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Grillparzers Lustspiel Weh dem, der lügt! und die Iphigenie-Dramen Goethes und des Euripides

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Die hier vorgelegte komparatistische Interpretation erweist Grillparzers Lustspiel als Frucht seiner Auseinandersetzung mit Goethe: In Weh dem, der lügt! überwand Grillparzer seinen Selbstverdacht klassizistischen Epigonentums durch eine neue, zukunftsweisende Deutung der Euripideischen Grundlagen von Goethes Klassik. Im Zentrum der Untersuchung stehen die Begriffe der Melancholie und des Wunders, und einbezogen wird dabei auch das Verhältnis des Lustspiels zum Wiener Volkstheater.

Abstract

This comparative interpretation shows that Grillparzer’s comedy was the result of his ambiguous relationship with Goethe. Grillparzer overcame his fear of epigonism by reinterpreting the Euripidean base of Goethe’s classicism. At the centre of the article are the concepts of melancholy and miracle, and some consideration is given to the relationship between Grillparzer’s comedy and Vienna folk theatre.

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Literatur

  1. So etwa bei W. E. Yates, Grillparzer. A critical introduction, Cambridge 1972, 211, der sich durch Weh dem, der lügt! insgesamt an das Humanitätsideal in Schillers Aufsatz Über das Pathetische und in Herders Briefen zur Beförderung der Humanität erinnert fühlt, während ihn der Titel des Lustspiels an Goethes Schauspiel der Humanität, Iphigenie, gemahnt. Mit dem Hinweis auf Iphigenies “O weh der Lüge” (IV, 1) nennt er die Standards von Gregor im wesentlichen denen der Goetheschen Heldin verwandt: ihrem Ideal reiner Menschlichkeit, gegründet auf Wahrhaftigkeit und Vertrauen. Alle diese Hinweise sind einleuchtend, doch eignet sich im folgenden zum dramaturgischen Vergleich natürlich nur Iphigenie.

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  2. “Ich versank immer mehr in eine hypochondrische Stimmung.… Mir war damals zumute als ob ich nie mehr etwas schreiben würde. Dazu traten noch in Verwirrung gekommene Herzensangelegenheiten. Ich beschloß dem Zustand durch eine Reise ein Ende zu machen” (Sämtliche Werke, hrsg. Peter Frank und Karl Pörnbacher, München 1965, IV, 130–131. Die Ausgabe ist im folgenden nur noch nach Band und Seitenzahl zitiert).

  3. Richtig sieht Bruce Thompson, Franz Grillparzer, Boston 1981, 78, die Dramen Der Traum ein Leben und Weh dem, der lügt! im Zusammenhang mit Grillparzers Versuch, sich von seiner akuten Niedergeschlagenheit (“despondency”) in den sechziger Jahren zu befreien. Statt jedoch Goethes Bedeutung für Grillparzers persönliche Entwicklung in den Blick zu nehmen, stellt er Grillparzers Verhältnis zu Goethe nur in den allgemeinen Zusammenhang der Goethe-Rezeption des 19. Jahrhunderts, dem Goethes Bildungsideal (“the Goethean ideal of the education and fulfillment of the human personality in its totality”) als überholtes Überbleibsel des 18. Jahrhunderts erschien.

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  4. Der von Renate Delphendahl, Grillparzer, Lüge und Wahrheit in Wort und Bild, Bern, Stuttgart 1975, 20 aufgestellte Satz, die “christliche Glaubensüberzeugung des Bischofs” sei “kongruent mit dem Glauben an das Gute im Menschen”, bedarf also der Qualifizierung. Des Bischofs Glaube an das Gute im Menschen ist von seinem Glauben an Gott nicht zu trennen.

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  5. Dagmar C. Lorenz, Grillparzer, Dichter des sozialen Konflikts, Wien, Köln, Graz 1986, 90 sieht das Verhalten des Bischofs “mit der Klassenfrage verquickt”: “Nicht jeder kann sich die Wahrheit leisten. Die Ehrlichkeit im Sinne des Bischofs ist nur den Privilegierten, wie ihm selbst, verfügbar, da andere für ihn tun, wovor er aufgrund seiner Position geschützt bleibt.” Die Wirkung des Lustspiels beruht freilich zu einem guten Teil darauf, daß auch dem Bischof die Wahrheit nur begrenzt verfügbar ist.

