1 Hintergrund und Fragestellung

Die Qualität von Fachkraft-Kind-Interaktionen in Kindertageseinrichtungen hat einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder (Egert et al. 2020; Hamre et al. 2013; Mashburn und Pianta 2010; Perren und Reyhing 2017; Ulferts et al. 2019). Bildung in der frühen Kindheit findet häufig als interaktive, dialogische Auseinandersetzung (Becker-Stoll 2018) zweier oder mehrerer Personen statt. Dabei sind qualitativ hochwertige Fachkraft-Kind-Interaktionen entscheidend für gelingende Bildungsprozesse (Becker-Stoll 2018; Pianta und Hamre 2009; Pianta et al. 2016; Weltzien 2014; Wertfein et al. 2015). Zusammenhänge zwischen der Qualität dieser Interaktionen und den Entwicklungsfortschritten der Kinder konnten in sämtlichen Kompetenzbereichen festgestellt werden (Anders 2013; Becker-Stoll 2018; Beckh et al. 2013; Cash et al. 2019; Mashburn et al. 2008; Petritsch et al. 2019; Siraj-Blatchford et al. 2002; Wildgruber et al. 2014).

Ziel dieser Studie ist daher, mittels der Analyse von Videosequenzen konkrete Einsichten in die tatsächliche Gestaltung und Qualität von Fachkraft-Kind-Interaktionen zu gewinnen. Der Fokus liegt dabei auf zwei verschiedenen Ausbildungsniveaus (sekundär und tertiär) und Settings (Freispiel- und Essenssituationen), um diesbezüglich eventuelle Unterschiede im Interaktionsverhalten des pädagogischen Fachpersonals festzustellen. Die Ergebnisse sollen dazu beitragen, Kriterien für professionelles Interaktionsverhalten im Sinne pädagogischer Handlungskompetenz (Fthenakis 2009; Weltzien 2014) in elementaren Bildungseinrichtungen formulieren zu können.

2 Einflussfaktoren auf Interaktionsqualität

Es gibt eine große Bandbreite an Einflussfaktoren auf Interaktionsqualität in pädagogischen Settings. Fachkraft-Kind-Interaktionen werden zum einen von strukturellen Komponenten wie Fachkraft-Kind-Schlüssel, Gruppengröße, Raumgröße, Raumgestaltung und Materialausstattung (Slot 2018; Viernickel et al. 2016; Yoshikawa et al. 2013) und zum anderen von persönlichen Komponenten sowohl von pädagogischen Fachkräften wie Qualifikation, Arbeitserfahrungen und Einstellungen (Kluczniok und Roßbach 2014; Lamb und Ahnert 2006; Manning et al. 2019; Smidt 2012; Slot 2018; Vandell und Wolfe 2000; Viernickel et al. 2016; Yoshikawa et al. 2013) als auch von Kindern wie Alter (Vitiello et al. 2012), sprachliche Kompetenzen (Cabell et al. 2013) und dem sozio-ökonomischen Status der Familie (Lamb und Ahnert 2006) beeinflusst. Damit einhergehend wirken sich die Art und Organisation der Situation (Chien et al. 2010; Hamre und Pianta 2007; Reyhing et al. 2019; Siraj-Blatchford et al. 2002), die gesetzten Aktivitäten (Bodrova und Leong 2005), die Tageszeit (Von Suchodoletz et al. 2014), die Art der Beziehung (Becker-Stoll 2018; Becker-Stoll et al. 2015; Birch und Ladd 1998; Howes 2000; O’Connor und McCartney 2007) sowie die professionelle Responsivität (Gutknecht 2012; Whitebook et al. 1990) auf die Interaktionsqualität aus. Zudem sind für eine hohe Interaktionsqualität hohe soziale und emotionale Kompetenzen, kommunikative Kompetenzen, die Fähigkeit zum Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung sowie situationsangemessenes nonverbales Verhalten der pädagogischen Fachkräfte Voraussetzung (Becker-Stoll 2018; Schmidt et al. 2018; Smidt und Rossbach 2016; Wertfein et al. 2015).

