Jugend ist ein zentrales Thema der Gesellschaft, denn in dieser Übergangsphase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter erfolgen wichtige Weichenstellungen für ein gelingendes und sozial verantwortliches Leben als Erwachsener. Auch unter forensischen Gesichtspunkten ist die Jugendphase von großer Bedeutung, da sie einerseits mit einem erhöhten Delinquenzrisiko verbunden ist und andererseits bei jungen Menschen in besonderem Maß die Gefahr besteht, dass sie Opfer von Straftaten werden. Das vorliegende Heft der Zeitschrift Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie hat daher das Schwerpunktthema Jugend.

Im ersten Beitrag gibt Birger Antholz einen Überblick über die Entwicklung der Jugenddelinquenz und der Gesamtkriminalität in den letzten 50 Jahren. Er zeigt auf, dass nach den Kriminalstatistiken und Befragungen über das Dunkelfeld die Jugendkriminalität bis zur Jahrtausendwende gestiegen und dann zurückgegangen ist. Ein Teil der Jugenddelinquenz wird durch psychische Störungen der jungen Täter mitverursacht. So besteht bei Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) und Störungen des Sozialverhaltens ein erhöhtes Devianzrisiko. Mit diesen Störungen befassen sich die Beiträge von Mirjam Just et al. sowie von Anja Görtz-Dorten und Manfred Döpfner. Mirjam Just et al. stellen Epidemiologie und Ätiologie von ADHS dar, erörtern die Zusammenhänge zwischen ADHS und Delinquenz und berichten über Behandlungsmethoden. Der Beitrag von Anja Görtz-Dorten und Manfred Döpfner hat die Systematik und Klassifikation von Störungen des Sozialverhaltens, die Pathogenese und den Verlauf dieser Störungen und ihre Therapie zum Gegenstand. Im anschließenden Beitrag zeigen Steffen Lau und Hans-Ludwig Kröber auf, dass es sich bei einer Störung des Sozialverhaltens in bestimmten Fällen um einen Vorlauf schizophrenen Erkrankens handeln kann.

Mit dem Beitrag von Tanja M. Brückl und Elisabeth B. Binder kommen schädigende Ereignisse für Kinder und Jugendliche und die möglicherweise weittragenden Folgen dieser Ereignisse in den Blick. Der Beitrag behandelt die Folgen früher Traumatisierungen aus neurobiologischer Sicht. Es werden die neurobiologischen Korrelate von Kindheitstraumata dargestellt und genetische und epigenetische Faktoren als mögliche Mechanismen der biologischen Einbettung der Traumatisierungsprozesse betrachtet. Mit speziellen Problemen der Jugenddevianz befassen sich die Beiträge von Volker Reissner et al. und Nadine Ahlig et al. Es besteht ein Zusammenhang zwischen Schulabsentismus und Delinquenz sowie psychischen Problemen. Volker Reissner et al. berichten über die Prävalenz von Schulabsentismus bei Jugendlichen aus Arbeitslosengeld II beziehenden Bedarfsgemeinschaften und die Umsetzbarkeit einer schulabsentismusspezifischen psychiatrischen Liaisonambulanz an einem Jobcenter. Um einen spezifischen Aspekt der Problematik der Schulgewalt geht es in dem Beitrag von Nadine Ahlig et al. Es wird die Entwicklung eines Instruments zur Erfassung des subjektiven Sicherheitsgefühls des Schulpersonals im Zusammenhang mit „school shootings“ und schwerer, zielgerichteter Schulgewalt dargestellt.

Die folgenden beiden Beiträge sind im Bereich der Reaktionen auf Erziehungsprobleme und Delinquenz junger Menschen angesiedelt. Michael Macsenaere stellt dar, welche Faktoren nach den Befunden der empirischen Evaluationsforschung die Wirksamkeit von Hilfen zur Erziehung beeinflussen. Joscha Hausam et al. analysieren den diagnostischen Nutzen eines Instruments zur strukturierten Erfassung von Verhaltensbeobachtungen des allgemeines Vollzugsdienstes in einer sozialtherapeutischen Abteilung des Jugendstrafvollzugs.

Weiterhin enthält dieses Heft einen Grundlagenbeitrag von Hans-Ludwig Kröber zu der Frage, inwieweit es dem Psychiater möglich ist, Fremdseelisches zu verstehen. Der Beitrag plädiert dafür, dass sich die psychiatrische Begutachtung nicht auf die Ausfüllung von Checklisten über weitgehend objektive Merkmale beschränken darf, sondern ein den Rechtsbrecher in seiner Individualität erfassender psychischer Befund erstellt werden sollte. Das Verstehen von Fremdseelischem ist möglich durch bewusste und vergegenwärtigte Wahrnehmung des Ausdrucksverhaltens des Anderen in der jeweiligen Situation und im Zusammenhang mit seiner Lebensgeschichte. Das im thematischen Zusammenhang damit stehende anschließende „Blitzlicht“ von Hans-Ludwig Kröber ist auf Gutachten zur Kriminalprognose gerichtet. Schließlich befassen sich im Journal Club Julia Sieß mit einer linguistischen Analyse von Straftätern mit Psychopathie und Angelika Treibel mit einer Arbeit über Überlappungen zwischen Täterschaft und Viktimisierung.