Abstract
Tristesse Royale, a famous example of so-called German »pop literature«, is the result of a very particular creative process: In April 1999, the writers and journalists Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander von Schönburg and Benjamin von Stuckrad-Barre tape-recorded their conversations during a three-day meeting at the Hotel Adlon in Berlin. Following this gathering, Bessing produced an initial transcript of the discussions, which then was revised by the other contributors and finally went into print. Schäfer and Süselbeck reconstruct the course of the discussions using methods from conversation analysis and explore the text production by comparing the detailed transcript of the audio-tapes with the edited text. They argue that Tristesse Royale is a scriptural representation of an acoustical text that had been produced in a complex process of »audio-literal transcription« (Ludwig Jäger). In addition, they give a preview of the Siegener Kommentierte Ausgabe, their annotated digital edition of Tristesse Royale, that uses streaming technologies in order to make the pop-cultural context of the late 1990s accessible.
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Literature
Vgl. etwa Moritz Baßler: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München 2002
Heinz Ludwig Arnold/ Jörgen Schäfer (Hg.): Pop-Literatur. München 2003
Dirk Frank: Popliteratur für die Sekundarstufe. Stuttgart 2003.
Bessing, Joachim: Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett mit Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander v. Schönburg und Benjamin v. Stuckrad-Barre. Berlin 1999, S. 13.
Zu Forderungen nach einem praxeological turn in der Gegenwartsliteraturforschung vgl. Stephan Porombka: »Literaturbetriebskunde. Zur ›genetischen Kritik‹ kollektiver Kreativität«. In: Jahrbuch für Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis 1, 2006, S.72–87; Anja Johannsen: »To pimp our minds sachwärts. Ein Plädoyer für eine praxeologische Gegenwartsliteraturwissenschaft «. In: Text + Kritik V/2013 (= Sonderband Zukunft der Literatur), S. 179–186.
Grésillon, Almuth: »Über die allmähliche Verfertigung von Texten beim Schreiben«. In: Wolfgang Raible (Hg.): Kulturelle Perspektiven auf Schrift und Schreibprozesse. Elf Aufsätze zum Thema Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Tübingen 1995, S. 1–36, hier: S. 21.
Vgl. Rüdiger Campe: »Die Schreibszene. Schreiben«. In: Hans Ulrich Gumbrecht/ K. Ludwig Pfeiffer (Hg.): Paradoxien, Dissonanzen, Zusammenbrüche. Situationen offener Epistomologie. Frankfurt a. M. 1991, S. 759–772. Martin Stingelin, der sich vor allem mit der Beein- flussung des Schreibens durch die benutzten Schreibwerkzeuge und die durch sie erzeugten Widerstände beschäftigt hat, definiert diese »Schreib-Szene« mit Campe als den Ort, an dem sich Geste, Sprache und Instrumentalität des Schreibens in ihrer Heterogenität und Nicht- Stabilität »an sich selbst aufzuhalten« beginnen und wo dies »thematisiert, problematisiert und reflektiert« werde.
Martin Stingelin: »›Schreiben‹«. In: Ders. (Hg. unter Mitarbeit von Davide Giurato und Sandro Zanetti): »Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum«. Schreibszenen im Zeitalter der Manuskripte. München 2004, S. 8–21, hier S. 15.
Vgl. Jörg Döring: »›Der Schreibtisch im Nachtleben‹. Bohème um 2000 in Tristesse Royale?«. In: Walburga Hülk/ Nicole Pöppel/ Georg Stanitzek (Hg.): Bohème nach 1968. Berlin: Vorwerk 8 2015, S. 109–141, hier: S. 119 ff.
Jäger, Ludwig: »Audioliteralität. Eine Skizze zur Transkriptivität des Hörbuchs«. In: Natalie Binczek/ Cornelia Epping-Jäger (Hg.): Das Hörbuch. Praktiken audioliteralen Schreibens und Verstehens. München 2014, S. 231–253, hier: S. 232.
Grésillon, Almuth: »Literarische Schreibprozesse«. In: Kirsten Adamzik/ Gerd Antos/ Eva-Maria Jakobs (Hg.): Domänen- und kulturspezifisches Schreiben. Frankfurt a. M. et al. 1997, S. 239–253, hier: S. 239.
Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe in 20 Bänden und 3 Supplementen (Frankfurter Hölderlin-Ausgabe). Hg. D. E. Sattler. Frankfurt a. M./Basel 1975–2008
Franz Kafka: Historisch-kritische Ausgabe sämtlicher Handschriften, Drucke und Typoskripte. Hg. Roland Reuß. Frankfurt a. M./Basel 1995 ff.
Vgl. Arnulf Deppermann: Gespräche analysieren. Eine Einführung. Wiesbaden 2008
Jörg R. Bergmann: »Ethnomethodologische Konversationsanalyse«. In: Ludger Hoffmann (Hg.): Sprachwissenschaft. Ein Reader. Berlin/New York 2010, S. 258–274.