Fokus dieser Studie sind die beiden Einflussfaktoren Qualifikation und Setting. Dieser Fokus lässt sich damit begründen, dass zum einen die internationale Studienlage zur Qualifikation des Fachpersonals inkonsistent ist. Studien berichten zum Teil von keinen oder kaum Unterschieden in der Interaktionsqualität mit Blick auf die Qualifikation des pädagogischen Fachpersonals (bspw. Early et al. 2007; Kucharz et al. 2014), aber auch von positiven Effekten (Manning et al. 2019; s. im Überblick Slot 2018). Zum anderen handelt es sich bei Freispiel- und Essenssituationen um Settings, die im Kindergartenalltag viel Zeit einnehmen und in Studien (Cabell et al. 2013; Chen und de Groot Kim 2014; Guedes et al. 2020; Reyhing et al. 2019; Slot et al. 2015; Vitiello et al. 2012; Wildgruber et al. 2016) eine niedrigere Interaktionsqualität als andere Settings (bspw. geleitete Aktivitäten wie strukturierte Klein- oder Großgruppensituationen) aufweisen, wobei diese bei Essenssituationen z. T. niedriger als bei Freispielsituationen ist (Cabell et al. 2013; Chen und de Groot Kim 2014; Guedes et al. 2020; Vitiello et al. 2012; Wildgruber et al. 2016).

3 Methodik

3.1 Datenerhebung und Stichprobe

Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen des Projekts SpriKiDSFootnote 1. In insgesamt 40 Kindergartengruppen – je 20 Gruppen mit Pädagoginnen (alle weiblich) mit einer Ausbildung auf sekundärem (SAN) und tertiärem Niveau (TAN) – in Westösterreich und der deutschsprachigen Ostschweiz wurde der Praxisalltag an einem Vormittag für ca. drei Stunden videografiert und im Rahmen dieser Untersuchung ausgewertet und analysiert. Die unterschiedlichen Ausbildungsniveaus sind bedingt durch ein Ausbildungssystem auf sekundärem Niveau in Österreich (Bildungsanstalt für Elementarpädagogik) und ein tertiäres Ausbildungssystem in der Schweiz (Pädagogische Hochschule). Um zusätzlichen möglichen Länderunterschieden (z. B. schulorientiertere Durchführung der angeleiteten Situationen in der Schweiz) entgegenzuwirken und somit die unterschiedlichen Ausbildungsniveaus fokussieren zu können, wurden für die Analyse zwei relativ neutrale und somit vergleichbare Situationen ausgewählt. In den im jeweiligen Land geltenden Curricula (AT: BildungsRahmenPlan; CH: Lehrplan 21 für die Kindergartenstufe) gibt es keine konkreten Vorgaben zur Gestaltung dieser Situationen.

Pro Video wurde die je erste beobachtbare repräsentative Sequenz für eine Freispielsituation (FS) und eine Essenssituation (ES) von ca. 15 min Länge ausgewählt, wobei es in einem Video keine repräsentative Freispielsituation gab. Somit wurden insgesamt 39 Freispielsequenzen (n = 39; 20 SAN, 19 TAN) und 40 Essenssequenzen (n = 40; 20 pro Ausbildungsniveau) in die Analyse mit einbezogen. Insgesamt wurden rd. 1200 min Videomaterial und die darin auftretenden 2086 Interaktionen (FS: 55,3 %; ES: 44,7 %) analysiert. Fokus in den Videos waren die Interaktionen der gruppenführenden Pädagoginnen mit Kindern im Alter von vier bis sechs Jahren. Die durchschnittlichen Gruppengrößen (SAN: 16,86; TAN: 15,30), das Alter der Kinder sowie der Fachkraft-Kind-Schlüssel unterschieden sich nur minimal und zeigten in der MANCOVA keine Signifikanz (Sig.: min = 0,159, max = 0,775).

3.2 Auswertung

Zur Auswertung und Analyse der Videosequenzen wurde ein niedrig inferentes Kodierverfahren mit Ereignisstichprobenplan (Lotz et al. 2013) eingesetzt sowie eine qualitative videobasierte Inhaltsanalyse (Huber 2020; Mayring et al. 2005) durchgeführt. Die Kodierung und Auswertung erfolgten mittels MAXQDA.