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  6. Schon Rolf Geißler, Ein Dichter der letzten Dinge, Grillparzer heute. Subjektivismuskritik im dramatischen Werk. Mit einem Anhang über die Struktur seines politischen Denkens, Wien 1987, 75 und 78 wertet die Wirkung der Blitzerscheinung auf Leon als “Saulus-Paulus-Phänomen”, das ihm dazu verhelfe, Edritas Schlüsselhilfe, ihre Spurenverwischung, den Positionswechsel des Fährmanns und die christliche Rückeroberung von Metz als Wundertaten Gottes zu deuten. Nach Geißler erfüllt Edrita mit ihrem selbstlosen Handeln “das Wort aus Goethes Iphigenie (IV, 2), daß Götter ‘Menschen menschlich zu erretten’ pflegen, daß also die Wahrheit der Legende auch eine Lebenswirklichkeit sein kann” (79). Freilich ist die Hauptfigur des Lustspiels nicht Edrita, sondern Leon, und es ist seine Wundergläubigkeit, die als Lustspiel-Pendant zu derjenigen Iphigenies anzusehen ist.

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  7. Nach Zdenko Skreb, Grillparzer. Eine Einführung in das dramatische Werk, Kronberg 1976, 204 weist das Lustspiel Weh dem, der lügt! “keinerlei Verbindungsfäden mehr auf zu der Tradition des Wiener Volkstheaters.… Ein Märchenspiel ist es allerdings.” Für

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  8. Herbert Seidler, Studien zu Grillparzer und Stifter, Wien, Köln, Graz 1970, 67 hatte Weh dem, der lügt! dagegen noch fraglos “seine künstlerischen und motivlichen Wurzeln im Wiener Volksstück.” Geißler (Anm. 19, 71) spricht von einem “märchenhaften Legendenspiel”, mit dem Grillparzer “an das Alt-Wiener-Volksstück angeknüpft” habe.

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  9. Vgl. dazu auch die These von Sheila Jones, “Weh dem, der lügt! Reconsidered in the light of some basic character types in Grillparzer’s work”, Essays on Grillparzer, hrsg. Bruce Thompson und Mark Ward, Hull 1978, 75, das Lustspiel sei in erster Linie “a statement about, or diagnosis of, a world torn apart by aggression.”

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  10. Bernhard Budde, “Die List des frommen Knechts. Weh dem, der lügt!”, Gerettete Ordnung. Grillparzers Dramen, hrsg. B. Budde und U. Schmidt, Frankfurt/M. 1987, 215 möchte gegen Grillparzers eigene Zeugnisse die “klare antiaristokratische Tendenz” belegen, durch die das Stück ein bürgerliches Lustspiel wurde. Das ist freilich nicht, wie der Leser zunächst glaubt, als Lob gemeint, vielmehr soll es die These stützen, daß sich das Stück als bürgerliches Lustspiel “um mindestens fünfzig Jahre verspätet hat.”

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  11. Die gleiche Erweiterung um die Dimension des Psychologischen zeigt sich in Grillparzers Verhältnis zu Ovid. Fred Wagner, “Et in Vindobona Tristia”, Grillparzer und die europäische Tradition, Londoner Symposium 1986, hrsg. R. Pichl, A. Stillmark, F. Wagner und W. E. Yates, Wien 1987, 125 hat eine Fülle von überzeugenden Gründen dafür zusammengestellt, warum Grillparzer sich in seinem lyrischen Zyklus Tristia ex Ponto mit dem nach Tomi verbannten Ovid identifiziert hat; dabei mußte Wagners Blickrichtung auf das von Ovid Vorgegebene folgerichtig dazu führen, daß er der “psychologischen Deutung”, der Grillparzer selbst “in wiederholten Deutungen Vorschub geleistet” habe, vor allem objektive äußere Parallelen der beiden Dichter-Schicksale gegenüberstellte.

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  12. Peter Pütz, “Nähe und Ferne zur Antike: ‘Iphigenie’ und ‘Maria Stuart’“, Unser Commercium. Goethes und Schillers Literaturpolitik, hrsg. Winfried Barner, Eberhard Lämmert und Norbert Oellers, Stuttgart 1984, 295.

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  13. Friedrich Nietzsche, Werke, hrsg. Karl Schlechta, I. Bd., München 1966, 247f.

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Delbrück, H. Grillparzers Lustspiel Weh dem, der lügt! und die Iphigenie-Dramen Goethes und des Euripides. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 67, 140–172 (1993). https://doi.org/10.1007/BF03396202

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