Vgl. Margret Selting: »Gesprächsanalytisches Transkriptionssystem 2 (GAT 2)«. In: Gesprächsforschung. Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 10 (2009), S. 353–402.
Jäger sieht im Wechselspiel zwischen ›Störung‹ und ›Transparenz‹ ein unabdingbares Durchgangsstadium im Prozess der kommunikativen Sinnkonstitution: »Störungsindizierte Timeout-Phasen etablieren also gleichsam eine semantische Aushandlungsbühne für die sprachliche Sinnkonstitution, sowohl für die metaleptische Konstruktion der eigenen Redeintention als auch für die interaktive Verständnissicherung im performativen Vollzug der Redeentfaltung. Sie sind insofern der systematische Ort rekursiver Transkriptivität, die symbolische Arena, in der die sprachliche Eigensinn-Produktion stattfindet« (Ludwig Jäger: »Vom Eigensinn des Mediums Sprache«. In: Dietrich Busse/ Thomas Niehr/ Martin Wengeler [Hg.]: Brisante Semantik. Neuere Konzepte und Forschungsergebnisse einer kulturwissenschaftlichen Semantik. Tübingen 2005, S. 45–64, hier: S. 58).
Dieses Gespräch weist alle Strukturkomponenten der ›Klatschkommunikation‹ auf, wie sie Jörg R. Bergmann beschrieben hat: Der Fall Stahnke wird im Detail rekonstruiert, um die Authentizität der mitgeteilten Information zu untermauern und dadurch den Sprecher als glaubwürdig erscheinen zu lassen. Darüber hinaus extrapolieren die Diskutanten die wiedergegebenen Einzelheiten und bringen dadurch »im Erzählen einer Geschichte […] die Details in eine zusammenhängende Folge von Ereignissen und damit in eine sinnvolle Ordnung« (Jörg R. Bergmann: »Detaillierung–Typisierung–Skandalisierung: Über das (unterhaltsame) Konstruieren von Wirklichkeit in der Klatschkommunikation«. In: Louis Bosshart/ Wolfgang Hoffmann-Riem [Hg.]: Medienlust und Mediennutz. Unterhaltung als öffentliche Kommunikation. München 1994, S. 114–125, hier: S. 117). Wichtig ist zudem, dass aus dem beschriebenen Verhalten Susan Stahnkes umgehend eine moralisierende Typisierung der Person abgeleitet wird: »Die Erklärung für das Verhalten des Klatschopfers wird von den Klatschakteuren nicht in den sozialen Handlungsumständen gesucht, sondern als psychische Disposition in die Person selbst verlegt« (S. 119). Diese soziale Typisierung, so Bergmann, sei entscheidend dafür, dass die in jeder Klatschkommunikation angelegte »Tendenz zur Skandalisierung und Übertreibung « hervortrete. Vgl. auch ders.: Klatsch. Zur Sozialform der diskreten Indiskretion. Berlin/New York 1987.
Vgl. Frank A. Reinhardt: »Erstes Serienurinal für Frauen. Bringt Lady P. eine neue Pinkelkultur?« In: sbz. Sanitär-, Heizungs-, Klima- und Klempnertechnik 54 (1999), H. 9, S. 28–30.
Um die unterschiedlichen Grade der Erläuterungsbedürftigkeit von Texten zu differenzieren, hat Manfred Fuhrmann die Begriffe ›primäre Dunkelheit‹ und ›sekundäre Dunkelheit‹ vorgeschlagen: Von ›primärer Dunkelheit‹ spricht er, wenn ein Text schon beim zeitgenössischen Lesepublikum größere Verständnisprobleme hervorruft. Die Schwierigkeiten, die er als ›sekundäre Dunkelheit‹ bezeichnet, treten erst mit einem größeren zeitlichen Abstand der Lektüre zur Erstpublikation des Textes auf. Vgl. Manfred Fuhrmann: »Kommentierte Klassiker? Über die Erklärungsbedürftigkeit der klassischen deutschen Literatur«. In: Gottfried Honnefelder (Hg.): Warum Klassiker? Ein Almanach zur Eröffnungsedition der Bibliothek deutscher Klassiker. Frankfurt a. M. 1985, S. 37–57.
Bessing, Joachim: »Konzept Tristesse Royale.doc«, undatiert, um 1998.
Reuß, Roland: »Die Editionsphilologie und das gedruckte Buch. Zur Problemlage der digitalen Edition im Spannungsfeld von Philologie, Ökonomie und technokratischen Anmaßungen«. In: Text. Kritische Beiträge 12 (2008), S. 1–10, hier: S. 1.
Vgl. Fotis Jannidis: »Digitale Editionen«. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 55 (2008), H. 3, S. 317–332, hier: S. 317.
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Schäfer, J., Süselbeck, J. Nachdenken über Lady P. Von den Adlon-Tapes zu Tristesse Royale–Vorüberlegungen zu einer textgenetischen Teiledition. Z Literaturwiss Linguistik 45, 108–133 (2015). https://doi.org/10.1007/BF03379905
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