Grundlage der niedrig inferenten Kodierung war ein hierarchisches Kategoriensystem mit zwei Ebenen und deduktiv-induktiver Kategorienbildung. Die sechs Hauptkategorien (HandlungsmusterFootnote 2, KommunikationsformFootnote 3, Kommunikationsmuster bei kürzeren InteraktionenFootnote 4, Kommunikationsmuster bei mehrteiligen InteraktionenFootnote 5, Länge der mehrteiligen InteraktionenFootnote 6, unverständlich/unklar) wurden a priori erstellt. Die deduktiven Kodierungen wurden u. a. in Anlehnung an das Evaluationsinstrument GInA‑E (Weltzien et al. 2017), die Qualitätsentwicklungsbereiche von Quali-Kita (kibesuisse und Jacobs Foundation 2014) sowie die Good-Practice-Kriterien von Walter-Laager et al. (2018) erstellt. Als zu kodierendes Ereignis im Sinne des Ereignisstichprobenplans wurde eine (verbale und/oder nonverbale) Interaktion der gruppenführenden Pädagogin definiert. Auch Unterbrechungen und gleichzeitig stattfindende Interaktionen wurden kodiert. Mehrfachkodierungen waren möglich. Durch den relativ geringen Grad der Schlussfolgerungen weisen niedrig inferente Kodierungen eine hohe Genauigkeit und Reliabilität der Ergebnisse auf (Lotz et al. 2013)

Aufbauend auf der niedrig inferenten Kodierung (n = 2086) wurde eine qualitative Analyse der beobachteten mehrteiligen Interaktionen durchgeführt, die eine Minute oder länger dauern und aus einem dialogischen Kommunikationselement bestehen bzw. eines beinhalten (n = 96; FS: 73; ES: 23) (s. Abb. 1). Hierbei handelt es sich um 13,3 % der mehrteiligen Interaktionen (n = 722; FS: 476; ES: 246) und somit um 4,6 % der insgesamt kodierten Interaktionen. Der Fokus auf diese Interaktionen lässt sich mit der Bedeutung, Qualität und Wirksamkeit von langanhaltenden, dialogischen Interaktionen wie Sustained Shared Thinking begründen (Brodie 2014; König 2009; Siraj-Blatchford et al. 2002).

Abb. 1
figure 1

Methodisches Vorgehen. (Anmerkung: PF Pädagogische Fachperson)

4 Ergebnisse

4.1 Handlungs- und Kommunikationsmuster des pädagogischen Fachpersonals

Die niedrig inferente Kodierung zeigt Unterschiede in den Handlungs- und Kommunikationsmustern des pädagogischen Fachpersonals hinsichtlich der beiden ausgewählten Situationen (FS vs. ES) sowie zwischen den beiden Ausbildungsniveaus (SAN vs. TAN).

Von insgesamt 2086 kodierten Interaktionen entfallen 1312 (62,9 %) auf pädagogisches Fachpersonal mit TAN und 774 (37,1 %) auf Fachpersonal mit SAN (s. Tab. 1). Dieser Unterschied ist vor dem Hintergrund, dass für beide Ausbildungsniveaus (annähernd) gleich viel Zeit kodiert wurde, beträchtlich und im Vergleich der Essenssituationen besonders ausgeprägt (TAN: n = 623; SAN: n = 309). Dafür lassen sich zwei Gründe anführen:

  1. 1.

    Die kodierten mehrteiligen Interaktionen dauern bei SAN im Durchschnitt länger als bei TAN (SAN: 48,5 Sek.; TAN: 39,8 Sek.). Dazu tragen u. a. mehrere Interaktionen mit einer Dauer von mehr als drei Minuten bei, was positiv zu werten ist, die Gesamtzahl der Interaktionen allerdings reduzieren kann.

  2. 2.

