassifikationen die Spezialuntersuchungen. Durch die Beschreibung gut gewählter funktioneller Labortests wird versucht, die immunologische Störung des Patienten einzugrenzen und einer Gruppe von Immundefekten zuzuordnen. Im Anschluss wird auf Basis  der Erfahrung und Fachkenntnisse des Arztes eine Diagnose vermutet (Prinzip des „educated guess“) und die Diagnose mithilfe spezifischer molekulargenetischer und immunologischer Untersuchungsverfahren in hochspezialisierten Immundefektzentren gestellt. Bei einigen Fällen gelingt die Diagnose mittels „educated guess“ nicht. Der Autor geht auf den zunehmenden Einsatz umfassender genomischer Analysen ein, die dann zum Einsatz kommen und den „educated guess“ zunehmend ersetzen. Obwohl Indikation, optimaler Zeitpunkt und Stellenwert des „whole genome/exome sequencing“ derzeit noch unklar sind, werden diese Untersuchungen zukünftig noch stärkeren Einzug in die klinische Routine halten.

Ein wichtiges Zeichen der Immundysregulation bei vielen primären Immundefekten können chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) sein. In den letzten Jahren wurden primäre Immundefekte häufiger als bisher vermutet als Auslöser oder Ursache für eine CED identifiziert: Mehr als 60 mit Immundefekten assoziierte Gene, die an der Entstehung einer CED beteiligt sein können, sind inzwischen bekannt. Natürlich liegt nicht jeder CED eine „primary immune deficiency“ (PID) zugrunde. Die Publikation von Tobias Schwerd, München, und Holm Uhlig, Oxford, bietet eine exzellente Übersicht zum gegenwärtigen Wissenstand, einschließlich eines wertvollen Algorithmus bezüglich des richtigen Zeitpunkts der spezifischen immunologischen Diagnostik bei einem Patienten mit CED. Gerade eine Manifestation der CED in besonders jungem Alter kann ein wichtiger Hinweis auf einen zugrunde liegenden oder assoziierten Immundefekt sein. Entscheidend für den Kliniker ist die Zusammenschau der Befunde, die auf eine genetische monogene Ursache der CED hinweisen können, wie Diagnose innerhalb den ersten 6 Lebensjahren, positive Familienanamnese etc. Entgegen der weitläufigen Meinung, der genetische Befund sei „primär von akademischem Wert“, hat die Identifikation eines zugrunde liegenden Gendefekts für Patienten mit CED weitreichende Konsequenzen. Erst auf Grundlage dieser Daten wird eine personalisierte Therapie, beispielsweise eine kurative Stammzelltransplantation oder der Einsatz pathophysiologisch hochspezifischer Medikamente, bei CED möglich. Langjährige breite immunsuppressive oder -modulatorische Therapien sowie besonders auch belastende chirurgische Eingriffe und Kolektomien können damit bei Patienten mit bestimmten CED-Formen vermieden werden.

Liebe Leserinnen und Leser, wir hoffen, Ihnen mit dem diesem Leitthema nicht nur aktuelles Wissen über den enormen wissenschaftlichen Fortschritt auf dem Gebiet der Immundefekte zur Verfügung gestellt, sondern vielmehr noch viele wichtige Hinweis für die Betreuung dieser Patienten im klinischen Alltag an die Hand gegeben zu haben.