    Die Essenssituationen sind in 55 % der Kindergärten mit SAN, trotz keiner Vorgaben in den Curricula, als sog. gleitende Jause organisiert, bei der Interaktionen nur stattfinden, wenn die pädagogische Fachkraft zum Jausentisch kommt. Selbst bei einer gemeinsamen Jause (45 %) gibt es interaktionserschwerende Faktoren (z. B. phasenweises bzw. die gesamte Pause dauerndes Sprechverbot, an einem separaten Tisch sitzendes pädagogisches Fachpersonal etc.).

Tab. 1 Handlungsmuster des pädagogischen Fachpersonals in Freispiel- und Essenssituationen

Entsprechend zeigt die Kodeabdeckung in MAXQDA in 51 % der Zeit keine Fachkraft-Kind-Interaktionen (SAN). Dieser Wert liegt bei den Kindergärten mit pädagogischen Fachkräften mit TAN, in welchen die Essenssituationen gemeinsam stattfinden, bei 36 %. Sowohl für Pädagoginnen mit sekundärem als auch für diejenigen mit tertiärem Ausbildungsniveau sind somit bei Essenssituationen längere Phasen feststellbar, die nicht für Fachkraft-Kind-Interaktionen genutzt werden.

4.1.1 Handlungsmuster: Kürzere vs. mehrteilige Interaktionen bzw. keine Reaktion

Mit Blick auf die Handlungsmuster lassen sich für beide Ausbildungsniveaus während Essenssituationen deutlich mehr kürzere (71,4 %) als mehrteilige Interaktionen (26,4 %) beobachten als in Freispielsituationen (kürzere: 56,1 %; mehrteilige: 41,2 %; s. Tab. 1). Die kürzeren Interaktionen sind dabei in Essenssituationen mehrheitlich Reaktionen (45,1 %) als Aktionen (26,3 %), während dies in Freispielsituationen ausgeglichen ist (Reaktionen 27,3 %; Aktionen 28,8 %). Der hohe Anteil der Reaktionen in den Essenssituationen steht in Zusammenhang mit deren Gestaltung. Im Vordergrund steht für das Fachpersonal eher das Gelingen der Essenssituation. Entsprechend kurz fallen die Interaktionen aus (bspw. (non)verbale Bestätigung der Aussage eines Kindes, Durchsetzen von Regeln). Demgegenüber zeigen die pädagogischen Fachkräfte in Freispielsituationen mehr Interesse an den Aktivitäten der Kinder, sie gehen auf sie zu, fragen, was sie gerade tun, geben ihnen Ratschläge und Hinweise oder machen Vorschläge. Daraus entwickeln sich öfters mehrteilige Interaktionen, insbesondere wenn sich die Pädagoginnen an Spielen oder anderen Aktivitäten der Kinder beteiligen. In den Freispielsituationen lassen sich insgesamt fast doppelt so viele mehrteilige Interaktionen (n = 476) beobachten als während Essenssituationen (n = 246); für das Fachpersonal mit SAN sogar dreimal so viele (ES: n = 68; FS: n = 208).

Bei ca. 2,5 % der Interaktionen reagierten die pädagogischen Fachkräfte nicht auf eine überwiegend verbale und/oder nonverbale Aktion eines Kindes, obwohl diese explizit an sie gerichtet war und keine anderen Interaktionen gleichzeitig stattfanden (FS: n = 31; ES: n = 21). Dieser Wert ist unerwartet hoch und liegt für SAN höher (FS und ES je 3,9 %) als für TAN (FS: 1,9 %; ES: 1,4 %).

4.1.2 Kommunikationsmuster bei mehrteiligen bzw. bei kürzeren Interaktionen

Mehrteilige Interaktionen lassen sich über die Situationen und Ausbildungsniveaus hinweg den drei Kommunikationselementen dialogisch, direktiv und explikativ zuordnen, die entweder allein oder in Kombination auftreten können. In beiden Situationen überwiegen sowohl bei SAN als auch bei TAN die dialogischen Elemente. Bei SAN zeigt sich eine Tendenz zu explikativen und bei TAN zu direktiven Elementen.

Bei den kürzeren Interaktionen zeigen sich diverse Kommunikationsmuster, die je nach Handlungsmuster (Aktion, Reaktion), Ausbildungsniveau und Situation unterschiedlich verwendet werden (s. Tab. 2). Die häufigsten Kommunikationsmuster sind für beide Ausbildungsniveaus identisch, unterscheiden sich aber in der Reihenfolge. Der deutlichste Unterschied mit fast zehn Prozentpunkten zeigt sich bei den Fragen (SAN: 17,3 %; TAN: 7,8 %). Für Aktionen werden insgesamt am häufigsten positive Handlungsanweisungen (9,7 %) und Fragen (9,5 %) sowie Handlungsanweisungen mit Erklärungen (7,3 %) genutzt, während als Reaktionen Bestätigungen bzw. Rückmeldungen für beide Ausbildungssysteme und Situationen das mit Abstand häufigste Kommunikationsmuster sind (ges. 15,8 %). Negative Handlungsanweisungen finden mehr als doppelt so häufig während Essenssituationen (7,6 %) als während Freispielsituationen (3,5 %) statt. Positive Handlungsanweisungen und Handlungsanweisungen mit Erklärungen treten häufiger bei Freispielsituationen auf (ES: 11,4 %; FS: 17,0 %). Dies trifft auf beide Ausbildungsniveaus zu. Allerdings sind die negativen Handlungsanweisungen beim Fachpersonal mit SAN in Essenssituationen häufiger beobachtbar (SAN: 9,6 %; TAN: 6,5 %), während bei den beiden positiven Kommunikationsmustern das Fachpersonal mit TAN in beiden Situationen höhere Werte erzielt (SAN: ES 8,4 %, FS 13,7 %; TAN: ES 13,0 %, FS 18,8 %). Bestätigungen bzw. Rückmeldungen sind in Essenssituationen (10,7 %) für beide Ausbildungssysteme deutlich häufiger als in Freispielsituationen (5,1 %).

Tab. 2 Kommunikationsmuster des pädagogischen Fachpersonals in Freispiel- und Essenssituationen

4.1.3 Umgang mit Interaktionsunterbrechungen

Beim Umgang mit Interaktionsunterbrechungen während Freispielsituationen (SAN: n = 126; TAN: n = 99) überwiegen drei zentrale Möglichkeiten, die je nach Ausbildungssystem unterschiedlich häufig auftreten:

  1. 1.

    Reaktion (SAN: 38,8 %; TAN: 55,5 %)

  2. 2.

    Keine Reaktion (SAN: 35,7 %; TAN: 21,2 %)

  3. 3.

    Entwicklung mehrteilige Interaktion (SAN: 15,1 %; TAN: 14,1 %)

Die Reaktionen bestehen beim Fachpersonal beider Ausbildungssysteme überwiegend aus kurzen Rückmeldungen bzw. Bestätigungen (z. B. „Ja, passt.“) oder positiven Handlungsanweisungen (z. B. „Warte bitte kurz.“).

4.2 Interaktionsfördernde Strategien des pädagogischen Fachpersonals

Die qualitative Analyse der ein- und mehrminütigen dialogischen Interaktionen (n = 96) zeigt einerseits kein bewusst interaktionsförderndes (Sprach‑)Verhalten der pädagogischen Fachkräfte (24,0 %) und andererseits vier zentrale Strategien zu deren Initiierung und/oder Aufrechterhaltung. Ersterem sind ein rein reaktives Verhalten des Fachpersonals (5,2 %) zuzuordnen sowie die aktive situations- und/oder personenbezogene Unterstützung eines Kindes (bspw. Emotionsregulation, Aktivität, Organisation; 18,6 %). Demgegenüber lassen sich folgende interaktionsfördernde Strategien des Fachpersonals identifizieren:

  1. 1.

    (Non)verbales Zeigen von Interesse: Nonverbal (zugewandte Körperhaltung, Blickkontakt, nonverbale Bestätigungssignale wie Nicken) und verbal (verbale Bestätigungssignale, kurze Rückfragen) stellen die pädagogischen Fachkräfte Aufmerksamkeit her, zeigen Interesse an den Aussagen/Anliegen des Kindes und verdeutlichen so, dass sie es als Gesprächspartner auf Augenhöhe ernstnehmen.

  2. 2.

    Offene, erzählgenerierende Fragen: Das Fachpersonal stellt offene, erzählgenerierende Fragen, um Interaktionen zu initiieren oder aufrechtzuerhalten. Diese Fragen beziehen sich auf die momentane Aktivität des Kindes, die Situation bzw. alltagsbezogene Themen oder nehmen diese als Anlass für weiterführende Fragen und Gespräche, die dadurch inhaltlich erweitert und z. T. auch auf eine abstraktere Ebene gehoben werden.

  3. 3.

    Verbalisieren von Handlungen: Das Verbalisieren von Handlungen wenden die pädagogischen Fachkräfte insbesondere bei der sprachlichen Begleitung des Spielverlaufs beim gemeinsamen Spielen von Karten- und Brettspielen oder bei der Beschreibung der Aktivitäten, die die Kinder im Moment durchführen, an.

  4. 4.

    Folgen kindlicher Logik und Imagination: Das Folgen kindlicher Logik und Imagination zeigt sich, wenn die pädagogischen Fachkräfte Themen, Aussagen und Erzählungen der Kinder ermöglichen, indem sie ihnen Raum und Zeit geben, ihre Gedanken zu verbalisieren und ihrer Fantasie zu folgen, und gleichzeitig (non)verbal Interesse zeigen, sowie in Rollen- oder Fantasiespielen (Rolle der Fachkraft: nicht nur aktive Zuhörerin, sondern auch Mitspielerin in der imaginierten Situation). Solche Interaktionen waren in den analysierten Videosequenzen jedoch selten zu beobachten (5,2 %).

Häufig werden mehrere Strategien während einer Interaktion angewendet. So zeigt das Smart-Coding-Tool in MAXQDA, dass die Mehrheit der drei Strategien nonverbales und verbales Zeigen von Interesse, offene Fragen und Folgen kindlicher Logik und Imagination kombiniert mit einer oder zwei weiteren Strategie(n) stattfindet.

5 Diskussion und Limitationen

Die Ergebnisse der Studie zeigen Unterschiede in den Handlungs- und Kommunikationsmustern des pädagogischen Fachpersonals sowohl zwischen den beiden Situationen als auch zwischen den Ausbildungsniveaus. Außerdem konnten vier zentrale Strategien zur Initiierung und/oder Aufrechterhaltung von langanhaltenden, dialogischen Interaktionen identifiziert werden.

5.1 Unterschiede im Interaktionsverhalten und der Interaktionsqualität

Durch die Ergebnisse der niedrig inferenten Analyse wird deutlich, dass die Interaktionsqualität in Freispielsituationen höher ist als während Essenssituationen. Dies spiegelt sich auch in internationalen Forschungsergebnissen (u. a. Cabell et al. 2013; Chen und de Groot Kim 2014; Guedes et al. 2020; Wildgruber et al. 2016) wider. Die Ergebnisse zeigen für Freispielsituationen deutlich mehr mehrteilige Interaktionen (FS: 41,2 % vs. ES: 26,4 %; s. Tab. 1), mehr langanhaltende dialogische Interaktionen (FS: n = 73; ES: n = 23), mehr positive Kommunikationsmuster (pos. Handlungsanweisungen und Handlungsanweisungen mit Erklärungen (FS: 17,0 % vs. ES: 11,4 %) vs. neg. Handlungsanweisungen (FS: 3,5 % vs. ES: 7,6 %)) und mehr qualitätsvolle Kommunikationsmuster (Fragen vs. Rückmeldungen) als für Essenssituationen (s. Tab. 2). Allerdings liegt der Anteil der mehrteiligen Interaktionen mit dialogischem Kommunikationselement bei beiden Ausbildungsniveaus in Essenssituationen (SAN: 92,6 %; TAN: 90,4 %) höher als in Freispielsituationen (SAN: 84,2 %; TAN: 71,3 %; s. Tab. 1). Dies lässt – unter Berücksichtigung der Curricula, die keine Vorgaben diesbezüglich enthalten – den Rückschluss zu, dass Essenssituationen durch ihre situative Gegebenheit die Voraussetzungen für langanhaltende, mehrteilige, dialogische Interaktionen wie Zeit, Ruhe und Organisation der Gruppe bieten, jedoch in geringerem Umfang dafür genutzt werden. Jedoch wird die Initiierung solcher Interaktionen durch die beobachtete Gestaltung der Situationen – insbesondere durch die Etablierung von Schweigephasen (vgl. Kodeabdeckung) – erschwert. Auch das Sitzen des pädagogischen Fachpersonals an separaten Tischen bei gemeinsamen Jausen sowie gleitende Jausen, in denen sich das Fachpersonal nicht zu den Kindern setzt, können sich hemmend auf die Fachkraft-Kind-Interaktion auswirken. Für Essenssituationen zeigt sich somit ein bisher ungenutztes Potenzial zur Ermöglichung von qualitätsvollen Interaktionen.

Neben der unterschiedlichen Nutzung von Freispiel- und Essenssituationen gibt die Studie Hinweise auf eine höhere Interaktionsqualität der pädagogischen Fachpersonen mit tertiärem als mit sekundärem Abschluss, was sich in die internationale Forschungslage einfügen lässt (u. a. Manning et al. 2019; Slot 2018; Yoshikawa et al. 2013). Fachpersonen mit TAN verwenden im Vergleich zu Fachpersonen mit SAN häufiger mehrteilige Interaktionen (ES: 178 vs. 68; FS: 268 vs. 208; s. Tab. 1) und positive Handlungsanweisungen (ES: 6,7 % vs. 5,4 %; FS: 11,3 % vs. 7,5 %; s. Tab. 2) und weisen geringere Prozentwerte bei den Kategorien „Negative Handlungsanweisung“ (10,6 % vs. 12,2 %) und „Keine Reaktion“ (3,3 % vs. 7,8 %) auf. Außerdem zeigen sie einen qualitätsvolleren Umgang mit Interaktionsunterbrechungen, die bei ihnen zudem seltener stattfinden (n = 99 vs. n = 126) als bei Fachpersonen mit SAN. Demgegenüber ist hervorzuheben, dass sowohl dialogisch-explikative Elemente bei mehrteiligen Interaktionen (SAN: 38,8 %; TAN: 24,5 %) als auch Fragen von den Fachpersonen mit SAN im Vergleich zu den Fachpersonen mit TAN deutlich häufiger verwendet werden (SAN: 17,3 %; TAN: 7,8 %). Es ist allgemein bekannt, wie wichtig diese in Bezug auf Interaktion, Kommunikation und die Verbesserung der Lese- und Schreibkompetenzen sind.

5.2 Kriterien für professionelles Interaktionsverhalten

Vor dem Hintergrund der Bedeutung und Qualität von Sustained Shared Thinking lassen sich auf Grundlage der Studienergebnisse folgende Kriterien für professionelles Interaktionsverhalten im Sinne pädagogischer Handlungskompetenz (Fthenakis 2009; Weltzien 2014) formulieren: Besonders qualitätsvolle Interaktionen zeichnen sich durch eine gewisse Dauer (langanhaltend) und eine Konversation auf Augenhöhe mit relativ ausgeglichenen Gesprächsanteilen zwischen Kind und pädagogischer Fachkraft (mehrteilig und dialogisch) aus. Die Dauer ist für die Entwicklung tiefergehender Gespräche essenziell. Gleichzeitig ist das dialogische Element von Bedeutung, denn auch Interaktionen mit direktiven Kommunikationselementen können langanhaltend, aber aufgrund der (sprachlichen) Dominanz der pädagogischen Fachperson weniger aktivierend und qualitätsvoll sein. Eine Anwendung der identifizierten interaktionsinitiierenden und -aufrechterhaltenden Strategien scheint dazu beitragen zu können, solche Interaktionen zu ermöglichen und deren Qualität zu gewährleisten. Eine Überprüfung dessen in weiteren Studien unter Berücksichtigung der Effekte auf die Kinder stellt eine zukünftige Forschungsnotwendigkeit dar.

Die identifizierten Strategien zeigen Parallelen zu Strategien der alltagsintegrierten Sprachförderung (Löffler und Vogt 2015) und geben somit einen Hinweis darauf, dass hohe Interaktionsqualität und sprachliche Bildung zusammengedacht werden können. Als zentrale Voraussetzungen für die Anwendung dieser Strategien und die Gestaltung qualitätsvoller Interaktionen sind auf Grundlage der Studienergebnisse ein bewusstes Sich-Zeit-Nehmen, eine Fokussierung des Fachpersonals sowie die Kompetenz des Fachpersonals in Bezug auf die Anwendung der Strategien alltagsintegrierter Sprachförderung (Frick und Zumtobel 2019) zu nennen.

Der Anteil der langanhaltenden, dialogischen Interaktionen (n = 96) an der Gesamtzahl der beobachteten Interaktionen (n = 2086) deutet jedoch darauf hin, dass diese eher selten im Kindergartenalltag auftreten. Mögliche Ansatzpunkte sind ein bewusstes Nutzen und Gestalten der Essenssituationen, die Professionalisierung des pädagogischen Fachpersonals hinsichtlich der Bedeutung und Anwendung von interaktionsfördernden Strategien sowie strukturelle Veränderungen wie die Anpassung des Fachkraft-Kind-Schlüssels.

5.3 Limitationen und Ausblick

In Bezug auf Interaktionsqualität werden vielfältige Einflussfaktoren diskutiert. Die Datenlage dazu ist in Teilen inkonsistent und Ergebnisse sind möglicherweise nur eingeschränkt in andere Länderkontexte übertragbar (Smidt und Embacher 2020). Die hier getroffene Auswahl von Einflussfaktoren stellt somit nur einen Ausschnitt der komplexen multifaktoriellen Diskussion dar. Möglichen beeinflussenden Variablen wie curricular bedingte Länderunterschiede, sichtbar durch die schulorientiertere Strukturierung des Tagesablaufs und Durchführung angeleiteter Aktivitäten in Schweizer Kindergärten im Vergleich zu österreichischen Kindergärten, wurde durch die gezielte Auswahl der beiden relativ neutralen und somit vergleichbaren Situationen versucht entgegenzuwirken.

Ein weiterer Punkt liegt in der Datenerhebung bezüglich weiterführender Qualifizierung des pädagogischen Fachpersonals das Einsetzen interaktionsförderlichen Verhaltens (Hamre et al. 2012; Mashburn und Pianta 2010) sowie die Anwendung der Strategien alltagsintegrierter Sprachförderung betreffend, d. h. es kann nicht mit eindeutiger Sicherheit angeführt werden, ob die beobachtete Anwendung (z. B. das Stellen von Fragen) bewusst oder intuitiv stattgefunden hat. Für zukünftige Studien ist die Empfehlung, dies im Vorfeld zu erheben, so dass zusätzliche Kovariaten wie persönliche Arbeitserfahrung, absolvierte Fort- und Weiterbildungen, Beliefs der Fachpersonen etc. als mögliche Einflussfaktoren ausgeschlossen werden können.

Für die weitere Professionalisierung des pädagogischen Fachpersonals könnte in Betracht gezogen werden, Interaktion in Kombination mit Bindung sowie sprachlicher Bildung (Henry und Pianta 2010) zu denken, da sich ein enger Zusammenhang zwischen einer guten Bindung, sichtbar durch eine vertrauensvolle Beziehung, die die Grundlage für exploratives Verhalten, das Stellen von Fragen, Lösen von Problemen, Begegnen von neuen Herausforderungen sowie das Verbalisieren von Gedanken darstellt (Becker-Stoll 2018; O’Connor und McCartney 2007), hoher Interaktionsqualität und Sprachförderung zeigt.

Ziel wäre es – vor dem Hintergrund hoher Interaktionsqualität, die sich positiv auf die kindliche Kompetenzentwicklung auswirkt – dass qualitativ hochwertige Interaktionen nicht zufällig gelingen, sondern bewusst von den pädagogischen Fachpersonen gesetzt werden und somit eine adäquate, gezielte Unterstützung der Kinder bei ihrer Entwicklung gewährleistet wird.